EXKLUSIV

EXTRA Betriebliche Vorsorge – Roundtable: „Das ist der letzte Weckruf für eine Reform“

Lamsfuß: Auch Arbeitgeber brauchen mehr Rechtssicherheit – besonders bei abgesenkten Garantien. Trotz steigenden Höchstrechnungszinses wäre es wenig sinnvoll, sie zu einer 100-Prozent-Garantie zu zwingen. Ein rechtlich abgesichertes Garantieniveau von 80 bis 90 Prozent würde mehr Flexibilität und Planungssicherheit bieten. Ein zentrales Thema ist die sozialpolitische Verantwortung, eine lebenslange Absicherung zu gewährleisten. Es ist problematisch, immer wieder die Diskussion zu führen, ob Leibrenten verpflichtend sein sollten oder nicht – finanzielle Sicherheit bleibt bis zum Lebensende essenziell. Das gilt nicht nur aus sozialpolitischer Perspektive, sondern auch aus Sicht der Steuerzahler: Wenn staatliche Förderung in die bAV fließt, muss sichergestellt sein, dass diese Vorsorge tatsächlich bis zum Lebensende trägt.

Ralf Berndt: „Unsere Forderung bleibt, wir brauchen Rechtssicherheit.“ Foto: Florian Sonntag

Herr Lamsfuß, Sie haben die reduzierte Beitragsgarantie als chancenorientierte Anlage beschrieben. Die Deloitte-Studie zeigt jedoch, dass viele Personalverantwortliche weiterhin 100 % Beitragsgarantie in der bAV bevorzugen. 

Lamsfuß: Ich denke, der Wunsch vieler Arbeitgeber nach einer 100-Prozent-Garantie hängt stark mit der fehlenden Rechtssicherheit in der beitragsorientierten Leistungszusage zusammen. Risikoaverse Arbeitgeber fordern maximale Sicherheit, um Haftungsrisiken zu vermeiden. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Die meisten Abschlüsse erfolgen bereits mit abgesenkten Garantien von 80 bis 90 Prozent. Diese bieten weiterhin hohe Sicherheit und ermöglichen zugleich eine chancenorientierte Kapitalanlage. Wünschenswert wäre eine bessere politische Absicherung dieser Garantien. Das würde nicht nur mehr Vertrauen schaffen, sondern auch den Spielraum für nachhaltige und renditeorientierte Altersvorsorgemodelle erweitern.

Rehfeldt: Ich bin ein klarer Befürworter der reinen Beitragszusage nach angelsächsischem Modell. Mein Wunsch an die Politik: Diese für alle Durchführungswege zu ermöglichen, ohne unternehmens- oder versorgungswerkbezogene Garantien auszuschließen. Arbeitnehmer sollten selbst wählen können, ob sie eine 60-Prozent-Garantie wünschen. Oft wird übersehen, dass Arbeitgeber für Garantien haften. Viele setzen daher auf 100 Prozent-Garantien, um Risiken zu vermeiden – ob Versorgungsträger sie langfristig halten können, bleibt ungewiss. Einige Beitragszusagen mit Mindestleistung könnten sich als nicht tragfähig erweisen. Um die bAV attraktiver zu machen, müssen Bürokratie und Haftung für Arbeitgeber reduziert werden. Studien zeigen, dass das Renditeniveau bei Garantien zwischen 80 und 60 Prozent deutlich steigt, unter 60 Prozent jedoch kaum noch. Angesichts langer Laufzeiten sollten wir mutiger denken. Wir brauchen aber dringend Rechtssicherheit. Diese Entscheidung muss politisch geregelt werden – andernfalls wird es irgendwann das Bundesarbeitsgericht tun. 

Berndt: Das sollten wir unbedingt vermeiden. Wie Frank Lamsfuß bereits betont hat, fordern wir Rechtssicherheit – etwa eine gesetzliche Regelung für eine BOLZ mit 80 Prozent Garantie. Das war auch eine zentrale Forderung im Gesetzgebungsverfahren zum BRSG II. Doch die fehlende Konsequenz der Politik ist offensichtlich. Während das Sozialpartnermodell mit Nullgarantie gesetzlich ermöglicht wurde, weigert sich dasselbe Ministerium, eine reine Beitragszusage für andere Durchführungswege zuzulassen. Das wirkt ideologisch motiviert: Während tarifgebundene Modelle mit Gewerkschaften gefördert werden, bleibt der Mittelstand außen vor. Dies behindert die echte Verbreitung der bAV. Unsere Forderung bleibt: Wir brauchen Rechtssicherheit.

Wie sieht es der Pensionsfondsanbieter? 

Tänzer: Für unsere Branche ist das ein zentrales Thema. Wir arbeiten seit jeher mit der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML), einer 100-Prozent-Beitragszusage, und haben gute Erfahrungen gemacht. Doch unser internationaler Pensionsfonds zeigt, wie unterschiedlich Modelle wirken. In Portugal, mit einem klassischen Beitragszusagesystem, wird deutlich, wie stark Garantien die Flexibilität einschränken. Arbeitgeber legen großen Wert auf Garantien, vor allem wegen der Nachprüfungspflicht. Doch für die bAV-Durchdringung ist das weniger entscheidend. Trotz vieler Ansätze stagniert die Verbreitung. Das Hauptproblem sind nicht allein die Garantien, sondern fehlende Rechtssicherheit und komplexe Rahmenbedingungen. 

