Herr Hanssen, Herr Neuhalfen, Herr Rezvanian wie sehen ihre strategischen Ansätze in der Gewerbeversicherung aus?
Neuhalfen: Die Alte Leipziger Sachversicherung ist Vermittlerversicherer, im Kern Maklerversicherer. Insoweit ist der Vermittler derjenige, der die Endkunden berät. Die Vermittlerschaft ist aber nicht in jedem Feld fit. Deswegen lautet unser Claim: Wir sind Gewerbeversteher. Wir unterstützen Vermittler dort, wo er oder sie es denn wollen und brauchen, bestmöglich mit Menschen und mit Digitalität. Denn der Vermittler haftet für seine Beratung, die ja gut sein soll. Denn am Ende geht es um die Lösung für den Unternehmer und für den Vermittler. Der Beweis, wie gut eine Gesellschaft ist, stellt sich erst im Schadenfall ein. Wenn dieser Schadenfall gut gemanagt und ordentlich entschädigt wird und der Unternehmer gut durch die Krise kommt, dann ist das für den Vermittler gut und für den Unternehmer sowieso. Heißt: wenn der Versicherer da gut performt, ist das eine stabile Beziehung für die Zukunft und es gibt auch neue Anknüpfungspunkte. Von der Strategie her bieten wir hoch attraktive, hoch digitale Lösungen in der Vermittlerwelt an, im KMU-Teil eher digital, und da, wo es aufgrund der Risikosituation individuell wird, ziehen wir die Menschen dazu, die vor Ort unterstützen.
Hanssen: Bei der Signal Iduna haben wir in Deutschland zwei Vertriebswege: Einmal die starke Ausschließlichkeit und dann der freie Vertrieb. Dazu gehören die Makler, die Pools, und die großen Vertriebe in Deutschland. Für das private und Gewerbesachgeschäft im freien Vertrieb sind wir so strukturiert, dass auch Online-Abschlüsse teils möglich sind. Da wollen wir auch den Online-Vertrieb weiter ausbauen. Ansonsten ist unsere große Stärke, dass wir unsere Underwriter mit ihrer Erfahrung und dem Know-how vor Ort haben. Damit haben wir die Möglichkeit, Risiken gleich einschätzen und zeichnen zu können – zu unseren Voraussetzungen. Das ist eine gute, starke Gemeinschaft zwischen Maklern und unseren Underwritern vor Ort – auf die wir bauen und zurückgreifen können.
Rezvanian: Als Finanzchef24 haben wir es vor allem mit „K“ bei den KMUs zu tun. Wir sind digitaler Broker und haben im digital getrieben Gewerbe-Sachgeschäft round about 10.000 Neuabschlüsse pro Jahr. Es gibt also den Bedarf, Gewerbeabsicherung schnell und unkompliziert abzuwickeln, und zwar in Echtzeit. Die Geschwindigkeit und verändertes Nutzerverhalten sind im kleinen Gewerbesegment deutlich anders als bei großen Companies.
Das heißt?
Rezvanian: Idealerweise läuft es von Anfrage bis zur Policierung innerhalb weniger Minuten bei uns. Es gibt zum einen eine Basisabsicherung und diese ist wiederum die Grundlage für eine längere Geschäftsbeziehung. Zum anderen haben wir aber auch die deutlich beratungsintensiveren Bereiche. Gerade bei D&O oder Cyber beraten wir mit unserem Expertenteam, meist digital in Form von Videocalls. Insgesamt haben wir aktuell rund 50 Versicherungspartner. Insofern sind wir direkt am Puls des Vertriebs. Unser Anspruch ist, einen wirklichen Vergleich auf Basis des Risikoprofils der Kunden zu erstellen. Die Technik haben wir selbst aufgebaut und sie ermöglicht uns, sehr schnell das Produkt beim Kunden zu platzieren.
2023 war ein Krisenjahr für Deutschland. Ukraine-Krieg, der Konflikt im Nahen Osten, die Wirtschaft in der Transformation und die Folgen der Inflation überall noch spürbar. Vor dem Hintergrund: Wie hat sich denn das Gewerbegeschäft bei Ihnen im vergangenen Jahr entwickelt?
Hanssen: Wir haben das vierte Rekordjahr in Folge. Wir hatten 2023 ein Wachstum von etwa 2,7 Prozent. Und einen großen Anteil hatte das Gewerbesachgeschäft. Da sind wir sehr mit zufrieden. Das kommt auch daher, dass wir bundesweit unsere Vertriebsunterstützung direkt am Point of Sale anbieten können und damit unsere Makler aber auch die Pools und größeren Vertriebe direkt unterstützen können.
Neuhalfen: Auch wir verzeichnen ein neues Rekordjahr. Tatsächlich ist die Wachstumsrate noch etwas höher als 2023. Die Nachfrage ist ungebrochen. Und ich glaube, diejenigen, die sich mit dem Geschäft qualifiziert beschäftigen, verstärken eher ihre Präsenz. Andere dagegen verlieren. Das ist wahrscheinlich ein normales Spiel der Kräfte.
