Das italienische Verfassungsreferendum hätte für EZB-Präsident Draghi nicht ungünstiger ausfallen können: Die schwindende Aussicht auf Strukturreformen in Italien und die fast gleichgültige Marktreaktion sprechen nicht dafür, dass sich die EZB zugunsten der Euro-Peripherie zu weit aus dem Fenster lehnen sollte. Ein Kommentar von Karsten Junius von der Bank J. Safra Sarasin
Die EZB hat sich in den vergangenen Wochen verbal sehr stark zurückgehalten und kaum Hinweise gegeben, wie sie ihr Kaufprogramm zu verlängern gedenkt. Vielleicht hatte sich bislang kein Konsens ergeben; vielleicht wollte sich keiner vor dem italienischen Referendum klar öffentlich positionieren. Für diejenigen im EZB-Rat, die für eine lockerere Geldpolitik eintreten, ist es jedenfalls nicht einfacher geworden. Offensichtlich kann in Italien die Zeit nicht für Strukturreformen genutzt werden, die die EZB mittels ihrer Kaufprogramme den Mitgliedsländern erkauft, in dem sie Zinsen und Zinsdifferenzen künstlich niedrig hält.
Geldpolitischer Stimulus kaum nötig
Gleichzeitig steigen die konjunkturellen Stimmungsindikatoren und die Inflationsraten in fast allen Ländern der Währungsunion an. Daraus lässt sich schließen, dass die akute Notwendigkeit für einen zusätzlichen geldpolitischen Stimulus gering ist, allerdings auch, dass die Währungsunion ein fragiles Gebilde bleibt. Die EZB sollte sich unseres Erachtens daher darauf einstellen, dass sie vermutlich länger als potenzieller Käufer von Staatsanleihen gebraucht wird, aber auch, dass sie derzeit nicht unbedingt aus dem Vollen schöpfen muss. Am Donnerstag sollte sie daher ihr Anleihekaufprogramm vor allem flexibler gestalten und potenziell langfristiger ausrichten. Sie könnte dies erreichen, indem sie eine Verlängerung von mehr als den hauptsächlich erwarteten sechs Monaten beschließt.
Monatliches Kaufvolumen reduzieren?
Gleichzeitig müsste sie allerdings das monatliche Kaufvolumen etwas reduzieren. Andernfalls würde sie zu stark zu der bereits bestehenden Anleiheknappheit beitragen. Sie muss auch damit rechnen, dass politische Eventrisiken zeitweise größere Marktinterventionen sinnvoll machen könnten. Ein flexibleres Kaufprogramm, bei dem eine breitere Spanne monatlicher oder quartalsweiser Käufe bekannt gegeben würde, würde diesem gerecht werden. Bei Bedarf entstünde dadurch eine größere Interventionskraft, die Investoren oder Spekulanten davon abhalten könnte, auf eine massive Ausweitung von Zinsdifferenzen einzelner Länder zu setzen. Unabhängig davon wird sie über Anpassungen ihrer Programmkriterien die künstliche Anleiheknappheit etwas reduzieren müssen. Dazu würde auch gehören, die gekauften Anleihen zu günstigeren Konditionen, Finanzmarktteilnehmern wieder auszuleihen.
Karsten Junius ist Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin.
Foto: Bank J. Safra Sarasin