EXKLUSIV: Riester-Rente ein Flop? Das sagen die Experten

Prof. Dr. Jochen Ruß ist Geschäftsführer des ifa in Ulm
Foto: Jochen Ruß
Jochen Ruß

Für die "Bild"-Zeitung ist die Riester-Rente nach Auswertung der ersten Auszahlungsstatistiken ein Flop. Hat sie recht? Cash. fragte zwei Experten.

Die Riester-Rente bringt Versicherten im Alter laut Bundesfinanzministerium durchschnittlich nur 132 Euro monatlich. Das berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf erste Auszahlungsstatistiken des Ministeriums. Demnach erhielten Ende 2022 über eine Million Menschen Leistungen aus der Riester-Rente. Mit einem Schnitt von nur 1.581,12 Euro im Jahr fallen diese oftmals aber geringer aus als erhofft. Die Auszahlungsstatistiken zeigen, dass 80,4 Prozent der Versicherten weniger als 2.000 Euro pro Jahr erhalten. Fast ein Drittel bekommt sogar weniger als 500 Euro jährlich – das sind monatlich maximal 40 Euro. Das Finanzministerium führt die niedrigen Auszahlungsbeträge auf die kurze Ansparphase zurück und erklärt, dass man bei künftigen Auswertungen von höheren Beträgen ausgehe.


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Cash. bat zwei Experten um ihre Meinung: Ist die Riester-Rente wirklich ein Flop, wie die „Bild“-Zeitung schreibt? Professor Dr. Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (Ifa) in Ulm, relativiert diese Einschätzung: „Die Höhe der Rente, die aus einem Riester-Produkt ausbezahlt wird, hängt insgesamt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der Höhe des Beitrags, den der Sparer geleistet hat, von der Höhe der Zulagen vom Staat, von der Dauer der Ansparphase, von der Rendite des Produkts in der Sparphase und von den Umwandlungskonditionen des angesparten Kapitals in eine lebenslange Rente. Wenn nun die durchschnittliche Rentenhöhe einen Betrag aufweist, den ein Journalist der ‚Bild‘-Zeitung für niedrig hält, ist es sicher ein wenig unterkomplex – um es freundlich zu formulieren – hieraus abzuleiten, dass es sich um schlechte Produkte gehandelt habe, dass also eine vermeintlich geringe Rendite des Produkts der einzige Grund für diese Rentenhöhe sei.“

Ruß rechnet vor: „Wenn beispielsweise ein Geringverdiener mit mehreren Kindern nur den Mindesteigenbeitrag von fünf Euro pro Monat bezahlt hat, aber hohe staatliche Zulagen erhalten hat, so wäre bereits eine lebenslange Rente von 50 Euro pro Monat eine sehr attraktive Leistung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass diejenigen Riester-Sparer, die jetzt schon in Rente sind, eine eher kurze Anspardauer hatten – sonst wären sie ja noch nicht in Rente – und dass daher künftige Rentner, die auch längere Spardauern hatten, eine entsprechend höhere Rente erhalten werden.“

Michael Heuser
Michael Heuser, wissenschaftlicher Leiter des Diva (Foto: Diva)

Auch für Professor Dr. Michael Heuser, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (Diva), ist Riester keineswegs ein Flop. Um die Zahlen des Finanzministeriums in das Rentensystem und das Förderkonzept einzuordnen, seien mehrere Aspekte wichtig. So sei die Riester-Rente von Beginn an als staatlich geförderte Zusatz-Rente konzipiert worden. „Hauptrente ist die gesetzliche Rente. Auch Letztere ist nicht üppig und liegt heute durchschnittlich bei 1.100 bis 1.200 Euro, das heißt die Riester-Auszahlung bringt dem heutigen Rentner im Durchschnitt zusätzliche zehn bis zwölf Prozent auf seine Rente“, erklärt Heuser. Er verweist auch auf die relativ geringen Höchstbeträge: „Die geförderten Höchstbeträge lagen zu Beginn im Jahr 2002 bei 525 Euro und liegen heute bei 2.100 Euro. Manche Riester-Sparer bleiben mit ihren Sparbeiträgen sogar unterhalb dieser relativ geringen Deckelung. Das reduziert das schließlich angesparte Kapital und damit die Rente.“ Wichtig sei auch die noch recht kurze Ansparphase, betont Heuser: „Die Riester-Rente startete vor 20 Jahren, das heißt die 2022 ausgezahlten Renten hatten eine maximale Ansparphase von 20 Jahren, viele auch kürzer. Das ist für eine Rentenversicherung nur ein mittlerer Zeitraum und vermindert natürlich den Auszahlbetrag.“

Heuser weist außerdem darauf hin, dass sich Riester-Rentner zu Rentenbeginn einen Einmalbetrag von bis zu 30 Prozent ihres Riester-Kapitals auszahlen lassen können. Auch das schmälere den Restbetrag, der als monatliche Rente zur Verfügung steht. Außerdem sei Riester renditestark dank Zulagen: „Riester kann ein Rendite-Turbo sein, vor allem für Familien mit Kindern. Zu relativ geringen Eigenbeiträgen können Jahr für Jahr 350 Euro Grundzulage und je Kind 300 Euro Kinderzulage kommen.“ Für Menschen, die auf jeden Cent achten müssen, sei unerheblich, woher die Rendite kommt.

Ruß und Heuser sind sich einig: Die Riester-Rente ist weit davon entfernt, ein Flop zu sein. Dringenden Reformbedarf sehen sie dennoch – auch weil die Politik Reformen in den letzten Jahren versäumt hat. „Die Riester-Rente wäre sehr einfach zu reformieren gewesen. Insbesondere ein Absenken des gesetzlich vorgeschriebenen Garantieniveaus von 100 Prozent auf beispielsweise 70 oder 80 Prozent hätte deutlich chancenreichere und renditestärkere Produkte ermöglicht“, betont Ruß. Aus verschiedenen Gründen wäre eine Reform der Riester-Rente sinnvoller gewesen als die jetzt geplante Einführung eines neuen Konzepts.

Mittlerweile hat eine „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ im Auftrag der Bundesregierung Reformvorschläge erarbeitet. „Die derzeit kompromisslosen Garantie- und Verrentungspflichten sollen abgemildert werden. Das langfristige Fondssparen fürs Alter soll gefördert werden“, erläutert Heuser. Zu bedenken wären seiner Meinung nach zudem jährliche Erhöhungen der Zulagen, etwa orientiert an der Lohnentwicklung. All das würde laut Heuser dazu führen, Riester einfacher, kostengünstiger und rentabler zu machen: „Und damit auch künftig zu einem unverzichtbaren Baustein privater Altersvorsorge.“

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