Herr Franke, Sie sind seit 1995 mit Ratings am Markt. Was hat sich seitdem verändert?
Franke: 1995 brachte ich mein erstes Versicherungsrating auf den Markt, das war das erste qualitative Produktrating in Deutschland. Bewertet wurden dabei die Berufsunfähigkeitsversicherungen. Damals gab es nur wenige Vermittler in Deutschland, die sich wirklich mit der Berufsunfähigkeitsversicherung auskannten. Das Bewertungsverfahren hatte ich noch in meiner Zeit als Versicherungsmakler entwickelt, um die besten Tarife für meine Kunden zu identifizieren. Bis Mitte 1994 mussten die Versicherungsbedingungen vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) vorab genehmigt werden. Das Amt quittierte Abweichungen von den Musterbedingungen oft mit jahrelangen Genehmigungsprozessen, was den Markt weitgehend uniform hielt.
Doch mit der Deregulierung Mitte 1994 änderte sich das. Versicherer nahmen drastische Änderungen an den Bedingungen vor, und Verbraucher und Vermittler standen vor neuen Herausforderungen. Beispielsweise gab es Obliegenheiten, einen Berufswechsel zu melden, der Schutz war oft regional begrenzt oder Regelungen zur Umorganisation sollten auf Angestellte ausgedehnt werden, was Verunsicherung schuf. Ich erinnere mich besonders an die Klausel eines Versicherungsvereins, bei der die Bedingungen weitreichend lediglich mit Zustimmung der Mitgliedervertreterversammlung auch für bestehende Verträge geändert werden konnten.
Diese Entwicklungen zeigten, dass Versicherer die Vertragsbedingungen zu ihren Gunsten anpassten. Mein Rating entstand aus dem Bedürfnis, meine Empfehlungen als Makler zu systematisieren und eine grundsätzliche Orientierung nach dem Wegfall der Bedingungskontrolle zu schaffen. Ich analysierte Versicherungsbedingungen, Gerichtsurteile, Kalkulationen, Leistungspraxis und Geschäftsberichte und entwickelte daraus ein Punktesystem. Das Punktesystem bildet noch heute die Grundlage unserer Bewertungen.
Und wann kamen die Buchstaben dazu?
Franke: Die Idee mit den Buchstaben kam mir tatsächlich durch einen Kooperationspartner. Er hatte eine Vergleichssoftware, die mittlerweile nicht mehr auf dem Markt ist. Dieser Partner wollte Ergebnisse für seine Software haben und benötigte dafür eine Klassifizierung. Zu der Zeit war Manfred Poweleit mit seinen M- und P-Bewertungen bereits bekannt, und diese wurden ebenfalls in der Software verwendet. Also sagte ich: „Dann mache ich eben F’s.“ Ursprünglich war das humorvoll gedacht. Doch da es so schnell und gut angenommen wurde, ist es bis heute geblieben.
Inzwischen ist es ein Markenkern.
Franke: Wir haben zusätzlich Schulnoten hinzugefügt, weil Verbraucher mit Buchstaben allein wenig anfangen können. Sterne sind leichter verständlich, das kennt man von vielen Produkten. Zwar gab es 1995 bereits erste Ratings, wie von Stiftung Warentest und Kapital, aber diese bezogen sich nur auf Preisvergleiche, nicht auf Leistungen. Ein Journalist, der mich auf Tagungen gesehen hatte, fragte, ob ich Interesse hätte, meine Ergebnisse zu veröffentlichen. Im August 1995 erschien mein erster Artikel, inklusive Abbildung des ersten Ratingergebnisses – der Startschuss für qualitative Ratings in Deutschland.
Der Markt der Rating-Anbieter ist in den letzten 20 Jahren gewachsen. Erschwert die Vielzahl der Anbieter und Bewertungen nicht die Transparenz?
Franke: Die Anzahl der Anbieter im Markt war immer volatil. In den letzten 30 Jahren sind viele gekommen und gegangen. Ein Rating zu erstellen und in den Markt zu bringen, ist das eine, aber es als langfristiges Geschäft zu organisieren, erfordert eine andere Qualität. Man muss nicht nur analytisch stark sein oder eine gute Idee haben, sondern auch einen Betrieb strukturiert führen, Mitarbeiter aufbauen und stets aktuell bleiben. Im Gegensatz zu einmaligen Tests wie bei Stiftung Warentest, die nach einiger Zeit veraltet sind, muss man ständig am Puls des Marktes bleiben. Diese Herausforderung, das unternehmerisch zu stemmen und eine stabile Geschäftsgrundlage zu schaffen, erklärt, warum nicht viele Anbieter langfristig bestehen.
Wir haben immer großen Wert auf Qualität, Vollständigkeit und Aktualität gesetzt, das ist ein schwerer Weg, aber das war ein Grund, warum wir uns in Ausschreibungen in den meisten Fällen durchgesetzt haben, obwohl wir oft zu den teuersten Anbietern gehören. Wir können nicht nur behaupten, sondern nachweisen, dass unsere Arbeit gründlich ist und unsere Ergebnisse qualitativ herausstechen. Unser Vorteil ist die nachweisbare Stabilität und Belastbarkeit unserer Arbeit. Jederzeit könnten Dritte unsere Prozesse prüfen und feststellen, dass wir solide und konsistent arbeiten. Im Vergleich zu Wettbewerbern, die durchweg über viel weniger Ressourcen im Ratingbereich verfügen, zeigt sich klar der Unterschied. Das bedeutet nicht, dass wir in jedem Bereich alleiniger Anbieter sein werden, aber unser Fokus auf Qualität hat uns über die Jahre hinweg gut positioniert.
