Exklusivinterview mit Nina Klingspor: „Wir sind der erste private Krankenversicherer mit elektronischer Patientenakte“

Welche Folgen erwarten Sie durch den Ukraine-Krieg und die massive Inflation?

Klingspor: Unser Geschäft läuft bislang weiter gut. Auch bei der bKV sehen wir in der Breite keine Zurückhaltung, da Arbeitskräftemangel fortbesteht und die bKV sehr kosteneffizient ist. Wir beobachten das aber sehr genau weiter.

Über die Zukunft der PKV wird aktuell nicht mehr diskutiert. Andererseits: Die Bundeszuschüsse zur GKV betrugen in diesem Jahr rund 29 Milliarden Euro. Auch die Pflegeversicherung hat in diesem Jahr erstmalig eine Milliarde Euro erhalten. 2023 sollen es rund 16,5 Milliarden Euro sein. Lässt sich bei diesen staatlichen Unterstützungen noch von fairem Wettbewerb sprechen?

Klingspor: Das steht in jedem Fall im Widerspruch zum dualen System. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das duale System und der damit verbundene Wettbewerb zwischen GKV und PKV zu einer besseren Versorgung aller führt. Wenn dieser Wettbewerb aber verzerrt wird, ist das kritisch. Es ist nicht gut, wenn die Versorgung von weiten Teilen der Bevölkerung von der Kassenlage und dem Steueraufkommen des Bundes abhängig ist. Wir haben vorhin über Nachhaltigkeit gesprochen. Es ist nicht richtig, auf Kosten der kommenden Generationen zu leben. Mit dem Steueraufkommen stopft man nur das Finanzloch für dieses Jahr. Nächstes Jahr ist das Loch mindestens genauso groß. Das Problem wird damit nur in die Zukunft verlagert.

Ein fortwährendes Ärgernis sind die sprunghaften Beitragsanpassungen aufgrund des auslösenden Faktors. Ist hier eine Lösung zu erwarten?

Klingspor: Der PKV-Verband führt Gespräche zu einer Vereinfachung und in der Politik ist für das Thema grundsätzlich Verständnis da. Ich glaube, niemand kann sich den Argumenten verschließen, denn es ist eine Verbesserung aus Verbrauchersicht, wenn die Beitragsentwicklung verstetigt wird. Wäre dieselbe Beitragsentwicklung über die Jahre verteilt, würde sie mit Inflation und Gehaltsentwicklung eher gleichlaufen und wäre nachvollziehbarer.

Stichwort Digitalisierung: Sie haben seit Frühsommer die Zulassung zur Einführung der digitalen Patientenakte erhalten. Wo stehen Sie hier aktuell?

Klingspor: Wir haben die elektronische Patientenakte (ePA) gestartet. Wir sind damit die erste private Krankenversicherung in Deutschland, die ihren Kundinnen und Kunden eine ePA anbietet. Unsere Versicherten können diese nun nutzen. Sie ist der sichere, digitale Aufbewahrungsort für die medizinischen Unterlagen der Versicherten. Über die ePA vernetzen wir unsere Versicherten mit ihren Ärztinnen, Ärzten und medizinischen Leistungserbringern.

Eine Umfrage zeigt aber, dass es bei den Kunden hier durchaus Bedenken gibt?

Klingspor: Ich glaube, die Nachfrage wird in die Zukunft gesehen groß sein. Wenn man nach vorne denkt, wie Digitalisierung in der Krankenversicherung aussehen kann, dann kann die ePA das Herzstück werden.

Die Hälfte der Deutschen hat sich noch nie Gedanken zur eigenen Pflege gemacht. Ein Drittel der Bevölkerung hat auch in naher Zukunft nicht vor, das zu tun. Zeigt eine aktuelle Studie der Axa. Wie lässt sich die Bevölkerung wachrütteln?

Klingspor: Wir sehen hier viel Unwissenheit. Viele Menschen glauben aufgrund der Pflegepflichtversicherung, sie seien gut versorgt. Tatsächlich ist das aber nur eine Teilabsicherung. Hier aufzuklären, ist für uns eine Mission. Neben der Nachhaltigkeit ist das für uns der zweite Bereich, wo ich uns in besonderer Verantwortung für unsere Kunden sehe. Aus den Gesprächen, die der Vertrieb mit den Kunden führt, wissen wir, dass die Kunden vorsorgen wollen, wenn die Problematik verstanden ist.

Das Problem ist doch, dass sich ein 25-jähriger keine Gedanken zu dem Thema macht und wenn ab dem 50 Lebensjahr gesundheitlich die ersten Schläge kommen, ist eine Absicherung finanziell kaum noch zu stemmen.

Klingspor: Natürlich ist es besser, wenn der Abschluss früh erfolgt. Mit 30 Jahren oder 35 Jahren ist der Beitrag für ein gutes Pflegetagegeld recht gering. Wichtig ist bei der Pflegeversicherung, nicht mit Angstszenarien aufzuklären. Versicherungen sollten nicht über Angst verkauft werden. Es geht um die positive Vision von Eigenständigkeit und Würde im Alter. Mit diesem Ansatz überzeugen wir die Menschen. Wir sind Marktführer im Bereich Pflege. Immerhin jede dritte neue Pflegezusatzversicherung kam Ende 2021 aus unserem Haus.

Sie haben im Frühjahr 2022 den Vertrag mit ihrem Pflegebotschafter Dieter Hallervorden verlängert. Wie ist die Resonanz?

