Also das sind Fehler der Vergangenheit, habe ich Sie da richtig verstanden?
Kock: Es macht keinen Sinn, eine BU-Rente von 1.000 Euro abzuschließen, außer in Fällen wie bei Schülern und Studenten, wo dies ein sinnvoller Einstieg sein kann. Wir beobachten auch, dass die Qualität der BU-Beratung und damit die Höhe der Renten stetig steigt. Es gibt heute eine deutlich höhere Sensibilität für das Thema.
Stichwort Betriebliche Berufsunfähigkeitskeitsversicherung. Welches Potenzial sehen Sie dort? Zumal es über die vereinfachte Gesundheitsprüfung deutlich leichter wird, eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu erhalten.
Kock: Wir sehen hier enormes Potenzial. In unserer Wahrnehmung ist die BU in der bAV noch stark unterrepräsentiert und wird in der Beratung zu wenig genutzt. Es sollte nicht nur um Altersvorsorge gehen, sondern auch um eine Absicherung bis zum Rentenalter. Wie bereits erwähnt, sind 100 Euro Beitrag netto oftmals nur 50 Euro, was das Ganze erschwinglicher macht. Zwar gibt es in der Rentenphase eine andere Besteuerung, aber die Vorteile überwiegen. Zudem erleichtert eine vereinfachte Gesundheitsprüfung den Zugang. Aus meiner Sicht gehört die BU fest in jede bAV-Beratung und sollte immer ein Thema sein.
Weigelt: Wir sehen ebenfalls eine positive Entwicklung mit deutlich steigender Nachfrage. Themen wie diese verschmelzen immer mehr. Als Arbeitgeber bietet man im Wettbewerb um Talente ein attraktives Benefit, indem man direkt zu Beginn des Berufslebens über wichtige Themen wie Arbeitskraftabsicherung spricht. Das schafft Mehrwert auf mehreren Ebenen: eine vereinfachte Gesundheitsprüfung und eine zusätzliche Absicherung als Benefit. Es ist ein klassisches Win-Win-Win: Der Arbeitgeber steigert seine Attraktivität, das Bewusstsein für Absicherung wächst und die Mitarbeiter profitieren. Uns liegt dieses Thema besonders am Herzen, da wir stark auf Firmenkunden und die betriebliche Vorsorge fokussiert sind. Dies schließt eben auch die betriebliche Arbeitskraftabsicherung ein. Beide Bereiche verschmelzen hier perfekt. Wir verzeichnen starke Zuwächse und eine erhöhte Nachfrage. Dennoch erfordert jede bAV-Lösung maßgeschneiderte Beratung und hohe Qualifikation.
Wir hatten in dieser Runde mehrfach die Grundfähigkeitsversicherung als Alternativprodukt ins Gespräch gebracht. Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Rößler: Wir sehen definitiv Wachstum. Die Grundfähigkeitsversicherung (GF) ist jedoch, ähnlich wie die BU, ein Produkt, das stark vom Engagement des Vermittlers abhängt. Es gibt Vermittler, die das Potenzial der GF erkannt haben und sie aktiv vertreiben. Andere hingegen meiden sie, da sie ihnen zu komplex erscheint. Wenn man mit Kunden oder im Bekanntenkreis spricht, haben die meisten noch nie von der Grundfähigkeitsversicherung gehört. Oft kommt die Frage auf: „Was ist das?“ Das zeigt, wie unbekannt dieses Produkt noch ist. Dennoch gewinnt es an Bedeutung, und laut aktuellen Statistiken macht die GF mittlerweile etwa 15 Prozent des Invaliditätsgeschäfts aus. Sie spielt also eine immer größere Rolle und hat der EU-Versicherung klar den Rang abgelaufen.