Welche Bedeutung spielen Ratings heute?
Franke: Damals hatte das Rating noch keine marktweite Bedeutung, nur einige Unternehmen legten Wert darauf. Dadurch gab es große Unterschiede in der Produktqualität und die Orientierung war vergleichsweise einfach.1997 änderte sich das, als die ersten Großvertriebe, darunter einer aus Hannover, unsere Ratings bei der Produktauswahl berücksichtigten. Sie erkannten den Vorteil externer Expertise.
Diese Entwicklung prägt den Markt bis heute: Ohne ein gutes Rating ist Erfolg im Vertrieb kaum möglich. Ratings sind fest etabliert und bieten Vermittlern Absicherung. Wir haben uns als eines der führenden Häuser positioniert, was den Druck auf gute Ratings erheblich erhöht hat. Besonders im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Wettbewerb so intensiv, dass fast jedes Unternehmen mindestens ein Top-Produkt im Portfolio hat.
Welche Macht haben Sie als Rating-Unternehmen mittlerweile?
Franke: Wir hatten stets die Absicht, Qualität zu fördern und haben im Laufe der Jahre weit mehr als der Verbraucherschutz erreicht. Während der Verbraucherschutz Missstände aufdeckt und einzelne Klagen gegen Unternehmen anstrengt, konnten wir branchenweit Weiterentwicklungen vorantreiben. Wir haben unsere Überlegungen stets frühzeitig kommuniziert und den Dialog gesucht, um unsere eigenen Ansätze zu prüfen und aus fachlichen Diskussionen zu lernen. Fachliches Know-how und Austausch mit Experten waren und sind für uns essenziell. Natürlich besitzen wir eine gewisse Marktmacht, da viele sich an unseren Ratings orientieren. Die Herausforderung liegt darin, verantwortungsvoll damit umzugehen.
Anders als oft behauptet, haben wir problematische Entwicklungen nicht initiiert. Wenn es aber mehrere Anbieter mit einer neuen Qualität gibt, findet diese Qualität Eingang in unsere Bewertungen und das sorgt dann für weitere Verbreitung. Einfach ignorieren können wir aber solche Entwicklungen nicht, denn sie sind ja bereits im Markt, wenn wir sie aufgreifen. Ein kritischer Punkt beispielsweise war 2001 der pauschale Verzicht auf die abstrakte Verweisung, gefordert übrigens von einem anderen Ratingunternehmen. Aus meiner Sicht war es ein Fehler und einer der ersten Schritte, die die Berufsunfähigkeitsversicherung zu einem elitären Produkt gemacht haben – es hätte intelligentere Lösungen gegeben, um die Härte der abstrakten Verweisung abzumildern.
Aktuell erleben wir Vergleichbares durch den Verzicht auf die konkrete Verweisung. Aber auch die unbefristet rückwirkende Leistung ab Beginn der gesundheitlichen Beeinträchtigungen rächt sich heute. Ebenfalls eingeführt von mehreren Versicherern, lange bevor es ein Ratingkriterium wurde. Wir haben ein Benchmarkverfahren und bewerten, was die Anbieter entwickeln. Wir selbst stellen keine Anforderungen für noch nicht existente Leistungsmerkmale.
Ihre Wiege ist das Segment Berufsunfähigkeit. Wie gut sind die Produkte im Markt?
Franke: Historisch betrachtet war das Thema Bedingungsqualität bereits um 2003, also vor etwa 21 Jahren, im Wesentlichen abgeschlossen. Das mag hart klingen, entspricht aber der Realität. Seither wurden bis auf Ausnahmen vor allem Feinheiten und Details hinzugefügt, die in Leistungsfällen aber kaum eine Rolle spielen. Die zentrale Frage bleibt jedoch: Woran erkenne ich, ob ein Produkt echte Stärken und Schwächen aufweist?
Ich würde sagen, im Leistungsfall.
Franke: Korrekt. Wir untersuchen jährlich zwischen 1.000 und 1.500 Leistungsfälle in Form von Stichproben bei inzwischen über zehn Versicherern, die uns – unter strikter Einhaltung des Datenschutzes – Einblick in ihre Fälle gewähren. Vor Ort analysieren wir beispielsweise detailliert die Bearbeitungsdauer und die finale Entscheidung, wodurch wir eine fundierte Leistungsstatistik haben, einschließlich der Hauptursachen für Berufsunfähigkeit. Wir wissen daher, welche Ursachen zu Berufsunfähigkeit führen. Fakt ist: Viele Änderungen in den Bedingungen der letzten Jahre spiegeln sich nicht in den tatsächlichen Leistungsfällen wider.
Das heißt?
Franke: Das ist oft eine akademische Diskussion, wenn man über teils homöopathische und nicht praxisrelevante Verbesserungen spricht. Als wir angefangen haben, ging es um entscheidende Punkte, die über Leistung oder Nichtleistung entscheiden. Wenn zum Beispiel keine weltweite Geltung besteht, ein Berufswechsel meldepflichtig ist oder erst bei voraussichtlich dauernder Invalidität gezahlt wird, kann das problematisch werden. Um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Aspekte sind im Leistungsfall relevant und haben Auswirkungen auf die Kalkulation. Demgegenüber spiegeln sich viele Bedingungsänderungen der letzten 20 Jahre kaum in der Leistungsstatistik wider.
Seite 2: „Der Preiskampf ist völlig unsinnig und wird in eine falsche Richtung geführt“