Klingspor: Wir haben Dieter Hallervorden ja bereits vor Jahren als Botschafter gewinnen können. Und es funktioniert auch heute noch sehr gut. Mit ihm gelingt es, das Thema Pflege auf eine leichte und in Teilen auch amüsante Weise zu transportieren – mit Blick auf die Selbstversorgung und Unabhängigkeit. Unsere Pappaufsteller von Dieter Hallervorden in Lebensgröße in vielen Vertriebsagenturen sind ein Eisbrecher für das Thema.

Das Wachstum in der PKV findet zunehmend über die bKV statt. Ende 2021 hatten rund 1,6 Millionen Menschen eine betriebliche Krankenversicherung. Etwa 18.200 Firmen/Unternehmen hatten ihren Mitarbeitern eine bKV angeboten. War die Pandemie der Bewusstseinsmacher?

Klingspor: Eindeutig. Dass die bKV sich so gut entwickelt, hat aber auch mit dem sich zuspitzenden Mangel an Arbeitskräften zu tun. Viele Unternehmen sind auf der Suche nach zusätzlichen Anreizen, mit denen sich Mitarbeiter finden und binden lassen. Wie hole ich Mitarbeiter zu mir? Und wie verhindere ich, dass sie wieder gehen? Die bKV gehört zu den beliebtesten Arbeitgebernebenleistungen. Meiner Meinung nach ist sie heutzutage etwas, was man von seinem Arbeitgeber erwartet.

Ein Arbeitgeber der Vorsorgeuntersuchungen oder den Zahnarztbesuch bezahlt, erzeugt Emotionalität. Das bindet nachhaltig und erhöht das Vertrauen. Unternehmen, die eine bKV anbieten, haben einen geringeren Mitarbeiter-Turn-over als andere Firmen. Wir haben eine große Umfrage zu dem Thema durchgeführt. 4,5 Prozent der Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern haben bereits eine bKV. Das ist immer noch zu wenig, aber umso größer sind auch die Wachstumschancen. 54 Prozent der Firmen in unserer Umfrage haben angegeben, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Welche Firmen entscheiden sich für die bKV? Eher die Großunternehmen oder doch die Kleinunternehmen?

Klingspor:Wir überzeugen Kunden aus beiden Bereichen für uns. Gerade hatten wir erst einen Abschluss über 200.000 Euro Monatsbeitrag. In unserer Umfrage wollten wir wissen, welche Branchen besonders an einer bKV interessiert sind. Dabei zeigte sich, dass es vor allem Unternehmen aus dem Pflege- und Gesundheitssektor sind, aber auch aus der IT und dem Transportwesen. Alles Branchen, die Mitarbeiter suchen oder halten wollen.

Rennen die Vermittlerinnen und Vermittler bei den Unternehmen, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier offene Türen ein oder eher nicht?

Klingspor: Vor zwei Jahren war die bKV längst noch nicht so bekannt wie heute. Mittlerweile würde ich nicht mehr von Überzeugungsarbeit sprechen. Die Hälfte der Unternehmen laut unserer repräsentativen Umfrage beschäftigt sich bereits damit. Die Türen stehen dort durchaus offen.

Das wundert mich. Wir wissen aus Gesprächen, dass vielen Unternehmern nicht im Detail bekannt ist, worum es hier geht.

Klingspor: Was bei uns sehr ausgeprägt ist: Wir haben mit unserem Geschäft der betrieblichen Altersvorsorge und dem Firmenportfolio der Sachsparte wahrscheinlich den besten Zugang zu Firmenkunden deutschlandweit. Darauf setzen wir auf und das erleichtert den Zugang zu Unternehmen.

Also öffnet der Name Allianz Ihnen die Türen leichter?

Klingspor: Mit Sicherheit. Wie bei der bAV geht es bei der bKV um dasselbe Bedürfnis. Mittlerweile gehen unsere Vertriebe nicht mehr zu den Arbeitgebern und fragen, ob Interesse an bKV-Tarifen oder bAV-Produkten besteht. Wir fragen vielmehr, ob die Firma Interesse an dem Thema Mitarbeiterbindung und -findung hat. Falls ja, sprechen wir explizit über den Vorteil„Betriebliche Vorsorge“. Das überzeugt den Arbeitgeber, weil Mitarbeiter dies attraktiv finden. Wir kommen vom Kundenbedürfnis und nicht über den Produktverkauf.

Wie sieht Ihr bKV-Konzept aus?

Klingspor: Wir haben im Prinzip zwei Gruppen. Die Bausteintarife. Dort können Firmen zwischen zwölf Bausteinen auswählen. Und dann gibt es drei Budgetpakete, bei denen der Arbeitgeber festlegt, wie viel Geld den Mitarbeiter für Gesundheitsvorsorge zur Verfügung steht. Das Attraktive bei uns ist, dass man Bausteine und Budget kombinieren kann. Und das macht den Budgettarif besonders interessant. Warum? Wenn Sie einen Budgettarif mit 600 Euro haben und Zahnbehandlungen dort inkludiert sind, sind die Möglichkeiten limitiert.

Bei einer Brille passt der Leistungsumfang, bei Zahnbehandlungen eher nicht, da diese meist teurer sind. Aus dem Grund waren wir bei der APKV hinsichtlich der Budgettarife zunächst etwas zurückhaltend. Jetzt haben wir aber die Möglichkeit, dass man beispielsweise aus dem Budgettarif die Zahnbehandlungen herausnimmt und dann den reduzierten Budgettarif mit einem Zahnbaustein-Tarif kombiniert. Letztlich ist die Kombination aus Baustein und Budget nur unwesentlich teurer. Und der Mitarbeiter bekommt das Beste aus zwei Welten. Über die Hälfte unserer verkauften bKV-Tarife sind Kombinationen aus Budget plus Baustein.

Seite 3: „Ich bin dafür, die betriebliche Pflegeversicherung einzuführen“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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