Weigelt: Oft hört man am Markt, dass die Grundfähigkeitsversicherung (GF) als eine Art „B-Lösung“ zur BU betrachtet wird. Während die BU seit Jahren etabliert ist und eine ausgereifte Marktposition mit klaren Unterschieden in den Klauseln der Anbieter hat, befindet sich die GF noch in einer Entwicklungsphase. Aus meiner Sicht ist die GF jedoch nicht nur eine „B-Lösung“, sondern eine hochwertige, eigenständige Absicherungsmöglichkeit. Der Markt ist hier noch sehr heterogen. Wir müssen das Thema stärker in die Vermittlerschaft tragen, damit Beraterinnen und Berater es als Teil einer ganzheitlichen und bedarfsgerechten Beratung mit einbringen können. Besonders wichtig ist es, die Unterschiede und Vorteile der GF im Vergleich zur BU klar zu kommunizieren. Oft wird die GF als zweitrangiges Produkt wahrgenommen, dabei hat sie ganz andere Eingangsvoraussetzungen und kann in bestimmten Situationen, wie bei Vorerkrankungen, eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung sein. Zum Beispiel kann ein Kunde, der in der Kindheit eine BU mit nur 1.000 Euro abgeschlossen hat und inzwischen Vorerkrankungen hat, durch die GF eine zusätzliche Absicherung erhalten. Selbst ein kaufmännischer Angestellter, der die Fähigkeit zu gehen verliert, wäre möglicherweise nicht berufsunfähig, aber durch die GF gut abgesichert. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die GF als Teil des umfassenden Absicherungsportfolios bekannter zu machen. Es geht darum, die individuellen Bedürfnisse des Kunden zu verstehen und ihm in seiner spezifischen Lebenssituation die beste Absicherung zu bieten.
Kock: Ja, es wächst, aber noch nicht so breit, wie wir es uns wünschen. Die Grundfähigkeitsversicherung spielt jedoch eine zunehmend wichtige Rolle am Markt. Wichtig ist, dass sie nicht nur als Plan B zur BU betrachtet wird, wenn diese zu teuer ist oder aus anderen Gründen nicht angeboten werden kann. Stattdessen muss sie individuell auf den Absicherungsbedarf des Kunden zugeschnitten sein. Viele Kunden nennen auf Nachfrage erstaunlich viele Grundfähigkeiten, die ihnen wichtig sind. Wenn man dann erklärt, dass die Absicherung auch unabhängig von der Berufsunfähigkeit greifen kann, sind viele offen dafür. Die Grundfähigkeitsversicherung ist eine sinnvolle Ergänzung, die eigenständig stehen kann und sollte.
Stichwort Marktaufklärung: Viele Kunden und Vermittler sind unsicher über die Grundfähigkeitsversicherung, auch weil sie komplex ist. Ein Grund ist, dass die Versicherer Grundfähigkeiten und Leistungsauslöser unterschiedlich definieren. Ist sie wirklich die gute Alternative?
Lehmann: Das größte Problem im Vertrieb ist die Komplexität. Grundfähigkeiten lassen sich zwar einfacher erklären als eine Berufsunfähigkeit, da man mit konkreten Beispielen wie „Ich kann meine Arme nicht mehr zehn Sekunden heben“ arbeiten kann. Das ist visuell und leicht verständlich. Allerdings erschwert die Komplexität der unterschiedlichen Tarife am Markt die Beratung erheblich. Die Intransparenz entsteht durch die Unterschiede: Der eine Versicherer deckt 15, der andere 20 Grundfähigkeiten ab. Dazu kommt etwa das Bausteinprinzip der HDI mit vielen Zusatzoptionen. Diese Vielfalt macht den Tarifvergleich schwierig.
Vor dem Hintergrund: Warum spielt die Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht die Rolle am Markt, die sie nach Meinung der Ratingexperten haben sollte?
Weigelt: Für die MetallRente haben wir einen sehr zielgruppenspezifischen Tarif entwickelt, der eine passende Absicherung bietet. Die Herausforderung ist, dass die Risikoprüfung und der Prozess sehr nah an der BU liegen. Dadurch stellt sich die Frage, ob dieser Weg den Zugang zur Absicherung wirklich erleichtert oder ob der Schritt zur BU dann nicht doch kurz ist. Für den breiten Markt würde ich die Grundfähigkeitsversicherung neben die BU stellen. Sie bietet Erleichterungen bei Gesundheits- und Antragsfragen sowie Klarheit bei der Leistungsprüfung. Aus meiner Sicht ist die EU kein Thema für den Massenmarkt.