Rezvanian: Für klassische Insurtechs ist der Markt eher schwieriger geworden. Neben den Wachstumsraten ist aber vor allem die Profitabilität enorm wichtig. Und hier hat 2023 klar gezeigt, wie robust das Geschäftsmodell ist, wenn man die Errungenschaften der Digitalisierung mit den Möglichkeiten der persönlichen Beratung kombiniert. Wir waren im Grunde als einziges Insurtech in Deutschland und eines der wenigen in Europa profitabel. Insofern können wir sagen, dass 2023 für uns erfolgreich war.
Wir hatten 2023 regional teils hohe Schäden durch Unwetter. Hinzu kamen steigende Cyber-Schäden, steigende Reparaturkosten, Schadeninflation ist ein weiteres Stichwort. In welchem Umfang hat sich die Gemengelage auf die Prämien ausgewirkt?
Neuhalfen: Die Schäden sind inflationsbedingt gestiegen, aber leider eben nicht mit der allgemeinen Inflation. In einigen Gewerken sehen wir teils astronomische Inflationsentwicklungen. Das ist inzwischen etwas eingedämmt, aber das Niveau ist nach wie vor sehr hoch. Natürlich sind die Prämien kalkuliert. Aber das war in der Vergangenheit und die Schäden kommen danach. Das heißt, im Zweifel ist die Prämie für den dann entstehenden Schadenbedarf nicht mehr adäquat. Das führt dann mit Zeitverzug zu Beitragsanpassungen. Wir sehen in diesem Jahr die Anpassungen aus 2023. Und wenn wir uns 2024 anschauen, weiß ich, was 2025 passiert. Der Trend ist ungebrochen.
Hanssen: Die Katastrophe im Ahrtal ist nur ein Stichwort. Wir sehen aber natürlich auch die anderen Naturkatastrophen. Infolgedessen gab es etwa in der Kfz-Sparte im Markt deutliche Anpassungen. Und auch wir mussten dort aufgrund von Inflation und deutlich gestiegener Energie- und Rohstoffpreise die Prämien anpassen. Das gilt für das Gewerbe-Kompositgeschäft und insbesondere in der Immobilien- und Inhaltsversicherung. Dort sind neben Leitungswasserschäden Hagel und Hochwasser die klassischen Schäden, die uns zu schaffen machen.
Rezvanian: Wir versichern über 1.500 Berufsgruppen in dutzenden Sparten. Da gibt es Gewinner und Verlierer. Wir sehen auch, dass einige Anbieter aktuell sehr progressiv in den Markt gehen und versuchen, Marktanteile zu gewinnen. Es gibt Mitspieler, die durch das Vorgehen im Grunde eine Sanierung auf drei, vier, fünf Jahre hinauszögern. Als Broker im Gewerbebereich sehen wir in gewissen Bereichen Anpassungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles grundsätzlich teurer wird.
Welche Bereiche sind besonders betroffen?
Neuhalfen: In der Autoversicherung, insbesondere im Kasko-Bereich sehen wir, dass die Preise in der Reparatur zweistellig gestiegen sind. Anpassungssätze von zehn oder 15 Prozent zum Anfang dieses Jahres sind normal. Das gilt für den gesamten Markt. Wir merken aber, dass es nicht reichen wird. Schauen wir auf das Gewerbe oder die Industrie, muss man differenzieren. Im Bereich Property, also der gewerblichen und industriellen Sachversicherung, sind die Anpassungen ebenfalls zweistellig. Das ist in den Indices alles festgelegt. Für die Sachversicherung etwa im Wohngebäudebereich erwarten wir dieses Jahr eine Anpassung von 15 Prozentpunkten im Schnitt. Allerdings glaube ich, dass das nicht reichen wird. Ich vermute, wir werden in den Sparten, Kraftfahrt Kasko, Wohngebäude und ein Stück weit auch in der industriellen Sachversicherung eine ziemliche Dynamik im Vergleich zu anderen Sparten sehen.
Hanssen: Gerade im Kfz-Bereich sehen wir Prämienerhöhungen von zehn, 15, 20 Prozent. Und im Gebäudebereich. Die Risiken sind einmal die Naturkatastrophen und auf der anderen Seite Feuer. Diese beiden Dinge treiben die Preise.
Haben die Prämiensteigerungen Folgen auf die Absicherungsbereitschaft im KMU-Segment?
Hanssen: Wir sehen nach wie vor sehr hohen Beratungsbedarf. Gerade, wenn die Risiken komplexer werden. Sei es jetzt ein Mischbetrieb, der mehrere Produkte unter einem Dach herstellt oder das Industriegeschäft, das wir mit anderen Konsortialpartnern zusammen zeichnen. Schaut man auf eine Tischlerei, dann machen die heute ja meist nicht nur ausschließlich Holzarbeiten. Insofern ist der Beratungsbedarf und der Vorortservice nach wie vor wichtig.
