EZB dampft Geldflut ein: Steigen jetzt die Bauzinsen?

Michael Neumann
Foto: Florian Sonntag
Michael Neumann

Nun ist es entschieden – die Europäische Zentralbank (EZB) lässt das Pandemie-Notfall-Programm PEPP im März auslaufen. Damit endet die beispiellose Geldflut, mit der sie die Mitgliedsstaaten in der Corona-Krise unterstützt und für extrem günstige Zinsen gesorgt hat. Wie weit die aktuellen Beschlüsse reichen und wie die Baufinanzierungszinsen reagieren könnten, erläutert Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG.

Die letzte Ratssitzung in diesem Jahr wurde mit Spannung erwartet: Wann beendet EZB-Chefin Christine Lagarde die ultralockere Geldpolitik – und wie genau sieht das Ausstiegsszenario aus? Obwohl die Auswirkungen der neuen Virus-Variante Omikron auf die Konjunktur noch nicht abzusehen sind, kam die EZB nicht mehr umhin, wegweisende Entscheidungen zu treffen – denn das 1,85 Billiarden schwere Anleihekaufprogramm PEPP war ursprünglich bis Ende März 2022 terminiert.

Bauzinsen: Ruhepause beendet?

Und es bleibt bei dem Termin: Die EZB verlängert das Anleihekaufprogramm nicht über den nächsten März hinaus. Bis dahin reduziert sie außerdem das Tempo der Anleihekäufe. Aber: Ab April 2022 stockt sie das ältere Programm APP auf, mit dem sie ebenfalls Anleihen kauft – von 20 auf 40 Milliarden Euro im zweiten Quartal und auf 30 Milliarden Euro im dritten Quartal. Ist das die von vielen geforderte Neujustierung der EZB-Zinspolitik? Michael Neumann von Dr. Klein reagiert verhalten: „Unterm Strich spielt es keine Rolle, ob die EZB das Pandemie-Kaufprogramm auslaufen lässt und dafür ein anderes verwendet: Sie wird sie weiter aktiv in den Markt eingreifen und damit die Zinsen beeinflussen. Wie sie den Topf nennt, aus dem sie frisch gedrucktes Geld entnimmt, ist Schmuck am Baum.“

Die Zinsen für Baufinanzierungen lagen sich in den letzten Wochen konstant auf einem niedrigen Niveau. Der Bestzins für 10-jährige Darlehen beträgt aktuell 0,71 Prozent, bei regionalen Banken 0,6 Prozent (Stand: 15.12.2021). Kommt nach der EZB-Entscheidung wieder Bewegung in die Zinskurve? Nicht wirklich, wenn es nach Michael Neumann geht: „Die angekündigte Drosselung der Anleihekäufe hat der Markt schon weitestgehend eingepreist und ein Ende des APP-Programmes wurde nicht genannt. Daher wird uns die expansiven Geldpolitik noch bis mindestens Ende nächsten Jahres erhalten bleiben. Insofern gehe ich bis Jahresende von einer Seitwärtsbewegung aus“, so der Experte. Spannend könne es nächstes Jahr werden, wenn die Inflationswerte der ersten Monate veröffentlicht werden. „Sind die Raten dann deutlich höher als erwartet, steckt auch in den Zinsen Aufwärtspotenzial.“

Rechnung mit Variablen: Omikron und Evergrande 

Die vierte Corona-Welle ist schon mit der Delta-Variante vehement über einige Regionen Deutschlands geschwappt, mit Folgen für Branchen wie Gastronomie, Tourismus und Schausteller. Wird die erwartete Ausbreitung von Omikron die Lage noch verschärfen und rigorose Einschränkungen deutschlandweit nötig machen? Was würde ein solches Szenario für Zinsen bedeuten? „Wenn sich das Wirtschaftswachstum durch Lockdowns, Investitionszurückhaltung und noch größere Lieferschwierigkeiten wieder verlangsamt, hemmt das die Inflation. Dann würde der Druck auf die EZB nachlassen, die Kaufprogramme sukzessive zurückzufahren und sie könnte eher wieder in einen abwartenden Modus übergehen“, schätzt Michael Neumann. „Dann rücken Zinsanstiege in noch weitere Ferne und auch die Baufinanzierungszinsen würden sich weiter seitwärts bewegen.“

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der überschuldete chinesische Immobilienentwickler Evergrande: Der Branchenriese strauchelt schon seit Monaten, jetzt droht ein totaler Zahlungsausfall. Noch sei allerdings schwer einzuschätzen, ob es einen Dominoeffekt geben werde, der auch die hiesigen Märkte in Mitleidenschaft zieht, so Michael Neumann – die Baubranche habe in China einen erheblichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. „Wenn Evergrande kein Einzelfall bleibt, kann das den Bankensektor beeinflussen, infolgedessen Auswirkungen auf Unternehmen und die Bevölkerung haben und damit letztlich den chinesischen Staat zum Handeln zwingen. Wenn durch die enge Verflechtung die weltweite Konjunktur beeinträchtigt wird, würde auch das den Notenbanken wieder ein Argument für expansive Geldpolitik liefern und die Zinsen weiter niedrig halten.“

Leitzins bleibt noch lange bei null

Die aktuellen konkreten Entscheidungen der EZB können also nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Team um Christine Lagarde nur auf kurze Sicht steuert. Ob die Inflation in den ersten Monaten des nächsten Jahres tatsächlich zurückgeht, wie ansteckend und gefährlich Omikron ist, wie sich Energiepreise entwickeln und bis wann genau die temporären Lieferengpässe anhalten – das alles bleibt ungewiss. „Aus diesen Gründen hält sich die EZB auch weiterhin viele Optionen offen, um möglichst flexibel reagieren zu können. Bevor sie den Leitzins wieder anhebt, kann also noch sehr viel Zeit vergehen“, schätzt Michael Neumann von Dr. Klein.

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