EXTRA Betriebliche Vorsorge Roundtable: „Das ist oft Guerilla-Arbeit“

Vorhin fiel der Begriff TikTok. Welche Rolle spielt Social Media in der bAV? 

Dickner: Bei uns nutzen viele Maklerbetreuer Social Media gezielt, um junge Makler anzusprechen und langfristige Bindungen aufzubauen. Gerade die jüngeren Makler sind jedoch stark auf Social Media aktiv und generieren dort auch Leads – das ist durchaus beeindruckend. Die Zahl der Vertriebspartner, die Social Media nutzen, wächst. Sie generieren nicht nur private, sondern auch bAV-Kontakte. Was daraus entsteht, ist sehr unterschiedlich, aber die Vernetzung untereinander über Social Media ist extrem stark. 

Prost: Wichtig ist, alle Kanäle zu bespielen. Es gibt Berater, die über Social Media agieren, und andere, die vor Ort bei einer Betriebsversammlung präsentieren. Oft ist es ganz simpel: Der Berater steht mit einem Flipchart vor den Mitarbeitern und erklärt die Vorteile. Beide Konzepte funktionieren.

Ritzer: Wir arbeiten viel mit jungen Maklern und sehen, dass sie strategisch vorgehen: Sie testen Kanäle, finden heraus, wo sie Kunden erreichen, und generieren punktuell Leads. Das reicht von klassischen Ansätzen bis hin zu modernen Methoden wie TikTok-Videos. Unsere Branche bietet inzwischen alles – von der traditionellen Akquise bis zu Social-Media-Kampagnen.

Boysen: Im Privatkundensegment sehen wir es bei der Allianz durchaus, aber in der bAV nehme ich es noch nicht so wahr. Fakt ist, dass sich ein zusätzlicher Kommunikationskanal entwickelt hat, den man ebenfalls bedienen muss. Dadurch erweitert sich die Bandbreite der Ansprachemöglichkeiten. Man könnte das als Erhöhung der Komplexität sehen, aber ich denke, es spiegelt einfach die Realität wider.

Krath: Es gibt sehr unterschiedliche Zielgruppen: alteingesessene Unternehmen mit traditionellen Betriebsstrukturen und junge Start-ups, die ganz anders angesprochen und beraten werden müssen. Die Branche reagiert darauf mit einem vielfältigen Beratungsansatz. Einige Influencer arbeiten mit Spezialisten zusammen und leiten an diese weiter. Wenn das dazu führt, dass sich Start-ups mit dem Thema auseinandersetzen und am Ende eine fundierte Beratung für ihre Mitarbeiter erhalten, sehe ich das absolut positiv.

Welche Bedeutung hat die digitale bAV-Verwaltung, Frau Ritzer?

Ritzer: Die Digitalisierung ist unverzichtbar. Unsere Plattform vernetzt alle bAV-Beteiligten: Arbeitgeber, Vermittler, Produktanbieter und Arbeitnehmer. Der Vermittler spielt dabei eine zentrale Rolle und braucht Tools, um komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln. Wir unterstützen ihn unabhängig von Anbietern, damit er Themen wie Leistungsphasen, Unterschiede zwischen privater und betrieblicher Vorsorge oder Auswirkungen auf die Sozialversicherung leicht erklären kann. Arbeitgebern ist eine einfache Administration wichtig, da Personalbewegungen und Geschäftsvorfälle effizient abgewickelt werden müssen. So senken wir die Hemmschwelle für bAV.

Dickner: Man muss zwischen digitaler Information und Verwaltung trennen. Digitale Tools bieten eine klare Struktur und Vollständigkeit der Information. Diese Verfügbarkeit von vollständigen Informationen ist in der Beratung für alle Beteiligen enorm wichtig. Bei der Verwaltung sehe ich es zweigeteilt: Größere Unternehmen profitieren enorm von digitalen Lösungen, aber kleine Arbeitgeber sind oft überfordert. Bei seltenen Geschäftsvorfällen fehlt ihnen die Routine, und dann wird selbst ein einfaches Tool zur Herausforderung. 