Lehmann: Sie hat in der Tat eine Daseinsberechtigung. Wir sollten weg von dem Thema, die BU ist der Königsweg und Grundfähigkeit ist die Alternative. Wenn wir diese beiden Produkte auf eine Stufe stellen, würde ich die EU jedoch nicht gleichwertig ansehen. Sie ist eine Option, wenn der Kunde keine Absicherung über BU oder Grundfähigkeit erhält. Allerdings stellt sich die Frage, was der Versicherer davon hat, einen gesundheitlich stark belasteten Kunden in der EU zu versichern, wenn er weder für die Grundfähigkeit noch für die BU geeignet ist.
Rößler: Für handwerklich oder körperlich Tätige könnte die EU eine Alternative sein, weil sie günstiger ist und höhere Rentensummen bietet als die BU bei gleichem Preis. De facto hat die EU aber einen schlechten Ruf, ganz besonders in puncto Leistungsfall. Deshalb sehe ich die Grundfähigkeit als kundenfreundlichere Alternative, da sie greifbarer ist und man besser versteht, in welchen konkreten Fällen Leistungen erbracht werden.
Kock: Die Rating-Experten sehen die EU als Alternative, das mag stimmen. Aber weder Kunden noch der Vertrieb haben das Produkt bei uns angenommen. Wir hatten es bis 2022 im Angebot, haben es aber vom Markt genommen und durch die Grundfähigkeit ersetzt. Aus unserer Sicht ist die Grundfähigkeit das attraktivere Produkt. Der Ruf der EU, den Frau Rößler angesprochen hat, hat unsere Entscheidung beeinflusst. Insofern bieten wir das Produkt nicht mehr an, sondern setzen ganz klar auf die Grundfähigkeit.
Stichwort Leistungsfall: Wie hoch sind Ihre Leistungsquoten? Und wie lange dauert im Schnitt eine Leistungsprüfung bei Ihnen?
Rößler: Die Leistungsquote liegt bei 72 Prozent, was uns bei Morgen & Morgen ausgezeichnet hat. Das klingt zunächst einmal moderat, aber zu hohe Quoten werden von den Ratingagenturen ebenfalls kritisch gesehen. Es geht darum, valide Leistungsfälle zu identifizieren. Ein hoher Anteil der abgelehnten Fälle entsteht auch dadurch, dass nach einer Rückfrage des Versichererskeine weiteren Informationen vom Kunden eingehen.. Es stellt sich außerdem immer die Frage, wie jung oder alt ein Bestand ist. Wir zeichnen in der BU-Versicherung seit etwa zehn Jahren Neugeschäft. Das bedeutet, unser Bestand ist relativ jung und dadurch haben wir noch viele Policen, die im Zeitraum der vorvertraglichen Anzeigepflicht (VVA) liegen. Die Kennzahl als solche sollte man jedoch nicht überbewerten. Wir sind mit dieser Zahl zufrieden, weil sie zeigt, dass wir berechtigte Fälle anerkennen, aber auch sorgfältig prüfen, ob jemand wirklich BU ist.
Weigelt: Das Thema gerät oft in die Medien, wenn etwas schiefläuft. Als Branche stehen wir jedoch auf einem guten Niveau. Eine 100-prozentige Leistungsquote wäre nicht realistisch. Unsere Quote liegt in unserem Schnitt der letzten 25 Jahre bei 84 Prozent, was ein sehr guter Wert ist. Es gibt Fälle, die im Sande verlaufen, Und es gibt Fälle, bei denen keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Definition vorliegt oder sich der Zustand des Kunden verbessert hat, wie Frau Rösler erwähnte. Diese Quote zeigt, dass gute Vorarbeit und Prüfung im Antragsprozess wichtig sind. Für Swiss Life ist es entscheidend, unser Leistungsversprechen einzuhalten und das Kollektiv korrekt zu bedienen. Das beweist, dass das Produkt seine Berechtigung hat und gut funktioniert.
