Die Durchschnittsrente, die eine Rentnerin oder ein Rentner laut dem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung aus Dezember 2024 im Jahr 2023 erhielt, lag bei 1.099 Euro. Bei Männern lag sie bei 1.346 Euro, bei Frauen bei 903 Euro. Das reicht für ein Leben im Alter bei Weitem nicht aus, insbesondere für Frauen. In vielen Großstädten Deutschlands reicht es nicht einmal mehr, um die Miete zu zahlen. Kaum verwunderlich, dass die Angst vor Altersarmut groß ist.
So zeigt die Deloitte-Studie „Ist Altersvorsorge in Deutschland noch gerecht?“ aus dem Jahr 2024, dass 84 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass die gesetzliche Rente kein ausreichendes Einkommen sichert. Unter den Befragten unter 30 Jahren glaubt nur jeder Zehnte, dass die gesetzliche Rente für ihn oder sie ausreicht. Die Studienautoren registrieren zudem wachsende Zweifel an der Leistungsfähigkeit und der gerechten Lastenverteilung zwischen den Generationen. So sank der Anteil derjenigen, die die Generationengerechtigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bejahen, von 28 Prozent im Jahr 2022 auf 17 Prozent im Jahr 2024. Besonders stark ist der Rückgang bei jungen Arbeitnehmern unter 25 Jahren: 2022 vertrauten noch 44 Prozent dieser Altersgruppe auf die gesetzliche Rentenversicherung, 2024 waren es nur noch 18 Prozent. Das Fazit: ein massiver Vertrauensverlust der jungen Generation in die staatlichen Sicherungssysteme. Fakt ist, dass die gesetzliche Rentenversicherung weiter unter Druck geraten wird, weil in den kommenden Jahren Millionen Babyboomer in Rente gehen. Eine Studie der Unternehmensberatung ZEB prognostiziert, dass die Bevölkerung in Deutschland bis 2034 um 3,2 Prozent schrumpft, der Arbeitsmarkt jedoch um 13 Prozent – was einem Verlust von sechs Millionen Berufstätigen entspricht.
Der Fachkräftemangel ist bereits spürbar und verstärkt den War for Talents. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Viele Unternehmen setzen auf die bAV als strategisches Instrument zur Mitarbeiterbindung. Eine Studie von Generali, FAZ Business Media und Forsa zeigt, dass über 50 Prozent der bAV-Verantwortlichen davon überzeugt sind, mit einer attraktiven Betriebsrente Talente anziehen oder halten zu können.
„Ein moderner Arbeitgeber muss eine vernünftige bAV anbieten – sie gehört einfach dazu“, bestätigt Frank Lamsfuß, Vorstand für Vertrieb, Marketing und IT bei der BarmeniaGothaer, im Cash.Extra Expertengespräch „Betriebliche Vorsorge“ auf Gut Fleesensee. „Allerdings ist sie längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr, um sich im War for Talents entscheidend abzuheben. Ohne bAV geht es zwar nicht, aber sie allein reicht nicht aus.“
Markt stagniert trotz Potenzial
Zwar wachsen die bAV-Umsätze, wie die Teilnehmer der Gesprächsrunde unisono bestätigten, doch die Marktdurchdringung kommt kaum voran. Das zeigen die Studien von Generali-FAZ und Deloitte. Eine Erklärung liefert Ralf Berndt, Vorstand für Vertrieb, Marketing und bAV bei der Stuttgarter Lebensversicherung: „Der Eindruck von Stagnation entsteht, weil die Zahl der Erwerbstätigen schneller steigt.“ In der Beratung sehe man jedoch keine Verunsicherung. Laut dem Stuttgarter-Vorstand zahlen inzwischen viele Arbeitgeber aufgrund des Fachkräftemangels mehr als die verpflichtenden 15 Prozent. Lamsfuß sieht den höheren Arbeitgeberzuschuss als wesentlichen Treiber. In Unternehmen, die über die gesetzlich vorgeschriebenen 15 Prozent hinausgehen, sei die Bereitschaft zum Abschluss einer bAV deutlich höher. „Die Akzeptanz steigt, was sich in einer höheren Durchdringung zeigt“, sagt Lamsfuß.
Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit. „Viele Arbeitnehmer nutzen die bAV schlicht nicht, weil sie sich nicht damit befassen – obwohl sie ihnen angeboten wird“, gibt Karol Musialik, Generalbevollmächtigter der Bayerische Lebensversicherung, zu bedenken. Der Lebensversicherungsexperte und Aktuar fordert angesichts der niedrigen Durchdringungsquote, gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, ein Opt-out-Modell. „Ohne ein solches Modell bleibt zu viel Potenzial ungenutzt. Eine automatische Einbindung wäre dringend notwendig.“ Widerspruch kommt vom bAV-Experten und Stuttgarter-Vorstand Berndt. In Großbritannien gebe es eine verpflichtende bAV, doch viele würden die Opt-out-Option ziehen und darauf verzichten. Einig waren sich die Teilnehmer jedoch, dass das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) ein richtiger und wichtiger Treiber gewesen sei. „Das BRSG I hat spürbar zur Sensibilisierung beigetragen“, bestätigt Lamsfuß. Dringend notwendig seien aber weitere Reformen.
Eine weitere Erkenntnis der Studien: Gerade Arbeitnehmer mit unterdurchschnittlichem Einkommen fallen durch das bAV-Raster, da ihnen schlicht das Geld fehlt. „Ein verpflichtender Arbeitgeberbeitrag oder die § 100-Förderung wären sinnvolle Maßnahmen, reichen aber nicht aus. Das Hauptproblem ist oft mangelnde Beratung, nicht die Finanzierung. Selbst in Niedriglohnbranchen investieren Arbeitnehmer mit 1.800 Euro Bruttogehalt in die bAV – wenn sie die Vorteile verstehen. Neben der Beratung ist der Gesetzgeber gefragt, Vereinfachungen zu schaffen. Die geplante § 100-Förderung ist ein guter Ansatz. Wenn Arbeitgeber 100 Euro beisteuern, kann ein Arbeitnehmer mit geringem Eigenaufwand sinnvoll vorsorgen. Besonders Beschäftigte mit 2.000 bis 2.500 Euro Einkommen benötigen rund 200 Euro bAV-Beiträge, die mit staatlicher Förderung und Arbeitgeberzuschüssen mit nur 25 Euro Eigenaufwand möglich wären“, sagt BBVS-Experte Karsten Rehfeld.
Verpasste Chancen durch gescheiterte Reformen
Die Expertenrunde bedauert, dass die Bundesregierung das BRSG II kurz vor dem Start gestoppt hat. „Es wurde eine Legislaturperiode vergeudet, ohne neue Impulse für die bAV“, lautet die kritische Bilanz. Wann und wie es unter einer künftigen Bundesregierung weitergeht, bleibt abzuwarten. Doch die Rentenfrage muss dringend angegangen werden, da die gesetzliche Rentenversicherung umfassende Reformen benötigt. „Dafür müssen wir über Besitzstände sprechen. Mutige Entscheidungen sind nötig und die Zeit dafür ist jetzt“, betont Rehfeldt abschließend. Zudem sollte die betriebliche Vorsorge entpolitisiert werden. „Die Renten- und Versorgungssysteme, insbesondere die bAV, brauchen tiefgreifende Reformen und klare Strukturen“, ergänzt Sven Tänzer, CEO von Enovetic Global. Und BarmeniaGothaer-Vorstand Lamsfuß mahnt: „Die Politik muss jetzt handeln, denn in einem Jahrzehnt wird es zu spät sein. Das ist der letzte Weckruf für eine echte Reform.“
Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Betriebliche Vorsorge. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.