EXTRA AKS: Der Wert der Arbeitskraft

Word CLoud zum Thema psychische Erkrankungen
Foto: Panthermedia
Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt immer weiter. Und das hat Folgen für die BU-Versicherer.

Das Thema Arbeitskraftabsicherung sollte auf der Agenda der Berufstätigen ganz oben steht. Tut es aber nicht. Die Frage ist, warum? Liegt es an den Produkten? Liegt es an den Versicherern? Liegt es am Vertrieb? Oder brauchen die Kunden Nachhilfe bei dem Thema?

Die Absicherung der Arbeitskraft gegen Berufsunfähigkeit ist essenziell, betonen Verbraucherschutz und Lebensversicherer unisono. Und dennoch hapert es hier doch gewaltig. So arbeiten in Deutschland aktuell rund 46 Millionen Menschen. Und ob angestellt oder selbständig – nur ein Bruchteil von ihnen hat für das Worst-Case-Szenario vorgesorgt. Nach Aussage von Michael Franke, Geschäftsführer des Rating- und Analysehauses Franke und Bornberg, Hannover, gibt es hierzulande rund 10,9 Millionen Zusatzversicherungen und rund 4,9 Millionen Selbstständig Invaliditätsversicherungen. Alles in allem also rund 15,8 Millionen Versicherungen gegen Invalidität. Die Zahlen zeigen, dass die Durchdringungsquote bei der Absicherung gegen Berufsunfähigkeit und Invalidität im Markt viel zu gering ist. 

Oft liegen Verbraucherschutz und Versicherer ja überkreuz, wenn es um die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Absicherung geht. Nicht so beim Thema Arbeitskraftabsicherung. Hier seien sich Verbraucherschützer und Experten ausnahmsweise mal einig, dass die BU-Versicherung eine der wichtigsten Versicherungen sei, sagte Kristine Rößler, Leiterin Einkommenssicherung bei der Bayerischen im Cash. Extra Roundtable Arbeitskraftabsicherung. Die Vermittler würden bei Thema Arbeitskraftabsicherung hervorragende Arbeit leisten. Dennoch: „Der Wert der BU-Versicherung ist für viele Kunden weniger greifbar als beispielsweise der eine Kfz-Versicherung. Dabei ist das wichtigste Gut, das man absichern kann, die eigene Arbeitskraft“, sagt Rößler. Wer 3.000 Euro im Monat verdiene, komme in 40 Berufsjahren bis zum Rentenalter auf einen Verdienst von über 1,5 Millionen Euro, rechnet die Mathematikerin vor. „Vielen ist schlicht nicht bewusst, wie hoch der Wert der eigenen Arbeitskraft ist“, begründet Rößler die unzureichende Durchdringungsquote. 

Dass sie mit den Zahlen im Markt nicht zufrieden sind, daraus machten die Teilnehmer des Expertengesprächs keinen Hehl. „Ich denke, es nicht allein Aufgabe der Branche, dieses Thema zu vermitteln. Vielmehr gehört es zur politischen Allgemeinbildung. Man muss sich im Klaren sei darüber sein: Wenn in der zweiten Halbzeit des Lebens etwas passiert, ist das ein Desaster, weil man dann nicht mehr für die Zukunft vorsorgen kann“, mahnte Carsten Kock, Leiter Maklervertrieb bei HDI Leben. Für Christoph Lehmann, Senior-Financial bei Valuniq sind es vor allem die fehlenden Berührungspunkte. „Bei der Kfz-Versicherung haben wir etwas über 128 Millionen Verträge, weil der Berührungspunkt klar ist. Man benötigt die Zulassung eines Fahrzeugs. Bei der BU fehlt hingegen dieser Berührungspunkt, wenn der Kunde nicht aktiv beraten wird“, sagt Lehmann. „Das Thema taucht weder im Schul- noch im Bildungssystem auf, und beim Berufseinstieg weist der Chef auch nicht darauf hin“, so Lehmann weiter. Es gehe darum, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Absicherung zu schaffen. „Hier ist nicht nur der Vertrieb gefragt, sondern auch die Versicherer und die Verbraucherschützer. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Thema“, sagt der Vertriebsexperte weiter. „Finanz- und Versicherungswissen ist etwas, was jeder braucht“, sekundierte Rößler und forderte ebenfalls, dass im Bildungssystem generell mehr finanzielle Themen vermittelt werden müssten, insbesondere zu Versicherungen. Die Expertin regte an, bei Thema Arbeitskraftabsicherung hier verstärkt mit den Verbraucherschützern zusammenzuarbeiten. „Sie spielen eine wichtige und wertvolle Rolle, da sie neutral aufklären können, welche Versicherungen wirklich notwendig sind – ohne den Verdacht etwas verkaufen zu wollen. Diese Aufklärung hilft uns, solche Produkte überhaupt in die Köpfe der Menschen zu bringen und das Bewusstsein dafür zu schärfen“, erklärt Rößler. 

