Die Zinswende an den Kapitalmärkten schlägt sich auf den Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung durch. Nachdem die Deutsche Aktuarvereinigung bereits Ende November 2023 eine Empfehlung für eine Anpassung des Höchstrechnungszinses auf ein Prozent ab 2025 abgegeben hatte, gibt das Bundesfinanzministerium nun grünes Licht. Zum 1. Januar 2025 steigt der Garantiezins auf ein Prozent. Es ist der erste Anstieg seit 30 Jahren. Wie bewerten Marktexperten die Zinserhöhung?
Grundsätzlich sei eine Anhebung des Höchstrechnungszinses auf ein Prozent vor dem Hintergrund eines gestiegenen Zinsniveaus zu befürworten, sagt Prof. Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP). Die Auswirkungen auf die Ansparphase der unterschiedlichen Produktgattungen seien verschieden: „Während für fondsgebundene Produkte ohne Garantien, zu denen laut einer Umfrage des IVFP aktuell am häufigsten beraten wird, keine Auswirkungen auszumachen sind, gibt ein höherer Rechnungszins den Versicherern bei Produkten mit Garantien mehr Spielraum bei der Höhe der Garantieleistung. Kalkulatorisch werden auch wieder Produkte mit einer Bruttobeitragsgarantie möglich sein, was den ein oder anderen Riester-Anbieter wieder auf den Plan rufen dürfte.“ Inwiefern eine Bruttobeitragsgarantie für die Kunden Sinn macht, dürfe jedoch angezweifelt werden. „Insbesondere bei kürzeren Laufzeiten dürfte die Fondsquote – der Renditebaustein – weiterhin (sehr) niedrig und eine positive Realverzinsung schwer zu erreichen sein. Vielmehr sollten die staatlich geförderten Produkte angeglichen werden, so dass bei Riester-Produkten das Garantieniveau entsprechend der individuellen Risikoneigung gewählt werden kann“, fordert Hauer.
Für klassische und indexgebundene Produkte spiele eine Erhöhung des Rechnungszinses nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend bei diesen Produkten sei die Überschussbeteiligung der jeweiligen Versicherungsunternehmen. „Bei Produkten mit Indexbeteiligung sind die Versicherer wieder etwas flexibler bei der Wahl der Garantiehöhe. Eine Bruttobeitragsgarantie bei dieser Produktgattung ist seit der Rechnungszinssenkung auf 0,25 Prozent kaum noch zu beobachten“, erklärt er. Beim Rentenübergang seien die Auswirkungen eines höheren Rechnungszinses – sofern er an den Kunden auch weitergegeben wird – über alle Produktgattungen gleich. „Ein höherer Garantiezins erhöht den Umrechnungsfaktor für die Garantierente und somit die garantierte Leibrente. Viel mehr entscheidend für zukünftige Rentenhöhen sind jedoch die Überschüsse, die der Versicherer erzielt“, so Hauer. Für Biometrieprodukte wie etwa die Berufsunfähigkeitsversicherung werden die Beiträge seiner Einschätzung nach vermutlich sinken.
Die Zinsanhebung von 0,25 auf glatt 1,00 Prozent sei ein vergleichsweise großer Schritt, ergänzt Dr. Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata: „Er schafft Freiräume in der Kalkulation, vor allem bei Risikoversicherungen, die hierdurch günstiger werden. Hoffnung liefert der Zinsschritt aber auch für Riesterverträge. Gegenwärtig bieten nur noch drei Anbieter Riester im Neugeschäft an. Das Hauptproblem liegt dabei in der Bruttobeitragsgarantie, die sicherstellt, dass die eingezahlten Beiträge zusammen mit der staatlichen Förderung zum Ende der Vertragslaufzeit erhalten bleiben. Die Zinsanhebung hilft, Kostenbelastungen auszugleichen, um die Beitragsgarantie aufrechtzuerhalten.“ Ein Renditeturbo werde Riester dadurch aber nicht. Vielmehr sei eine Reform der Garantien auch bei Riester-Verträgen dringend erforderlich. „Dies ist keine neue Erkenntnis und hierzu gibt es auch zahlreiche Vorschläge. Allerdings ist für die Umsetzung eine Mitwirkung der Politik erforderlich. Die Bundesregierung plant zwar eine Überarbeitung der privaten Altersvorsorge, darunter auch eine Riester-Reform. Hierzu hat die von der Regierungskoalition ins Leben gerufene Fokusgruppe Altersvorsorge auch bereits ihre Empfehlung abgegeben, welche in Teilen darauf abzielen, Webfehler des Produkts zu verbessern. Ob dies zeitgleich mit der Zinsanhebung in der Produktgestaltung umsetzbar ist, bleibt abzuwarten“, sagt er.
In der Vergangenheit waren die Rechnungszinssenkungen laut Will stets mit einem „Schlussverkauf“ der höheren Garantie einhergegangen. „Dies hatte den Unternehmen stets gewisse Umsatzschübe zum jeweiligen Jahresende beschert. In diesem Jahr muss sich die Branche erstmals seit 1994 mit dem umgekehrten Effekt beschäftigen. Die Produkte werden formell erst im nächsten Jahr günstiger. Dies dürfte dem verhaltenen Wachstumsoptimismus der Branche für 2024 entgegenlaufen.“ Große Effekte auf die Gesamtverzinsung von Lebensversicherungspolicen mit Garantieelementen seien durch die Rechnungszinsanhebung zudem nicht zu erwarten. Diese hänge im wesentlich davon ab, welche Rendite die Versicherer in der Neuanlage am Kapitalmarkt erzielen können.