Kock: Für uns steht die BU in einem Dreiklang: Wir betrachten die Annahmequote, die Leistungsquote und die Prozessquote. In dem vom unabhängigen Analysehaus Morgen&Morgen ermittelten Kennzahlen von diesem Jahre weißt HDI eine Annahmequote von 83 Prozent aus, was zeigt, dass wir vielen Menschen den Zugang zur BU ermöglichen. Die Leistungsquote liegt bei 86 Prozent, sie zeigt das Verhältnis von anerkannten zu den entschiedenen Leistungsfällen und gibt dem Kunden eine gute Orientierung zum Leistungsverhalten des Anbieters. Besonders interessant ist die Prozessquote, die bei uns bei nur 0,39 Prozent liegt. Es zeigt, dass wir weder zu großzügig noch zu streng sind. Und noch als Ergänzung: Die Leistungsquote im Markt liegt bei 80 Prozent.
Abschließende Frage: Wenn ich eine BU mit 20 abschließe, soll sie ja idealerweise 45 bis 47 Jahre halten. Welche Bausteine muss das Produkt mitbringen, damit es meinen gesamten Lebenszyklus begleiten kann?
Rößler: Ein entscheidender Punkt ist, ob eine Dynamik eingeschlossen ist – sowohl Beitrags- als auch Leistungsdynamik –, um sich gegen Inflation zu schützen. Bei einer Laufzeit von 47 Jahren ist die Geldentwertung ein wichtiges Thema. Viele Produkte bieten dies, aber es bleibt zentral, um die BU-Rente vor Entwertung zu bewahren. Zweitens sollte die BU flexibel an Lebensereignisse anpassbar sein, etwa durch Nachversicherung, um bei steigendem Lebensstandard oder der Geburt von Kindern den Absicherungsbedarf zu erhöhen. Drittens ist es für Schüler wichtig, später die Berufsgruppe prüfen zu lassen, da eine verbesserte berufliche Situation, etwa als Akademiker, nochmals zu deutlich günstigeren Beiträgen führen kann.
Weigelt: Die Erwerbsbiografien wandeln sich, und das wird weitergehen. Daher brauchen wir Lösungen wie Nachversicherungsmöglichkeiten, Besserstufungen ohne Gesundheitsprüfung, Pflege- und Teilzeitklauseln. Da rund 30 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit arbeiten, sind flexible Lösungen notwendig. Wir müssen auch Akuthilfen und gezielte Leistungen für den Leistungsfall einbauen. Erwerbsbiografien sind nicht immer geradlinig, daher brauchen wir Bausteine wie BUprotect, die den Schutz bei Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung erhalten. Unser Ziel ist es, den Bedarfsschutz über 40 Jahre zu sichern und flexible Lösungen zu bieten.
Kock: Wir müssen die BU so flexibel gestalten, dass sie sich an den Lebenswandel des Berufstätigen anpasst. Das wird eine zentrale Herausforderung der Zukunft, da Arbeitsmodelle zunehmend flexibler werden. Verlängerungsoptionen werden wichtig, insbesondere wenn das gesetzliche Rentenalter weiter nach hinten verschoben wird. Diese und andere Fragestellungen erfordern, dass die BU flexibel bleibt, um den Bedürfnissen der Versicherten auch in einem sich verändernden Arbeitsumfeld gerecht zu werden.
Lehmann: Das, was Frau Rössler, Herr Kock und Herr Weigelt sagten, sind alles die Punkte, die die Spreu vom Weizen im AKS-Markt trennen. Die BU ist inzwischen sehr leistungsstark, und die Nuancen, die das Produkt flexibler machen, unterscheiden die wirklich guten Tarife. Zwei relevante Punkte, die oft übersehen werden, sind Beitragspausen und Beitragsfreistellungen. Viele aus der Generation Z oder Alpha entscheiden sich, ein Jahr nach Bali zu gehen – was passiert dann mit der BU? Hier sind flexible Lösungen nötig. Auch Revisionsrechte, etwa bei Ausschlüssen wie einem Arm, sind entscheidend. Diese Details machen den Unterschied zwischen guten und hervorragenden Tarifen aus. Gleichzeitig müssen Produkte sich den Bedürfnissen der Generationen anpassen, insbesondere bei Flexibilität und Absicherungshöhen. Eine Risikoprüfung ab 2.500 Euro BU-Rente wirkt veraltet, da die Durchschnittsgehälter steigen. Es ist wichtig, dass die Produkte sich an die Lebensrealitäten anpassen.
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