EXTRA Gewerbeversicherung: Betriebliche Risiken, existenzbedrohende Krisen

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Das Geschäft für die Gewerbeversicherer läuft gut. Die Selbstständigen zeigen sich hingegen nicht so optimistisch, wie die Versicherer.

Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die Preisinflation, der Energiepreisschock, Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt – die Gemengelage sorgt dafür, dass gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen die Lage angespannt bleibt. Und auch bei der Risiko-Awareness gibt es Nachbesserungsbedarf.

Die Corona-Pandemie war für viele Selbständige eine Herausforderung. Und zwar eine existenzielle. Nach Angaben von Karsten John, Managing Direktor bei Infas Quo, ging die Zahl der Selbständigen zwischen 2022 und Ende 2023 von vier auf 3,6 Millionen zurück. Und deren wirtschaftliche Lage bleibt angespannt: Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die Preisinflation, der Energiepreisschock, Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt, die Gemengelage war und ist toxisch und sie sorgt dafür, dass die Wirtschaft auch in 2024 knapp an der Rezession entlang schrammen dürfte. Fakt ist, die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland leidet. Wie sehr, dass zeigte eine Umfrage des Kreditversicherers Atradius unter 400 kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Herbst vergangenen Jahres. Spannend waren die Ergebnisse deswegen, weil die Unternehmen und Unternehmer in der Atradius-Umfrage zwei zentrale Probleme des Wirtschaftsstandortes Deutschland benannten, die quasi hausgemacht sind: Die Bürokratie und die Energiekosten. So führen Bürokratie und Energiekosten mit einer Zustimmung von 83 fast gleichwertig die Negativliste bei Atradius an. 75 Prozent benennen die steuerliche Situation als großen Nachteil, gefolgt von knapp 67 Prozent, die die Fachkräftesituation am Arbeitsmarkt und 52 Prozent, die die Lohnkosten als zentrale Schwächen für die deutsche Wirtschaft sehen. 

Nun bekommt die Atradius-Umfrage Rückenwind durch eine ganz aktuelle Studie des Spezialversicherer Hiscox unter rund 600 freiberuflichen und selbständigen Unternehmern. Demnach scheinen überbordende Bürokratie und regulatorische Vorgaben inzwischen derartige Ausmaße erreicht zu haben, dass sich Selbstständige nicht mehr nur deutlich darüber echauffieren, sondern sogar in ihrer Existenz bedroht sehen. So verbringen Selbstständige mittlerweile bis zu acht Stunden pro Woche mit Erledigung bürokratischer Aufgaben. „Das ist Zeit, in denen sie sich nicht um ihr Geschäft kümmern können“, so John. 59 Prozent der Befragten gaben gegenüber Hiscox entsprechend an, dass zu viele neue Regulierungen und Vorgaben eingeführt werden und 56 Prozent fühlen sich durch diese eingeschränkt. Alarmieren sollte, dass ein Fünftel, exakt 21 Prozent, in den bürokratischen Vorgaben und Regulierungen eine Bedrohung für ihre Existenz sieht. Knapp 40 Prozent befürchten außerdem, dass sie die Auflagen der DSGVO ohnehin nicht einhalten können. Die Gemengelage aus wirtschaftlichen Sorgen und regulatorischen, bürokratischen Hemmnissen sorgt dafür, dass rund die Hälfte der Selbstständigen ihre wirtschaftliche Lage inzwischen als weniger gut einschätzen als vor einem Jahr. Nichtsdestotrotz tut das dem Optimismus bei den Unternehmerinnen und Unternehmern keinen Abbruch. Immerhin 53 Prozent der Befragten erwarten für dieses Jahr ein stabiles Geschäft, über ein Drittel geht sogar von einem Wachstum aus. „Das muss man vor dem Hintergrund der Situation sehen, dass viele Firmen 2023 nicht das schaffen konnten, was sie sich erhofft hatten. Und nun hoffen, dass es besser wird“, erklärt John. Letztlich hofften viele Firmen, in diesem Jahr wieder die Ergebnisse von 2022 erzielen zu können, so John weiter.  