Natürlich hapert es an dem Bewusstsein. Es hapert aber noch an ganz anderen Dingen: Wie vielfältig die Gründe für die mangelnde Vorsorge sind, zeigte eine Umfrage der Continentale Versicherung. So sagten 71 Prozent, dass ihnen eine BU-Versicherung schlicht zu teuer ist. Sie schätzen aber auch überdurchschnittlich oft ihre persönliche Prämie viel höher ein, als sie in der Realität wahrscheinlich ist, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Und fast die Hälfte der Befragten will ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben. Neben rein finanziellen Gründen stehen vor allem aber auch mangelnde Kenntnisse dem Abschluss einer BU-Versicherung im Weg: So gaben 42 Prozent der Befragten ohne Versicherungsschutz an, sie hätten sich zum Thema Arbeitskraftabsicherung bisher noch nicht informiert. Das gilt vermehrt für 18- bis 29-Jährige (57 Prozent). 

Seit nunmehr drei Jahren befragt die LV 1871 Berufstätige zwischen 18 und 65 Jahren zu den Themen Absicherung und Vorsorge. Und natürlich auch zur Arbeitskraftabsicherung. Was dort wiederum auffällt: Gerade junge Menschen schätzen die Risiken eines krankheitsbedingten Arbeitsplatzverlustes falsch ein. Laut dem Financial Freedom Report der LV 1871 vom November 2023 gehen 56 Prozent der befragten 18 bis 29-jährigen davon aus, ohne gesundheitliche Probleme bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten zu können. Zudem schätzen sie die Gefahr einer Berufsunfähigkeit durch physische Gesundheitsprobleme (17,6 Prozent) höher ein als durch die der psychischen Gesundheit (14,4 Prozent). Ein gefährlicher Trugschluss.  

Wie hoch das Risiko ist, durch eine psychische Erkrankung vorzeitig und zumindest zeitweilig beruflich ins Aus gekickt zu werden, zeigt eine Auswertung des BU-Versichertenbestandes der Debeka von Ende August 2024. Alles in allem hat der Koblenzer Lebensversicherer über 400.000 Männer und Frauen gegen BU versichert. Von Anfang 2023 bis Ende 2023 gab es bei der Debeka insgesamt 1.259 neu eingetretene Leistungsfälle. Zu den drei Hauptgründen gehören neben psychischen Erkrankungen – mit 49,7 Prozent Ursache Nummer eins – auch Neubildungen, zum Beispiel Krebserkrankungen, mit 13,1 Prozent und Erkrankungen des Bewegungsapparats, also Rücken, Gelenke etc., mit 11,4 Prozent. Laut Debeka kletterte der der Anteil psychischer Erkrankungen als Hauptursache für Berufsunfähigkeit auch im Jahr 2023 erneut auf einen Höchstwert. Im Vergleich zum Vorjahr, also 2022, stieg der Anteil der Psyche als Berufsunfähigkeits-Grund im Jahr 2023 um 2,2 Prozentpunkte. 

Aufhorchen lässt in dem Zusammenhang eine Meldung der AOK. Demnach erfolgten 2022 rund 20 Prozent aller stationärer Behandlungen bei den zehn bis 17-jährigen wegen psychischer Störungen. Alles in allem waren rund 81.000 Teenager mit so genannten F-Störungen zur Behandlung und Betreuung in den Kliniken. Nun gehören Schüler und Teenager verstärkt zu den  Hauptkunden der BU-Versicherer. Doch stellen die zunehmenden psychischen Erkrankungen bei Schülern oder Studenten die BU-Versicherer vor neue Herausforderungen? Zumal es gerade mit psychischen Vorbelastungen deutlich schwerer werden dürfe, glatt durch die Risikoannahmeprüfung eines BU-Versicherer zu kommen. „Es geht weniger um tatsächliche psychische Probleme, sondern oft um Fehldiagnosen von Ärzten, was ein großes Problem darstellt“, sagt Lehmann. So würden Ärzte oft ohne das Wissen der Patienten psychische Diagnosen in die Krankenakten schreiben, obwohl es die nie gegeben habe. Damit habe der Kunde dann in der Antragsprüfung ein Problem. „Ich kenne nur wenige Versicherer, die bei solchen Diagnosen tatsächlich wohlwollend auf den Kunden reagieren“, sagt Lehmann. „Zwar wird der Fall oft individuell geprüft, aber ob der Kunde letztlich wirklich abgesichert werde, ist eine andere Frage. Viele Versicherer möchten sich diese Risiken nicht ins Haus holen.“ 

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Arbeitskraftabsicherung. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.  

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