EXTRA Roundtable Gewerbeversicherung: „Einfach den Nächstbesten zu nehmen, halte ich nicht für eine gute Idee“ 

Frank Hanssen: „Jede Firma nutzt digitale Formate. Das sind Einfallstore für Hacker. Deswegen wird Cyber in den nächsten Jahren die Sparte sein, die am meisten wächst.“

Stichwort Cyber: Herr Rezvanian, Sie sagten gerade, dass die Deckungskonzepte und die Kunden den Entwicklungen nicht hinterherkommen. Liegt es an immer ausgefeilteren Angriffstechniken?

Rezvanian: Das eine sind die Angriffstechniken, das andere sind die Verteidigungsstrategien. Beide nutzen unter anderem KI. Wir sprechen bei der Cyber-Versicherung immer über das Worst-Case-Szenario. Aber allein die Kommunikation verschiedener Clouddienste sind bereits ein Risiko. Wenn ich heute ein CRM-System wie Salesforce nutze, wo ich meine Kundendaten speichere und zusätzlich als E-Mail-Provider Microsoft sowie die Cloud verwende, müssen diese Kommunikationswege ebenfalls abgesichert werden. Wir haben gerade gehört, dass der durchschnittliche Schadensfall bei der Signal Iduna im Bereich Cyber bei 46.000 Euro taxiert wird. Weltweit liegen wir bei etwa über 100.000 Euro pro Schadenfall. Da müssen wir natürlich schauen, dass wir die entsprechenden Deckungskonzepte auch zur Verfügung stellen. Doch das wird immer schwieriger. Das Thema ist hochkomplex, denn ein Cyberschaden kann einen Betrieb ad acta legen. 

Hanssen: Das Potenzial bei der Cyberversicherung ist enorm. Das sehen wir vor allem im gewerblichen Geschäft. Jedes Unternehmen – auch der kleine Handwerksbetrieb – nutzt digitale Formate oder digitale Kommunikationswege. Das sind Einfallstore für Hacker. Und es geht nicht nur um das Risiko des Datenverlustes oder sich einen Virus einzufangen, sondern auch um Reputationsschäden und falls Dritte dadurch zu Schaden kommen. Und ein großer Punkt sind die Betriebsunterbrechungen, wenn Unternehmen aufgrund dieses Hackerangriffs nicht mehr arbeiten können. Deswegen wird Cyber in den nächsten Jahren sicherlich die Sparte, die am meisten wachsen wird.

Neuhalfen: Die Welt wird immer digitaler. Und digitale Angriffe lassen sich digital multiplizieren. Das heißt, es gibt keine Ressourcen-Grenzen. Den Wettbewerb Angriffstechnik gegen Verteidigungstechnik kann man eigentlich nicht gewinnen. Also muss das Sicherheitsniveau mitwachsen. Manche sagen, Cyber ist die Umwelthaftpflichtversicherung des 21. Jahrhunderts. Vor über 20 Jahren gab es die Umwelthaftpflicht noch gar nicht. Heute ist sie völlig normal. Cyber ist eine der jüngsten Sparten im wahrscheinlich schnellst wachsenden Risikoumfeld. Und eine ganz schwierige Situation für diejenigen, die die Risiken schätzen und tragen müssen, also für die Versicherungswirtschaft, aber auch für die Vermittler, die das Thema beraten sollen. 

Umfragen zeigen, dass mehr als jedes zweite Unternehmen attackiert wurde. Spannenderweise nimmt das Bewusstsein für die Gefahr bei den Verantwortlichen trotz der Attacke danach ab. Wer sorgt dafür, dass das Bewusstsein und Versicherung in die Firmen transportiert wird?

Rezvanian: Das ist eine ganz gute Frage, die uns zusehends beschäftigt. Welcher Teil der kompletten Aufklärungskette kommt hier zum Tragen? Das nur auf einen Vermittler abzutragen, halte ich für zu gering. Zum Unternehmertum gehört auch ein gewisses unternehmerisches Risiko. Dieses bedingt nicht nur, das man sich geschäftlichen und finanziellen Grundsätzen auskennen sollte, sondern eben auch mit neuen Risiken. Dazu gehört das Cyberrisiko. Mit dem Internet of Things, bei dem jedes Gerät irgendwo vernetzt ist, habe ich gewisse Schwachstellen für Cybervorfälle. Ein Angriff ist immer nur ein Teil eines möglichen Cybervorfalls. Ich kann Daten verlieren, mein Provider kann Daten verlieren, mein Smart Home Provider kann gehackt werden und Daten verlieren. Privat wie geschäftlich muss ich also entsprechend geschützt sein. Hierfür braucht es beim Thema Cyber nicht nur die Versicherung und den Makler, sondern vor allem auch Wissen und Aufklärung. Das heißt, zum Unternehmertum gehört auch die Pflicht der Informationsbeschaffung. Dieser Pflicht kommen immer mehr Unternehmer nach, ohne allerdings den Umfang vollkommen zu begreifen. Da sehen wir einen hohen Beratungsbedarf. 

