Stichwort Nachhaltigkeit. Welche Rolle spielt das Thema in der bAV? Wir hören, dass es im Vertrieb auf wenig Gegenliebe stößt
Lamsfuß: Auf der vertrieblichen Seite sehe ich nicht so das Problem. Gesellschaftlich gibt es zwar eine hohe Akzeptanz, aber die Regulatorik ist so aufwendig, dass es sehr schwierig ist, das Thema bei der ohnehin bestehenden Komplexität im Beratungsgespräch auch adäquat abzubilden. Und das macht es im Moment fordernd.
Berndt: Die aktuelle regulatorische Situation stellt in der Beratung eine große Herausforderung dar, besonders die vorgeschriebene Präferenzabfrage. In der Praxis ist es schwer, alle Anforderungen zu erfüllen. Gleichzeitig sehen wir ein starkes Interesse von Unternehmen, soziale Verantwortung zu übernehmen – sei es durch bAV, Invaliditätsabsicherung oder bKV. Besonders attraktiv wird dies, wenn sich nachhaltige Aspekte, etwa ESG-Kriterien, einbinden lassen. Unsere Zahlen bestätigen den Trend: Über 50 Prozent des bAV-Neugeschäfts entfallen auf nachhaltige Produkte – ein klares Signal aus der Wirtschaft. Doch das Potenzial wäre noch größer, wenn regulatorische Vorgaben einfacher und transparenter wären.
Musialik: Nachhaltigkeit hat bei der Bayerischen eine neue Dimension eröffnet. Ein Meilenstein war 2017 die Auflage unseres Pangaea Life-Fonds. In Kundengesprächen zeigte sich, dass dieser Fonds eine neue Verständlichkeit schafft: Er investiert gezielt in Windkraft- und Solaranlagen, macht Nachhaltigkeit greifbar und zeigt konkret, wohin die Beiträge fließen. Plötzlich verlagerte sich die Diskussion weg von abstrakten Versicherungsmodellen hin zu realen Projekten. Kunden konnten sich identifizieren. Das war ein Erfolgserlebnis – ein Versicherungsthema, das echte Begeisterung weckte. Doch Nachhaltigkeit allein reicht nicht. Kunden erwarten, dass nachhaltige Investments nicht nur ethisch sinnvoll, sondern auch finanziell attraktiv sind. Erst die Kombination macht das Gesamtpaket überzeugend.

Ohne die Digitalisierung wird die bAV nicht die Relevanz bekommen. Wo steht hier der Markt?
Rehfeldt: Die Digitalisierung der bAV ist eine große Herausforderung. Unterschiedliche Schnittstellen, Formate und Verwaltungssysteme erschweren die Umsetzung. Mit 16 bAV-Varianten und 200 bis 300 Versorgungsträgern ergibt sich eine enorme Vielfalt. Versicherungsscheine und Versorgungszusagen sind oft nicht digital verfügbar, obwohl Arbeitgeber genau das erwarten. Viele arbeiten noch mit Papierakten, selbst große Anbieter wie DATEV oder SAP haben nicht alle Prozesse digitalisiert. Personalabteilungen wünschen sich einfache, automatisierte Abläufe – doch oft scheitert es an der Praxis. Während Arbeitgeberverwaltung digital funktioniert, dominieren danach oft noch Papierprozesse. Einige Versicherer verweigern PDF-Dokumente und setzen weiter auf Postversand. Auch in der bKV erschweren verschiedene Tarife und Systeme die Verwaltung. Die Zukunft liegt in Schnittstellen und KI: eine zentrale, automatisierte Lösung, die alle Systeme vernetzt und Prozesse auf einen Knopfdruck reduziert. Genau das wünschen sich viele Personaler.
Abschließende Frage: Wir werden im Frühjahr eine neue Bundesregierung bekommen. Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Tänzer: Die betriebliche Vorsorge muss entpolitisiert werden. Ein aktueller ZDF-Bericht zeigte, wie unser Arbeitsminister die Einschätzungen der Wirtschaftsweisen abtat: „Das ist deren Meinung.“ Doch wenn wir Experten beauftragen, müssen wir auf sie hören. Die Renten- und Versorgungssysteme, insbesondere die bAV, brauchen tiefgreifende Reformen und klare Strukturen. Vereinfachung und Entpolitisierung sind essenziell. Trotz politischer Herausforderungen blicken wir optimistisch auf 2025. Wir haben gelernt, uns an die Rahmenbedingungen anzupassen und unser Geschäft entsprechend auszurichten.
Lamsfuß: In der bKV wäre es sinnvoll, ein Drei-Säulen-Modell zu etablieren – bestehend aus der Grundversorgung über die gesetzliche Krankenversicherung, einer betrieblichen Säule und der privaten Vorsorge. Würde die steuerliche Behandlung an die bAV angelehnt, wäre die bKV für Arbeitgeber attraktiver und besser kalkulierbar – ein echter Wachstumstreiber, der zudem das GKV-System entlasten könnte. Zudem sehe ich die Pflegeversicherung als einen der größten sozialen Sprengsätze der Zukunft. Ein Blick auf die Demografie reicht aus, um zu erkennen, was auf uns zukommt: Die Babyboomer-Generation geht in Rente. Die Politik muss jetzt handeln, denn in einem Jahrzehnt wird es zu spät sein. Das ist der letzte Weckruf für eine echte Reform.
Musialik: Ich wünsche mir von der Politik vor allem eines: klare und gerechte Regeln für die Altersvorsorge. Statt Interpretationsspielräume zu lassen, braucht es eindeutige Vorgaben, damit Unternehmen, Berater und Bürger wissen, worauf sie sich verlassen können. Die junge Generation ist sich der Herausforderung, die auf sie zukommt, noch nicht bewusst. Unsere Rente ist alles andere als sicher, und genau hier brauchen wir ein nachhaltiges, gerechtes System, das langfristig funktioniert.
Rehfeldt: Eine zusätzliche Förderung der bAV ist sinnvoll; zudem braucht die gesetzliche Rentenversicherung Reformen. Dafür müssen wir über Besitzstände sprechen. Das ist unangenehm. Vielleicht gelingt es einer neuen Regierung, echte Reformen anzustoßen. In der bKV und Pflegeversicherung wäre ein steuerfreier Arbeitgeberbeitrag wünschenswert. Es gab Entwürfe, doch sie wurden nie umgesetzt. Zudem muss Altersvorsorge gerechter werden. Ein Solidarsystem funktioniert nur, wenn alle dazu beitragen. Wenn sich 50 Prozent der Bevölkerung finanziell zurückziehen, wächst die Belastung für wenige. Mutige Entscheidungen sind nötig – und die Zeit dafür ist jetzt.
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