Andere Staaten und auch Privatunternehmen haben sich schneller und konsequenter mit dem Thema Digitalwährung auseinandergesetzt. Die Vorstöße von Pionieren wie China oder Facebook – Stichwort „Libra“ – waren ein Weckruf, auch für die EZB. Die Währungshüter sehen sich vor allem von den privaten Initiativen in ihrer Kernkompetenz bedroht. Tatsächlich könnten große Geldkreisläufe abseits der Notenbanken entstehen. Werden diese unregulierten Systeme zu groß, birgt das Risiken für die Preis- und Finanzstabilität. Zentralbanken wie die EZB müssten dann erneut als Feuerwehr agieren, und letztlich träfe es auch wieder den Steuerzahler. Es ist gut, dass jetzt – wenn auch zaghaft – gehandelt wird.
Was aber kann der digitale Euro bieten – auch im Vergleich mit Bitcoin oder den boomenden elektronischen Zahlverfahren? Kryptowährung und PayPal sind zwar irgendwie auch digital, aber keine Konkurrenz für traditionelles Zentralbankgeld. Das gibt es bisher nur in Form von Münzen und Scheinen oder als Guthaben von Kreditinstituten bei der Notenbank. Zentralbankgeld als Forderung gegen die Notenbank ist risikolos, anders als beispielsweise Girokonten. Genau das ist eine der Eigenschaften, die auch der digitale Euro haben wird – wenn er über die Pilotphase hinaus kommt. Er wird das Bargeld nicht ersetzen. Aber er verbindet die Sicherheit von Bargeld mit dem Komfort und dem Innovationspotenzial digitaler Bezahlmöglichkeiten.
Die EZB geht in die Offensive und adressiert mit dem digitalen Euro gleich mehrere Baustellen: Der digitale Euro garantiert den Zugang zu sicherem Zentralbankgeld auch dann, wenn die Bargeldnutzung weiter zurückgeht. Gleichzeitig wird das Zahlungsverkehrssystem widerstandsfähiger, weil es mehr Kanäle des Bezahlens gibt. Auch die Förderung von Wettbewerb und Innovation hat die EZB im Blick: Die Notenbank verfolgt keine Gewinnabsicht, ist gewissermaßen neutral und kann so einen freien Zugang zur Plattform „digitaler Euro“ garantieren. Auf dieser Plattform können private Akteure innovative Anwendungen schaffen. Trifft der digitale Euro auf kompatible Pendants im Ausland, könnte auch der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr endlich günstiger und einfacher werden. Mit anderen Worten: Eine als eher verstaubt geltende Institution wie die EZB macht sich auf den Weg in die Zukunft.
Doch die Zentralbank muss vorsichtig sein. Falsch umgesetzt birgt auch der digitale Euro Risiken: Ohne Haltelimit könnten Guthaben sehr schnell von Bankkonten abgezogen und in sicheres Zentralbankgeld getauscht werden – so genannte „Bank Runs“ würden wahrscheinlicher. Das wäre fatal. Auch eine Verzinsung des digitalen Euros würde die Geschäftsbanken unter Druck setzen. Doch die EZB sollte den Kreditinstituten keine Konkurrenz machen. Das könnte die Kreditvergabe bremsen und damit Wachstum kosten. Diese Punkte muss die EZB in den kommenden zwei Jahren im Blick behalten.
Entscheidet sich die EZB 2023 für den digitalen Euro, hat sie sich rund drei Jahre für die konkrete Entwicklung und Umsetzung gegeben. Ein sehr ambitionierter Zeitplan. Vorreiter China ist 2014 gestartet und will den digitalen Yuan zu den Olympischen Spielen 2022 flächendeckend einführen. Aber: Die Zeit drängt, auch in Europa. Die EZB kann sich kaum Fehler oder technische Probleme zum Start des neuen Geldes leisten. Es geht um Vertrauen. Entsprechend hoch dürfte die Konzentration der Frankfurter Währungshüter auf dieses Projekt sein.