Schlögl: Auch Firmen, die ausschließlich per E-Mail Vorgänge übermitteln, werden sich spätestens mit dem nächsten Generationenwechsel  anpassen müssen. Daher müssen wir Prozesse frühzeitig digitalisieren. Wir sehen seit zwei bis drei Jahren eine steigende Nachfrage nach digitalen Lösungen. Wie Online-Banking heute selbstverständlich ist, erwarten auch unsere Kunden zunehmend digitale bAV-Prozesse bis hin zur Verarbeitung in Echtzeit. Das ist nicht überall möglich, aber der Anspruch wächst. Anträge und Bestandsänderungen sollten zumindest online eingereicht und Beratungen digital durchgeführt werden können. Diese Erwartungen müssen wir erfüllen.

Prost: Die Praxis zeigt, dass bei Unternehmen mit 150 Mitarbeitern aufwärts die erste Frage oftmals lautet: „Haben Sie eine digitale Verwaltungslösung?“ Ohne die ist man direkt raus. Service ist extrem wichtig, vor allem bei Ausschreibungen.  

Krath: Digitalisierung bedeutet mehr als nur Verwaltung über Plattformen an sich, sondern auch Service. Entscheidend ist, ob ein persönlicher Ansprechpartner den Gruppenvertrag betreut. Solche „weichen“ Faktoren sind oft ausschlaggebend. Früher dachte ich als Mathematikerin, der beste Tarif müsse gewinnen. Heute weiß ich, dass Service und Prozessqualität genauso wichtig sind. Der persönliche Kontakt ist in der bAV-Beratung zentral, besonders bei großen Kollektiven. Kunden wünschen sich einen festen Ansprechpartner mit fundierten Kenntnissen zu ihrem Vertrag. Eine direkte Durchwahl ist unerlässlich, um Vertrauen und Verbindung zu schaffen.

Welche Rolle spielt die persönliche Beratung in dem Prozess: Ist sie  immer noch vonnöten und ist sie auch gewünscht in der bAV? 

Boysen: Der persönliche Kontakt wird vor allem bei komplexeren Themenfeldern entscheidend. Je tiefer wir in die betriebliche Vorsorge eintauchen, desto wichtiger ist die spezialisierte Beratung durch den Vermittler. Wenn ein Arbeitgeber ein bestimmtes Budget vorgibt und die Mitarbeiter zwischen bKV und Altersvorsorge wählen können, muss die Beratung parallel ablaufen. Dann gilt es, die Bausteine so einfach wie möglich zu gestalten. Es gibt hier keine einheitliche Lösung. Künftig wird es immer eine Mischung aus persönlicher und digitaler Beratung geben, je nach Branche und Unternehmensstruktur. Manche Themen werden digital umsetzbar sein, andere erfordern eine tiefgehende, persönliche Beratung. Digitale Tools bieten dabei einen erheblichen Mehrwert und erleichtern die Prozesse, auch wenn sie zunächst eine gewisse Anpassung erfordern. 

Schlögl: Digital bedeutet nicht automatisch unpersönlich. Wir kombinieren beides. Die Berater sind nach wie vor präsent, auch wenn sie nicht mehr physisch am Tisch sitzen, sondern häufig am anderen Ende der Leitung. Digitale Tools ermöglichen es, Beratung online abzuhalten. Das ersetzt heute größtenteils die früher üblichen, zeitaufwändigen Besuchsfahrten quer durch das Land. Nur in Ausnahmefällen gibt es noch persönliche Vor-Ort-Termine. Dadurch entsteht eine hybride Lösung: persönliche Beratung, aber digital umgesetzt. Genau diese Kombination ist es, die die Kunden heute erwarten.

Prost: Die Vorstellung, dass sich Arbeitnehmer eigenständig durch eine Beratungsplattform klicken und dann einfach auf „Kaufen“ drücken, ist unrealistisch. Besonders in der bAV gibt es viele arbeitsrechtliche Fragen, wie bei Arbeitgeberwechseln oder Pensionszusagen. Bei der Beratung von Gesellschafter-Geschäftsführern bewegen wir uns oft im Bereich der BFH-Rechtsprechung und BMF-Schreiben. Hier wird immer fundierte Beratung benötigt, etwa bei der Auslagerung von Pensionszusagen, da viele Optionen – wie die Kombination von verschiedenen Durchführunngswegen –  nicht optimal genutzt werden.

