EXKLUSIV Viertagewoche im Finanzvertrieb? Das sagen die Berufsverbände

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Wäre eine Viertagewoche im Finanzvertrieb überhaupt umsetzbar?

Wie positionieren sich die Berufsverbände der Finanzdienstleistungsbranche in der Debatte um eine Viertagewoche? Cash. fragte nach.

„Arbeiten wir zu viel oder zu wenig?“ fragt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner aktuellen Titelgeschichte. Die Viertagewoche spalte das Land, schreibt das Blatt: „Die meisten Beschäftigten wollen sie. Ökonominnen und Politiker sind entsetzt: Um den Wohlstand zu halten, müssten wir alle sogar mehr arbeiten.“ Erst kürzlich hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärt, mehr „Lust auf Überstunden“ machen zu wollen. Es ist eine bundesweite Debatte, vor der auch die Berufsverbände der Finanzdienstleistungsbranche nicht die Augen verschließen. Wie positionieren sie sich? Wäre eine Viertagewoche im Finanzvertrieb überhaupt umsetzbar?

„Eines ist sicher: In Deutschland wird nicht zu viel gearbeitet“, erklärt Dr. Michael Niebler, geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV). Die deutsche Wirtschaft spüre derzeit alles andere als Rückenwind. Da wirke die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung und Viertagewoche geradezu anachronistisch – vom zunehmenden Fachkräftemangel ganz zu schweigen. „In den nächsten Jahren gehen jährlich rund 500.000 mehr Menschen in den Ruhestand als in den Arbeitsmarkt eintreten. Wer soll die Arbeit leisten, die heute gemacht wird bzw. schon heute liegen bleibt?“, fragt Niebler. „Wir sollten uns mit den Realitäten beschäftigen und nicht mit Utopien. Das erwarte ich auch von den Gewerkschaften. Im Übrigen: Bereits heute bieten die Unternehmen über flexible Arbeitszeitmodelle Teilzeitkräften oft die Möglichkeit, in einer Viertagewoche zu arbeiten.“ Eine flächendeckende Viertagewoche mit oder ohne Lohnausgleich wäre aus seiner Sicht ein ökonomischer Irrweg, der am Ende des Tages zu weniger Service, höheren Preisen und insgesamt sinkendem Wohlstand führe.

„Im Bereich der Versicherungs- und Anlagevermittlung sind im Wesentlichen selbstständige Vermittler tätig, welche eigenständig entscheiden können, wieviel Zeit sie für ihre Tätigkeit aufwenden“, betont Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Votum-Verbands. „Unserer Beobachtung nach ist die deutliche Mehrzahl von ihnen hier mehr als fünf Tage und auch mehr als 40 Stunden die Woche tätig. Sie sind auch nicht an festen Arbeitszeiten orientiert, sondern bieten ihre Dienstleitung dann an, wenn der Kunde sie wünscht, d. h. auch abends und am Wochenende.“ Klein erachtet es generell als problematisch, einen allgemeinen Trend zur Viertagewoche auszurufen – insbesondere dann, wenn dies mit der Forderung nach vollem Lohnausgleich einhergeht. „Gerade in Zeiten, in denen sehr viele erfahrene Arbeitnehmer – Babyboomer – aus dem Erwerbsleben ausscheiden, würde der Trend zur Viertagewoche eine noch größere Lücke bei den erforderlichen Fachkräften reißen. Dies bedeutet ein erhebliches Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und für seine Wettbewerbsfähigkeit, da bereits heute ein sowohl quantitatives als auch qualitatives, wirtschaftliches Wachstum nicht erreicht werden kann, weil Fachkräfte fehlen.“


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Für AfW-Vorstand Frank Rottenbacher wäre ein Wechsel von einer Fünftage- in eine Viertagewoche nur ein Wechsel von einem starren System in ein anderes starres System: „Für selbstständige Vermittler stellt sich diese Frage wahrscheinlich kaum, weil sie für ihre Kunden da sein wollen und müssen, wenn die Kunden den Bedarf haben. Sie gehen auch mental anders an diese Fragestellung ran: Die wenigsten würden sagen, dass es für sie ein Arbeitstag war, wenn sie einem Kunden für eine Viertelstunde Rede und Antwort gestanden haben. Hier ist so ein ‚Etikett‘ einer X-Tage Woche unwichtig.“ Anders sehe es bei den festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus. „Aber auch hier könnten wir mal weiter denken und eher über eine flexible Wochenarbeitszeit sprechen und uns somit von einer starren Anzahl an Arbeitstagen verabschieden. Also auch mal an einem Tag zehn Stunden (natürlich mit Pausen) arbeiten und am nächsten Tag nur drei Stunden, wenn es den Bedürfnissen der Vermittler und Arbeitnehmer entgegen kommt. Das sollte vor Ort zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden.“

Aus Sicht von Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbands deutscher Versicherungskaufleute (BVK), muss die Verkürzung der Wochenarbeitszeit differenziert betrachtet werden: „Es gibt große Unterschiede, ob es sich um Angestellte im Innendienst oder Außendienst handelt. Für selbstständige Vermittler stellt sich die Frage ohnehin anders. Diese arbeiten oft sogar deutlich mehr als Angestellte (selbst und ständig). Eine pauschale Antwort ist daher schwierig. Für selbstständige Unternehmer, die wir im BVK vertreten, ist dies eine persönliche unternehmerische Entscheidung des Inhabers. Wenn die Erreichbarkeit, Organisation und die Personalkapazität des Vermittlerbüros gewährleistet sind, spricht nichts dagegen. Ich habe jedoch Zweifel, ob dies in der Praxis dauerhaft zeitlich funktioniert angesichts diverser Stoßzeiten wie zum Beispiel die Kfz-Versicherungswechselzeit oder im Jahresendgeschäft. Ich habe auch bisher noch nicht das Gefühl, dass dies ein großes Thema unter gebundenen oder ungebundenen Vermittlern ist.“ Allerdings könne es durchaus sein, dass mit der Viertagewoche verstärkt junge Nachwuchskräfte gewonnen werden können, betont Heinz. In einer Branche mit einem so großen Nachwuchskräftemangel wie dem Finanzvertrieb sicher kein ganz unwichtiges Argument.

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