EZB-Sitzung: Gas geben bei den Zinserhöhungen?

Gergely Majoros, Mitglied des Investmentkomitees von Carmignac, kommentiert die anstehende EZB-Sitzung am 8. September 2022. Er erwartet, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins um deutliche 75 Basispunkte anheben wird. Doch wie geht es dann im Jahresverlauf weiter?

„Die Situation, in der sich die EZB befindet, ist zunehmend heikel. Sie muss sich mit der Inflation in einem Umfeld befassen, in dem ein hohes Rezessionsrisiko in der Eurozone besteht und zugleich das Risiko von Marktverwerfungen oder zumindest einer weiteren Schwächung des Euro.

In Anbetracht der jüngsten Anzeichen für eine Ausweitung der Inflationsdaten über den Energiepreisdruck hinaus und der beträchtlichen Abwertung des Euro, die an sich schon inflationär ist, ist unserer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung um 0,75 Prozent auf der kommenden EZB-Sitzung deutlich gestiegen.

Die wichtigste Frage zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch, ob die EZB für die noch verbleibenden Sitzungen in diesem Jahr einen Strategiewechsel andeuten wird.

Während der Markt für diese Woche fast eine Anhebung um 75 Basispunkte einpreist, liegen die Erwartungen für Oktober und Dezember deutlich unter 75 Basispunkten. Da die EZB jedoch bestrebt ist, die Lücke zu den neutralen Zinssätzen so schnell wie möglich zu schließen, halten wir es für sehr wahrscheinlich, dass die Zinserhöhungen auf jeweils 75 Basispunkte anziehen werden. In der Tat könnten Zinserhöhungen im Jahr 2023 aufgrund des potenziell rezessiven Umfelds, des Überschreitens des Inflationshöhepunkts und der Pause im Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank sehr viel schwieriger möglich sein. Die jüngste Ankündigung von Gazprom, die Gaslieferungen nach Europa zu drosseln, untermauert diese Einschätzung.

In diesem Szenario nähert sich nicht nur der Höhepunkt der Inflation in der Eurozone rasch, der für das vierte Quartal 2022 erwartet wird, sondern auch der Höhepunkt der rigiden Geldpolitik der EZB. Wir gehen davon aus, dass das Quasi-Gasembargo und die Dürre den anhaltenden Druck auf die Energie- und Lebensmittelpreise in den kommenden Monaten noch verstärken werden. Die Höhe und der genaue Zeitpunkt des Höchststandes hängen jedoch noch davon ab, wie die Regierungen mit der Weitergabe der Energiepreiserhöhungen an die Endverbraucher umgehen werden.

Vorerst sollten die Anleger unserer Meinung nach sowohl auf den Renten- als auch auf den Aktienmärkten weiterhin Vorsicht walten lassen. Die Sichtweite bleibt gering. Anleger, die nach Wendepunkten an den Märkten Ausschau halten, sollten jedoch in den kommenden Monaten wachsam bleiben. Der Zeitpunkt, an dem Zentralbanken wie die EZB vor ihrer aggressiven Haltung abrücken, wird kommen, auch wenn wir noch nicht so weit sind.“ 

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