Dickner: Bei standardisierten Themen mag es digital funktionieren. Aber sobald in der betrieblichen Vorsorge komplexere Produkte wie bKV oder bBU ins Spiel kommen, ist ein Berater vor Ort unerlässlich. Digitale Tools, Verwaltungssoftware und Abschlussstrecken können unterstützen, besonders bei hybriden Prozessen. Solche digitalen Wege funktionieren gut, wenn die Vorgaben des Arbeitgebers klar kommuniziert sind und die Beratung relativ einfach gehalten wird. Aber eines bleibt – mit Beratern werden wir die Verbreitung der bAV schneller und bedarfsgerechter erhöhen können.  

Ritzer: Es gibt immer mehr Vermittler, die sich an eine ganzheitliche und konzeptionelle Beratung herantrauen. Sie gehen oft schrittweise vor: Heute wird ein Thema umgesetzt, nächstes Jahr das nächste. So entwickeln sie eine langfristige Beziehung zum Arbeitgeber und geben das Gefühl, stets präsent zu sein.

Die digitale Rentenübersicht ist kommendes Jahr obligatorisch. Welche Vorteile sehen Sie in der DRÜ für sich und auch in Bezug auf die bAV?

Prost: Eine Übersicht ist schön und macht vieles einfacher, aber man muss sich aktiv damit beschäftigen. Der Berater kann es greifbarer machen. Man sollte sich vorab informieren, ähnlich wie bei einem technischen Produkt, bei dem man sich zuerst einliest und dann beraten lässt. Aber man muss den Endkunden auch ein bisschen drauf schubsen und sagen: „Befasse dich mal damit, was das tatsächlich bedeutet.“

Boysen: Wir bei Allianz Leben waren in der Pilotphase dabei und liefern Vertragsdaten für Verträge mit jährlicher Standmitteilung und hinterlegter Steuer-ID. Aktuell gibt es rund 100 Abrufe pro Tag. Die Übersicht ist hilfreich, doch die Gehaltsdaten sind oft unvollständig. Deshalb bieten wir einen Rentenkompass an, der auch Vermögenswerte und Inflation simuliert. Die Rentenübersicht zeigt meist nur Bruttowerte und weckt den Bedarf an Beratung. Früher hieß es „Bring deinen Rentenbescheid mit“, heute ist es die digitale Übersicht, die als Basis dient. In der betrieblichen Altersvorsorge sehe ich jedoch weniger Potenzial.

Dickner: Die jährliche Renteninformation in Papierform war ein guter Anfang, und die digitale Rentenübersicht ist die logische Weiterentwicklung. Besonders für Zielgruppen mit hohem Absicherungsbedarf kann sie für den Vertrieb eine wertvolle Unterstützung darstellen und stark zur Sensibilisierung des Bedarfs an zusätzlicher Altersvorsorge beitragen. Hier wäre es wichtig, auch Nettoangaben einzubeziehen, da eine reine Bruttodarstellung oft wenig hilfreich ist.

Krath: Der Prozess ist kompliziert. Ich habe mich selbst durchgeklickt und festgestellt, dass es einen ohne E-Ausweis nicht geht. Die Inhalte und die Darstellung sind noch nicht optimal. Jetzt bin ich selbst vom Fach und habe verstanden, was dort steht. Aber wenn wir diejenigen erreichen wollen, die sich bisher nicht damit beschäftigt haben, die werden wir so eben nicht erreichen. Sie werden das nicht verstehen. Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber noch lange nicht ausreichend.

Schlögl: Die Continentale war ebenfalls in der Pilotphase und liefert seit Ende 2023 Verträge ins System, aber der Effekt ist bisher leider  gering, da die Zugangshürden wie der elektronische Personalausweis hoch sind. Für den Durchschnittsbürger sind die Daten ohne Berater zudem schwer verständlich, besonders weil die Bruttorenten ausgewiesen werden. Ohne professionelle Beratung wird Absicherungs- und Handlungsbedarf oft nicht erkannt. Der Berater ist also auch durch die digitale Rentenübersicht nicht verzichtbar geworden – im Gegenteil.

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Betriebliche Vorsorge. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.

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