Musialik: Ich appelliere an die Politik, endlich Klarheit zu schaffen. Ob 100, 90 , 80 oder 60 Prozent Garantie – wir brauchen eine eindeutige Regelung. Ein weiteres Problem sehe ich beim Verkaufsprozess. Arbeitgeber erhalten oft Angebote mit unterschiedlichen Garantien. Weniger Garantie bedeutet mehr Investitionen in Fonds, da nur ein Teil ins Sicherungsvermögen fließt. So weit, so logisch. Doch selbst bei identischen Bedingungen – gleiche Garantie, gleiche Fonds, gleiche Kosten – können die prognostizierten Ablaufleistungen erheblich voneinander abweichen. Warum? Weil es keine einheitliche Regel für die Hochrechnung der Verträge gibt. Manche Modelle setzen Sicherungsvermögen und Fonds gleich an, andere bewerten sie unterschiedlich. Das sorgt für Verwirrung im Vertrieb. Wenn ich als Berater drei vergleichbare Angebote präsentiere, aber jedes mit einer anderen Ablaufleistung endet, dann fehlt jede Transparenz. 

Karol Musialik: „Geringverdiener stehen bei der Altersvorsorge oft zuerst vor der Frage „Wovon soll ich das finanzieren.“

Foto: Florian Sonntag

Der Begriff ‚War for Talents‘ fällt oft, wenn es um betriebliche Vorsorge geht. Wie zentral ist dieses Argument tatsächlich für Arbeitgeber? Ist die betriebliche Kranken- oder Altersvorsorge primär ein Instrument zur Mitarbeitergewinnung und -bindung, oder spielen andere Faktoren eine ebenso große Rolle?

Lamsfuß: Die bAV ist im Markt ein Hygienefaktor. Ein moderner Arbeitgeber muss eine vernünftige bAV anbieten – sie gehört einfach dazu. Allerdings ist sie längst kein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal mehr, um sich im War for Talents entscheidend abzuheben. Ohne bAV geht es zwar nicht, aber sie allein reicht nicht aus, um die Arbeitgeberattraktivität signifikant zu steigern. Anders sieht es bei der bKV aus, die als jüngerer Zweig noch wächst. Wir beobachten, dass die Hauptmotivation für Arbeitgeber klar in der Stärkung ihrer Marke liegt. Ein großer Vorteil der bKV ist ihre Wahrnehmbarkeit: Während die bAV langfristig absichert, erleben Mitarbeiter die Vorteile der bKV sofort. Zudem hat der Arbeitgeber einen direkten Nutzen. Studien belegen, dass eine gute Gesundheitsvorsorge die Arbeitsunfähigkeitsquote senken kann. 

Rehfeldt: Die bAV ist ein Benefit, den man haben muss – doch sie allein hebt einen Arbeitgeber nicht von der Masse ab. Sie wird erst im Unternehmen erlebbar, selbst eine Direktversicherung mit 15 Prozent Arbeitgeberzuschuss erfüllt diese Erwartung. Gezielt eingesetzt kann die bAV jedoch als Bindungsinstrument wirken. Ein Praxisbeispiel: Ein Stufenmodell koppelt die Höhe der bAV an Betriebszugehörigkeit und Gehalt. So weiß ein Mitarbeiter von Beginn an, welche Versorgungsanwartschaft er über die Jahre aufbaut. Regelmäßige Versorgungsurkunden dokumentieren seinen steigenden Anspruch und verstärken die Bindung. Große Unternehmen nutzen solche Modelle mit Direktzusagen, doch sie lassen sich auch versicherungsförmig abbilden. Die bKV hingegen ist ein echter „Kracher“ für Mitarbeiterbindung und -gewinnung. Gesundheit ist emotional. Wenn Arbeitgeber etwa die Versicherungsprämien für Kinder übernehmen, entsteht eine Bindung, die kaum zu übertreffen ist.

Wir hören in Gesprächen immer wieder das Argument, dass die bKV im Zweifelsfall als Türöffner fungiert. 

Lamsfuß: Die aktuelle Markterfahrung zeigt eher das Gegenteil: Die bAV ist häufig der Türöffner für die bKV. Arbeitgeber mit beiden Versorgungsmodellen haben meist ein starkes Verantwortungsbewusstsein und setzen zuerst auf die bAV. Diese ist oft etabliert, bevor die Entscheidung für eine bKV fällt. Auch im Vertrieb zeigt sich dieser Trend: Makler, die bAV-Lösungen implementiert haben, schaffen den Zugang zur bKV. Obwohl die bKV schnell an Akzeptanz gewinnt, hat sie noch keine ausreichende Marktdurchdringung, um selbst als Türöffner für die bAV zu fungieren – eher umgekehrt. Gleichzeitig steigt das Bewusstsein für Gesundheit, besonders im Mittelstand. Inhabergeführte Unternehmen erkennen zunehmend die Bedeutung der Gesundheitsvorsorge und möchten gezielt etwas für ihre Mitarbeiter tun.

Dürfte das bei der Stuttgarter künftig auch der Ansatz werden, wenn Sie mit der SDK fusioniert sind, Herr Berndt? 

Berndt: Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Weg mit Begeisterung gehen. Ein zentrales strategisches Ziel – und zugleich ein wichtiger Treiber unserer Entscheidung – ist das Geschäftsfeld betriebliche Vorsorge. In Unternehmen, in denen wir als Stuttgarter bisher ausschließlich die bAV angeboten haben, erleben wir eine starke Nachfrage nach der bKV. Viele Arbeitgeber wünschen sich eine ergänzende Lösung aus einer Hand. Deshalb wird die betriebliche Vorsorge das erste Feld sein, in dem wir – sobald alle aufsichtsrechtlichen und formalen Voraussetzungen erfüllt sind – mit einem gemeinsamen Angebot starten.

Seite 3: „Unsere Rente ist alles andere als sicher“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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