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Falsche Diagnosen in Krankenakten – und ihre fatalen Folgen für Versicherte

Bastian Kunkel
Foto: Richard Bejick
Bastian Kunkel

Falsche oder irreführende Diagnosen in Patientenakten, die Betroffene erst dann bemerken, wenn es zu spät ist, sind leider keine Seltenheit. Warum so etwas passiert und was man dagegen tun kann. Gastbeitrag von Bastian Kunkel

Am 1. Februar 2025 veröffentlichte „Der Spiegel“ einen aufrüttelnden Artikel über ein Problem, das in unserer Beratungspraxis leider viel zu häufig vorkommt: Falsche oder irreführende Diagnosen in Patientenakten, die Betroffene erst dann bemerken, wenn es zu spät ist – nämlich dann, wenn sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) oder eine private Krankenversicherung (PKV) abschließen wollen und abgelehnt werden.

Ich selbst wurde für den „Spiegel“-Artikel interviewt, da unser Team regelmäßig mit solchen Fällen zu tun hat. Eine unserer Kundinnen, Sophie Riedinger, ist ein besonders drastisches Beispiel dafür, wie eine einzige falsche Diagnose das gesamte Leben beeinflussen kann.


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Sophie Riedinger wollte sich 2024 selbstständig machen und in die private Krankenversicherung wechseln. Dafür stellte sie, wie es üblich ist, bei mehreren Anbietern einen Antrag. Doch dann kam der Schock: Sämtliche Versicherer lehnten sie ab. Der Grund? Eine Depressionsdiagnose (F32.9) aus dem Jahr 2018, von der sie bis dahin nichts wusste.

Diese Diagnose stammte von einem Frauenarzt – nicht von einem Psychiater oder Psychotherapeuten. Riedinger wurde weder behandelt noch darüber informiert. Doch als sie ihre Krankenakte anforderte, fand sie die verstörende Diagnose schwarz auf weiß. Für die Versicherer war das ein klares Ausschlusskriterium. Selbst mit einem freiwilligen Risikozuschlag hätte sie keine Chance auf eine private Krankenversicherung gehabt.

Riedinger ist kein Einzelfall. Der „Spiegel“ berichtete von weiteren Betroffenen, die plötzlich Diagnosen wie Epilepsie, Diabetes oder psychische Störungen in ihren Akten fanden, ohne jemals dazu behandelt worden zu sein. Manche hatten sogar Medikamente verschrieben bekommen, die sie nie erhalten hatten.

Warum entstehen falsche Diagnosen?

In meinem Interview mit dem „Spiegel“ habe ich erklärt, warum so etwas überhaupt passiert. Das Problem liegt unter anderem im Abrechnungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ärzte erhalten Pauschalen für Behandlungen, und diese sind oft schnell ausgeschöpft. Manche Behandlungen können nur dann mit der Krankenkasse abgerechnet werden, wenn eine bestimmte Diagnose gestellt wird – selbst wenn sie nicht wirklich existiert. Eine „fehlerhafte“ Abrechnung kann also rein wirtschaftliche Gründe haben.

Solange diese Einträge in der Akte stehen, bemerkt sie niemand – bis der Versicherungsfall eintritt. Dann kann eine einzelne Diagnose dafür sorgen, dass ein Versicherer den Antrag sofort ablehnt.

Besonders kritisch sind dabei die F-Diagnosen (psychische Erkrankungen). In der Versicherungsbranche gilt: Fast jede psychische Diagnose führt zu einer Ablehnung oder hohen Risikozuschlägen. Selbst harmlose Vermerke wie „Anpassungsstörung“ oder „Erschöpfungssyndrom“ können den Ausschluss aus zum Beispiel der BU-Versicherung bedeuten.

Ein Systemfehler mit dramatischen Folgen

Laut „Spiegel“ erhält allein die Ärztekammer Hamburg jährlich 600 bis 700 Beschwerden, darunter vier bis sechs wegen falscher Diagnosen. Das klingt nach wenig, doch die Dunkelziffer ist wohl viel höher.

Warum? Weil gesetzlich Versicherte keine automatische Einsicht in ihre Krankenakte haben. Diagnosen werden meist erst dann entdeckt, wenn Versicherungen Unterlagen anfordern. Und dann ist es oft zu spät. Hier wird die ePA (elektronische Patientenakte) hoffentlich für mehr Transparenz sorgen.

Löschen lassen? Schwer bis unmöglich

Einmal in der Akte, lassen sich falsche Diagnosen nicht einfach entfernen. Die einzige Möglichkeit: Der behandelnde Arzt muss die Diagnose freiwillig korrigieren oder löschen. Und genau hier liegt das Problem:

  • Manche Ärzte ignorieren solche Anfragen.
  • Andere bestreiten, dass ein Fehler vorliegt.
  • In Einzelfällen, so berichtet der „Spiegel“, haben Ärzte ihren Patienten sogar mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn sie eine Korrektur forderten.

Wenn der Arzt sich weigert, bleibt nur der Weg über ein Gutachten oder ein Gerichtsverfahren – mit hohen Kosten und ungewissem Ausgang. Viele Betroffene geben auf.

Auch Sophie Riedinger hat sich nach langer Überlegung entschieden, den Fehler in ihrer Akte nicht weiter zu verfolgen. Zu groß war der Aufwand, zu ungewiss das Ergebnis. Ihr Vertrauen ins Gesundheitssystem hat dadurch schwer gelitten. „Ich habe gar keine Lust mehr, zum Arzt zu gehen“, sagt sie. „Ich frage mich jedes Mal: Wie formuliere ich mein Anliegen, damit ich nicht plötzlich mit einer neuen Diagnose in der Akte dastehe?“

Die Lösung? Mehr Kontrolle über die eigene Krankenakte!

Seit Januar 2025 wird die elektronische Patientenakte (ePA) eingeführt. Sie soll für mehr Transparenz sorgen – doch: Wer nicht möchte, dass seine Gesundheitsdaten zentral gespeichert werden, muss aktiv widersprechen.

Was kann jeder tun?

  1. Patientenakte bei der Krankenkasse anfordern – und prüfen, ob Diagnosen falsch oder unvollständig sind.
  2. Falsche Diagnosen sofort ansprechen – idealerweise direkt beim Arzt, schriftlich dokumentiert.
  3. Bei Ablehnung eine Zweitmeinung einholen – oder, falls nötig, eine Beschwerde bei der Ärztekammer einreichen.
  4. Versicherungsanträge sorgfältig ausfüllen – wer eine Diagnose verschweigt, riskiert den Verlust des Versicherungsschutzes.

Fazit: Jeder ist für seine Daten selbst verantwortlich! Der „Spiegel“-Artikel hat ein wichtiges Problem aufgezeigt, das viele unterschätzen. Falsche Diagnosen in Patientenakten können finanzielle Existenzen zerstören. Sie verhindern Versicherungen, beeinflussen Kreditentscheidungen und können sogar Jobchancen mindern.

Deshalb ist mein Rat: Verlasst euch nicht darauf, dass eure Krankenakte fehlerfrei ist. Fordert sie an, prüft sie und kämpft für Korrekturen. Denn im Ernstfall kann eine einzige Zeile über eure finanzielle Zukunft entscheiden.

Autor Bastian Kunkel ist Finanzfachwirt (FH) und Gründer des Onlineversicherungsmaklers Versicherungen mit Kopf“ mit aktuell über 850.000 Followern auf YouTube, Instagram, TikTok und LinkedIn. Er ist zudem Spiegel-Bestseller-Autor.

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