Neuhalfen: Ich glaube, die Sensibilität hat zugenommen. Die Unternehmer merken, dass es im Schadenfall teurer wird. Doch der Sachschaden ist das eine, der Betriebsunterbrechungsschaden ist das andere. Und letzterer wird nicht nur teurer, sondern dauert länger. Was die Kosten zusätzlich treibt, denn die Wiederherstellung dauert eben länger, weil Rohstoffe nicht verfügbar oder Handwerker nicht greifbar sind. Wir sehen hier erhebliche Verlängerungen von Betriebsunterbrechungsdauern bis hin zu der Frage: Reicht die vereinbarte Haftzeit? Es ist ein zusätzliches Thema, das in die Beratung kommt.
Und wie reagieren die Firmen?
Neuhalfen: Glücklicherweise ist die Unternehmerschaft in weiten Teilen aufgeklärt und akzeptiert die Risikolage. Die Nachfrage ist ungebrochen. Nur wenn man es dann versichert, sollte man es richtig versichern. Da kommen dann Vergleiche und auch Makler wieder ins Spiel. Einfach den Nächstbesten nehmen, halte ich nicht für die beste Idee. Ich glaube, im KMU-Segment, in dem wir unterwegs sind, gibt keinen Deckungsnotstand.
Mit welchen Risiken sind die Unternehmen aktuell konfrontiert?
Rezvanian: Es gibt größere Unternehmen, die etwa beim Thema Cyber ein sehr begrenztes Wissen aufweisen, hingegen in anderen Bereichen absolute Profis sind. Was im Versicherungsbereich besonders auffällt, sind die rasanten Entwicklungen im Bereich Cyber. Wir haben das Gefühl, dass sowohl die Deckungskonzepte nicht hinterherkommen, genauso wenig wie unsere Kunden. Deckungskonzepte, die vor einem halben Jahr erdacht wurden, sind heute schon überholt. Es ist eine explosive Mischung, denn es betrifft alle Unternehmen, also kleine, mittlere und große. Vor diesem Hintergrund registrieren wir eine erhöhte Nachfrage nach Versicherungsschutz, weil wir hier im makroökonomischen Umfeld durchaus eine Multikrise bemerken. Wir sind direkt von Corona in den Ukraine-Krieg und jetzt in die Krise im Nahen, Mittleren Osten geschlittert und haben nun auch noch Themen wie Cyber-Sicherheit. Das heißt, die Multikrisen kommen auch bei den kleinen und Kleinstunternehmern immer näher. Und die registrieren das. Und dies erhöht die Sensibilität für eine adäquate Absicherung und führt wiederum zu einer höheren Nachfrage.
Hanssen: Ich würde hier drei Dinge nennen: Die Preisinflation, die zunehmenden Cyber-Risiken und der Fachkräftemangel. Diese drei Punkte sind die drängendsten Themen für die KMU-Unternehmen in Deutschland. Was das Cyber-Risiko angeht, haben wir ja jetzt schon einen Durchschnittsschaden von 46.000 Euro. Dreiviertel der Firmen sind zwar sensibilisiert und sagen, dass die Cyberversicherung ganz wichtig ist. Andererseits – und da ist die Diskrepanz – unterliegen die Firmen an der Stelle einer Fehleinschätzung. Weil sie glauben, nicht Opfer eines Cyber-Angriffes werden zu können. Daher haben wir zum 1. Mai einen neuen SI Cyberschutz auf den Weg gebracht. So gibt es jetzt bessere SB-Staffeln und verbesserte Leistungen zu attraktiven Prämien. Zudem haben wir die Bedingungen vereinfacht. Wir haben unsere dem jeweiligen Betrieb angepasst. Je nach Betriebsart reduziert sich dadurch die Anzahl der Fragen um bis zu 90 Prozent. Daran sieht man schon, dass wir Interesse haben, auch adäquate Lösungen für die Unternehmen anzubieten.
Neuhalfen: Wir sehen, die Sensibilität für Risiken ist da. Erstaunlicherweise sind das Risiken, die nicht alle versicherbar sind. Die Sorge von Lieferkettenproblematiken treibt viele Unternehmer um. Eine Lieferkette, die unterbrochen wird, weil ein Containerschiff im Suez-Kanal quersteht, ist erst mal per se nicht versicherbar. Die Folgen, dass Rohprodukte eben doch ein Vierteljahr später kommen oder teurer werden, sind erst einmal ein Unternehmerrisiko. Oder der Fachkräftemangel; der gilt auch für die Versicherungswirtschaft und ist erst einmal ein Unternehmerrisiko. Ich glaube, dass die Kapitalsituation der Unternehmen eine Rolle für die hohe Absicherungsbereitschaft spielt. Versicherung ist Risikotransfer gegen Geldzahlung. Wenn man endlos viel Geld hätte, bräuchte es keine Versicherung. Die Kapitaldecken sind aber dünner geworden, weil manche Reserve in der Corona-Zeit eben doch aufgebraucht wurde. Und wenn man jetzt als Unternehmer vor Risiken steht, ist man hoffentlich richtig versichert.