EXTRA Roundtable Gewerbeversicherung: „Einfach den Nächstbesten zu nehmen, halte ich nicht für eine gute Idee“ 

Die Branche nutzt immer stärker ChatGPT. Welche Rolle spielt KI im Gewerbesegment?

Hanssen: Die Signal Iduna hat mit Google, was Digitalisierung angeht, 2022 eine strategische Partnerschaft gegründet, und wir haben auch die ersten Schritte in der KI-Anwendung gemacht. Vor dem Hintergrund von Datenschutz und Regulatorik testen wir derzeit Anwendungen, um den Mitarbeitenden die Vorteile in der Arbeit mit KI zu bieten. Wir haben zum Beispiel Gemini von Google als KI-Lösung ausgerollt, und zwar als digitale Assistenz für jeden Mitarbeitenden, sei es als Chatbot für Texte und auch für Präsentationen. Und wir arbeiten im KV-Bereich auch mit der KI. Dort ziehen wir Wissensdatenbänke für den Vertriebsservice zusammen, etwa bei Auskünften für Kunden. Es zeigt, wie vielfältig die Möglichkeiten, gerade, was die KI angeht, gemeinsam mit Google sind. 

„Es geht darum, dasss wir für die Risiken sensibilisieren müssen.“

Frank Hanssen

Neuhalfen: Natürlich denken alle Häuser über KI nach. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir gerade in unserem gewerblichen Geschäft auf lange Sicht hin mehr Nutzen in der natürlichen Intelligenz sehen werden. Ich glaube, die Kunst besteht darin, die KI wohldosiert einzusetzen. Wir haben Daten, wir haben Menschen, wir haben Schicksale. Also müssen wir sehr genau überlegen, was wir tun. Aber aus meiner Sicht ist KI keine Bedrohung für unser Geschäftsmodell oder gar die Arbeitsplätze. Im Gegenteil. Die immer wiederkehrenden Standardaufgaben können die Maschinen sicherlich viel besser. Aber das Wissen, die Erfahrung und gerade in unserem Segment die Risikoeinschätzung und Lösungsfindung, das haben Menschen. Ob am Telefon, im Vertrieb, im Service oder in der Schadenbearbeitung: Wir werden dort auf Menschen setzen. Wir haben das in unserem Claim aufgeschrieben, also strategisch definiert. Chatbots kann man in Teilen nutzen. Aber für unser höherwertiges, qualifiziertes und höher individuelles gewerbliches Geschäft sehe ich das momentan nicht. Dort setzen wir auf den Menschen, der muss aber top unterstützt sein. Die digitale Effizienz muss weiter gesteigert werden für die Kosten und die Geschwindigkeit.

Aber wo ist die Grenze und der Mensch als Faktor unersetzbar? 

Rezvanian: Was Herr Neuhalfen sagte, kann ich zu 100 Prozent unterschreiben. Wir machen technologisch Riesenschritte. Wir werden aber nicht in den nächsten Monaten so weit sein, dass Technologie den Menschen zu 100 Prozent ersetzt. Heute brauchen wir noch die menschliche Expertise, die Emotional Intelligence. Aber auch da sehen wir massive Schübe, den Maschinen diese Emotional Intelligence beizubringen. Aufgrund der Dynamik traue ich mir keine Prognose für 2025 oder 2026 zu. Sicher bin ich, dass der Mensch weiter eine entscheidende Rolle spielen wird. 

Ich würde hier den Cut machen und mich dem Megatrend Nachhaltigkeit zuwenden. Welche Bedeutung hat das Thema im Gewerbesektor? 

Hanssen: Explizit ein nachhaltiges grünes Gewerbeprodukt haben wir bei der Signal Iduna derzeit nicht. Schaut man sich die Definition aber genau an, dann bedeutet Nachhaltigkeit auch, Werte zu erhalten. Und das tun Versicherungen. Es geht um die Unternehmenswerte, sei es das Unternehmensgebäude oder die Produktionshallen. Das ist unser nachhaltiger Auftrag. Darüber hinaus haben wir eine Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg gebracht. Dabei spielen digitale Strecken und Papier einsparen ebenfalls eine wichtige Rolle, wie die nachhaltige Ausrichtung der Kapitalanlagen. So haben wir als Investor gerade erst den größten Solarpark Europas in der Nähe von Leipzig eröffnet. Ich denke, daran wird sehr deutlich, dass Nachhaltigkeit durchaus ein zentrales Thema für uns ist. 

