Herr Lindner, das jüngste AfW-Vermittlerbarometer, das im Oktober und November erhoben wurde, hat ergeben, dass CDU/CSU mit 43 Prozent die bevorzugten Parteien der Vermittlerschaft sind. Auf Platz zwei folgt die FDP mit 20 Prozent der Stimmen. Damit wäre eine Koalition aus CDU/CSU und FDP das favorisierte Bündnis der Vermittler. Ist das auch Ihr Wunschbündnis?
Lindner: Deutschland braucht eine andere Politik. Seit 2013 sind Entscheidungen getroffen worden, die sich jetzt in gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht als äußerst belastend herausstellen. Nach Großer Koalition und Ampel-Koalition darf kein „Weiter so“ mit Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün die Richtung bestimmen. Aus diesem Grund halte ich eine Regierung der Mitte aus Union und FDP für die Konstellation, die die grundlegende Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber auch der Klima-, Energie- und Migrationspolitik am besten bewältigen kann.
Zu Beginn der Legislaturperiode hatte die FDP mit 55 Prozent der Stimmen ihren Höchstwert im Vermittlerbarometer erreicht. Seitdem hat die Partei jedoch viele Stimmen verloren, obwohl Sie sich sowohl in Berlin als auch in Brüssel gegen ein Provisionsverbot eingesetzt haben. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?
Lindner: Die Ampel-Koalition ist Geschichte – und die Umfrage damit auch. In der Tat hat die FDP aber stark gewirkt, um die Freiheit der unterschiedlichen Vertriebskanäle offenzuhalten. Wir haben uns dagegen gewehrt, dass aus vermeintlichen Erwägungen des Verbraucherschutzes die wirtschaftliche Freiheit eingeschränkt wird. Dafür waren unendlich viele Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen erforderlich.
Anfang Dezember hat Ihr Spruch, die Deutschen sollten ein „kleines bisschen mehr Milei und Musk wagen“, für große Aufregung gesorgt. Es gab aber auch Zuspruch, so schrieb die „Süddeutsche Zeitung“, der Spruch sei durchaus „bedenkenswert in der Sache.“ Was würde „mehr Milei und Musk wagen“ für die Finanzindustrie bedeuten?
Lindner: Wir brauchen einen radikalen Abbau des Bürokratismus. Wir haben uns selbst gefesselt und nehmen uns deshalb Entwicklungsmöglichkeiten. Das gilt im Großen, aber auch im Kleinen. Es gibt unglaublich viele Dokumentationsverpflichtungen, denen sich die Menschen stellen müssen, die aber keinen praktischen Nutzen haben. Dabei brauchen wir die Zeit und Lebensenergie für die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Produkte, für die Gewinnung von Kundinnen und Kunden. Hier ist das Land schon vor langem falsch abgebogen. Unser Staat ist in weiten Teilen dysfunktional geworden. Nicht, weil er zu klein ist. Er ist dysfunktional geworden, weil er zu groß geworden ist. Wir müssen ihn also dringend dort zurückzuschneiden, wo er hinderlich ist, damit er dort stärker wird, wo er dringend gebraucht wird.
Gilt das auch für den Sozialstaat?
Lindner: Fangen wir die Geschichte der grundlegenden Veränderung gerne beim Sozialstaat an. Er muss Bedürftige schützen, aber keine Antriebslosigkeit belohnen. Er sollte vor existentieller Not bewahren und zugleich aktivierend wirken. Milliarden können eingespart werden, wenn die Unterstützung treffsicherer und irreguläre Migration in unser Sozialsystem verhindert wird. Auch die Klima- und Energiepolitik braucht Veränderung: Deutschlands Sonderweg, als größte Industrienation Europas ohne Kernenergie fünf Jahre früher treibhausgasneutral zu werden, belastet die Wirtschaft. Wir brauchen eine europäische Klimapolitik mit dem Zieljahr 2050, weniger Verboten und mehr Effizienz. So entstehen Milliarden-Einsparungen, die in Infrastruktur, Digitalisierung und Steuerentlastungen investiert werden können.