Hanssen: Hinzu kommt das Thema Haftung. Da gibt es sogar zwei Haftungsfragen. Der Makler, hat eine Maklerhaftung, das Unternehmen darüber aufzuklären, dass es das Cyberrisiko gibt. Und das Zweite ist die Haftung des Gesellschafters oder Geschäftsführer an der Stelle, das Wohl des Unternehmens im Auge zu haben und Schaden abzuwenden. Dazu gehören auch eine vernünftige Firewall und eine leistungsstarke Cyberversicherung. Unsere Diskussion hier bei Cash. ist insofern ein ganz wichtiger Multiplikator. Es geht darum, dass wir für die Risiken sensibilisieren müssen. 

Dass die Cyberangriffe zunehmen, hat mit der Digitalisierung der Wirtschaft zu tun. Wie steht es mit den digitalen Strecken der Versicherer im Bereich der Gewerbeversicherung?

Rezvanian: Es gibt Markteilnehmer, die richtig gute digitale Strecken abbilden. Es gibt jedoch auch Marktteilnehmer, die gerade am Anfang stehen. Das ist sehr unterschiedlich und es kommt immer auch noch auf die Sparte und auf die Berufsgruppe an. Insgesamt merken wir aber eine Zunahme der Geschwindigkeit in der Digitalisierung der Strecken. Für uns ist das positiv, weil es für uns dann in dem Fall deutlich leichter ist, anzubinden. Allerdings gibt es aus meiner Sicht noch viel Luft nach oben. Was die Digitalisierung in der Versicherungswelt betrifft, sind wir in Deutschland lediglich die ersten Meter gegangen. Und wir haben noch einen Marathon vor uns. Ich weiß, das klingt wie ein vernichtendes Urteil. Es ist aber so. Das Positive ist, dass die Geschwindigkeit aufgenommen wurde. Wir sind in einem nach wie vor sehr finanzkräftigen und finanzstarken Umfeld. Wir haben die Möglichkeiten und wir haben auch das Know-how. Die Digitalisierung kann aber nur getrieben werden, wenn ich das Wissen innerhalb der Branche habe. 

Payam Rezvanian: „Es gibt massive Schübe, den Maschinen auch Emotional Intelligence beizubringen.“

Herr Neuhalfen, Sie haben die Kritik gehört.

Neuhalfen: Und ich bin froh, dass der Herr Rezvanian es so gesagt hat. Tatsächlich sind wir als Assekuranz ein bisschen Old Economy. Aber wir haben verflixt viel gelernt. Das Käuferverhalten der heutigen Generation meiner Kinder oder auch unserer Generation hat sich verändert. Warum soll das bei einer Privathaftpflichtversicherung anders sein? In diesem Massenmarkt, Privathaftpflichtversicherung, Hausrat, Kfz, wo Millionen Risiken statistisch aufgearbeitet und hinterlegt sind, gibt es digitale Strecken. Tarifierung, Angebot, Antrag laufen in Echtzeit. Wer das nicht beherrscht, ist eigentlich raus. Die Frage ist: Kann man Risiken normiert abbilden? Eine Bäckerei mit einem Stehcafe und einer Hundezucht im Nebenerwerb ist tariflich aber schwer zu kalkulieren. Das sind diese berühmten Mischbetriebe, die man sich persönlich anschauen muss beziehungsweise durchdenken. Wenn wir uns die deutsche Industrie und Gewerbelandschaft anschauen, haben 90 Prozent aller Betriebe bis zu 50 Angestellte. Die Masse lässt sich digital abbilden. Die Frage ist, wo hört das auf? Es ist wie beim Bekleidungskauf: Will ich etwas Besonderes, muss Maß genommen werden. Das dauert länger, ist meist teurer, sitzt aber deutlich besser. 

Im Zweifelsfall also lieber Maß statt Masse bei der Absicherung?

Neuhalfen: Mir ist lieber, ein paar Euro mehr auszugeben für eine passende Lösung im Katastrophenfall. Was ist, wenn nach dem Schadenfall festgestellt wird, dass eben doch nicht alles richtig gedacht war? Es gibt keinen teureren Schaden als den, der nicht bezahlt wird. Also sollte man vorher die Zeit investieren. Hier kommt Digitalisierung an ihre Grenzen. Unsere Expertise als Mensch wird es weiter brauchen und das ist eine gute Nachricht für die Vermittler.

Hanssen: Plattformen wie Finanzchef24, Thinksurance oder NAFI sind standardisiert und es funktioniert auch sehr gut. Aber es ist standardisiertes Geschäft. Sobald es einer Besichtigung vor Ort bedarf, um das Risiko auch richtig einzuschätzen, kommt die Technik an ihre Grenzen. Wir sehen zum Beispiel beim Produkt Cyber, dass das durchaus ein Produkt ist, was auch schnell über Plattformen oder auch online abgeschlossen werden kann, weil es auf Risikofragen beruht. Ganz wichtig sind hier zudem auch Standards wie BiPRO. Wir haben die Aufgabe, den BiPRO-Standard weiter zu forcieren und die basierten Services zu unterstützen. Das verlangt der Vermittler. Wer die BiPRO-Standards heutzutage nicht gut unterstützt, hat einen Wettbewerbsnachteil. Deswegen ist es ein wichtiges Thema für uns. 

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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