Neuhalfen: Auch die Alte Leipziger strukturiert die Kapitalanlagen um. Ich glaube aber, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit unseren Vermittlern ein Stück weit helfen müssen, Kundenfragen zu beantworten. Wenn ein Kunde – und viele sind sehr affin für das Thema – fragt, wie der CO2-Abdruck seines Unternehmens aussieht oder der Makler den CO2-Abdruck seines Maklerhaus wissen möchte, helfen wir. So haben wir jüngst bei einem Nachhaltigkeitstag mehrere Dienstleister hinzugezogen, um den Carbon Footprint ermitteln zu lassen. Ich halte das für einen Ansatz, Vermittlern den Zugang zu den Dienstleistern zu ermöglichen, damit die ihrerseits den Kunden helfen können, das Thema voranzubringen. Allergisch reagieren wir als Versicherer beim Greenwashing. Ich halte sehr wenig von so genannten „ökologisch zertifizierten“ Produkten. Wenn, dann muss es eine belastbare ökologische Wirkung haben. Deswegen propagieren wir lieber das Thema „papierfrei“ oder „digitale Transportwege“. Das klingt banal, aber unser Nachhaltigkeitsbericht für das letzte Jahr zeigt Erstaunliches: Durch digitales und papierfreies Arbeiten haben wir viele Tonnen Papier eingespart. 

Rezvanian: Wir verspüren hier keine explizit gestiegene Nachfrage. Wobei man durchaus sagen kann, dass die Versicherer über einen besonderen effektiven Hebel bei diesem Thema verfügen. Zum einen durch das Kapital, das sie verwalten; zum anderen über die Produktgestaltung. Es geht darum, die Möglichkeiten komplett auszuschöpfen, wie man den ökologischen Fußabdruck durch die Wahl entsprechender Versicherungsprodukte verbessern oder durch nachhaltige Geschäftsführung die Beitragszahlungen ein Stück weit reduzieren kann. Das Thema ist aber in den Unternehmen, mit denen wir es zu tun haben, weit nach hinten priorisiert. 

Abschließende Frage: Was erwarten Sie für das Jahr 2024? 

Hanssen: Wir sind als Signal Iduna sehr zuversichtlich, dass wir auf unserem Erfolgsweg und auch dem Wachstumskurs voranschreiten werden, insbesondere auch im Komposit-Bereich für Gewerbekunden. Wir haben eine starke Nachfrage und die, davon gehen wir aus, wird auch in 2024 anhalten.

Neuhalfen: Ich sehe das zweigeteilt.  Wir haben verstärkten Zuspruch in der Vermittlerschaft, die Zahlen zeigen weitere Volumina. Warum bin ich nicht nur begeistert? Weil wir nach wie vor die allgemeinen Herausforderungen haben. Da ist die Inflation, die nachwirkt. Zudem dürfte es zunehmende Spannung in der Rückversicherung geben. Ich glaube schon, dass wir in Deutschland in der Binnenkonjunktur und im KMU-Segment im Allgemeinen eine ziemlich robuste Wirtschaftssituation haben, bei allen Problemen, die wir besprochen haben. Solange wir nicht in eine völlige weltpolitische Eskalation hineinlaufen, dürfte 2024 für uns ein robustes, stabiles Jahr werden.

Rezvanian: Wenn ich die Erwartungen für 2024 anschaue, vor dem Hintergrund von 2023, müssen wir auch in diesem Jahr weiter mit dem Ungeplanten planen. Wir wollen nach den besten Lösungen suchen und die Digitalisierung weitertreiben, also die Automatisierung von Prozessen sowie den sinnvollen Einsatz von AI. Zudem wollen wir uns verstärkt auch den Bestandskunden widmen. Da sehen wir weiteres Potenzial. Was uns als Unternehmen betrifft, streben wir an, weiter die Nummer eins im Markt für die KMUs zu sein.

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Gewerbeversicherung. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.

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