Große Risiken stehen niedriger Versicherungsquote gegenüber 

Spannend ist die Studie von Hiscox und Versicherungsmonitor auch deswegen, weil ein weiterer Fokus auf der Befragung auf der Bewertung von existenziellen Risiken lag, von denen sich Selbstständige bedroht sehen. Auf dem ersten Platz liegt die eigene Krankheit oder ein Unfall mit Ausfallzeit. Jeweils 41 Prozent sehen darin „in jedem Fall“ oder „eventuell“ eine Bedrohung ihrer Existenz. An zweiter Stelle rangiert dann bereits der Ausfall von IT-Systemen; 32 Prozent bewerten das in jedem Fall, 38 Prozent eventuell als existenzbedrohend. Groß ist zudem das Bewusstsein für Cyber- und Datenrisiken. Immerhin 23 Prozent gaben an, dass diese auf jeden Fall, weitere 46 Prozent eventuell existenzbedrohend seien. Auch die Angst vor einem Zahlungsausfall bei einem Auftraggeber hat zugenommen. 30 Prozent bewertet dieses Szenario als auf jeden Fall existenzbedrohend. Heißt: Die größte Problematik sehen Selbstständige also in der Gefahr, nicht mehr arbeitsfähig zu sein – entweder durch den Ausfall der eigenen Person, ihrer Arbeitsmittel oder durch Cyberangriffe. 

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse ist es umso schwerer nachzuvollziehen, warum die Bereitschaft zur Absicherung gegen Cyber- und Datenrisiken so gering ist und bleibt. So haben 46 Prozent nicht vor, sich gegen Daten- oder Cyberrisiken abzusichern und nur 26 Prozent nutzen Maßnahmen wie die 2-Faktor-Authentifizierung oder ein Passwortmanagement. Eine Versicherung gegen Cyberangriffe haben hingegen nur zwölf Prozent. Kaum nachvollziehbar angesichts der immer komplexer werdenden Angriffstechniken, die inzwischen immer stärker durch Künstliche Intelligenz unterstützt werden. Den durchschnittlichen Cyberschaden taxiert Frank Hanssen, Spezialistenmanager Komposit und Freie Vertriebe bei der  Signal Iduna, auf rund 46.000 Euro. „Den Wettbewerb Angriffstechnik gegen Verteidigungstechnik kann man eigentlich nicht gewinnen“, mahnt denn auch Michael Neuhalfen, Leiter Vertrieb bei der Alte Leipziger Versicherung, beim Cash. Extra Roundtable Gewerbeversicherung. Also müsse das Sicherheitsniveau mitwachsen. „Manche sagen, Cyber ist die Umwelthaftpflichtversicherung des 21. Jahrhunderts. Vor 20 Jahren gab es die Umwelthaftpflicht noch gar nicht. Heute ist sie völlig normal“, sagt Neuhalfen. Cyber ist eine der jüngsten Kompositsparten im wahrscheinlich schnellst wachsenden Risikoumfeld. Allerdings das Thema alles andere als trivial und laut Neuhalfen eine „ganz schwierige Situation für diejenigen, die die Risiken schätzen und tragen müssen, also für die Versicherungswirtschaft, aber auch für die Vermittler.“ 

Payam Rezvanian nimmt hingegen die Selbstständigen in Pflicht. Zum Unternehmertum gehöre auch ein gewisses unternehmerisches Risiko. „Dieses bedingt nicht aber nur, dass man sich geschäftlichen und finanziellen Grundsätzen auskennen sollte, sondern eben auch mit neuen Risiken. Dazu gehört das Cyberrisiko“, sagt  Rezvanian, Mitglied der Geschäftsführung bei Finanzchef24 beim Cash. Extra Roundtable Gewerbeversicherungen. Mit dem Internet of Things und der Vernetzung der Geräte gebe es stets Schwachstellen für Cybervorfälle. „Ein Angriff ist immer nur ein Teil eines möglichen Cybervorfalls. Ich kann Daten verlieren, mein Provider kann Daten verlieren, mein Smart Home Provider kann gehackt werden, kann Daten verlieren. Privat wie geschäftlich muss ich also entsprechend geschützt sein. Hierfür braucht es beim Thema Cyber nicht nur die Versicherung und den Makler, sondern vor allem im Wissen und Aufklärung“, warnt Rezvanian. Hinzu kommt das Thema Haftung. „Der Makler, hat eine Maklerhaftung, das Unternehmen darüber aufzuklären, dass es das Cyberrisiko gibt. Und das Zweite ist die Haftung des Gesellschafters oder Geschäftsführer an der Stelle, das Wohl des Unternehmens im Auge zu haben und Schaden abzuwenden. Dazu gehören auch eine vernünftige Firewall und eine vernünftige Cyberversicherung“, so Hanssen. Es gehe darum, für die Risiken zu sensibilisieren. Denn viele betriebliche Risiken können für Selbstständige zu einer existenzbedrohenden Krise führen. „Das trifft auch und vor allem auf solche mit niedrigen Jahresumsätzen zu. Eine gute Versicherung schützt im Schadensfall buchstäblich vor dem Verlust der Existenz und sollte daher fester Bestandteil der Selbstständigkeit sein“, warnt denn auch Tobias Wenhart, Director Marketing, Product und Digital Channels bei Hiscox.

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