Die Grünen wollen künftig ähnlich wie die FDP den Kapitalmarkt nutzen, um die Rentenkasse zu stabilisieren. Ein sogenannter Bürgerfonds soll unter anderem in europäische und deutsche Start-ups und Wachstumsunternehmen investieren. Dabei soll er Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen und am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ausgerichtet sein. Was halten Sie von dem Konzept?
Lindner: Davon halte ich nichts. Der Staat legt die Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft fest, um soziale und ökologische Standards zu sichern. Darüber hinaus sollten innerhalb dieses Rahmens aber der marktwirtschaftliche Wettbewerb und die Vertragsfreiheit gelten – insbesondere wenn es um die Anlage fürs Alter geht, denn dann ist ja auch die Optimierung der Rendite wichtig.
Warum hält die FDP die abschlagsfreie Rente mit 63 für falsch?
Lindner: Ich möchte eine Rente, die für alle Generationen gerecht ist. Unser Vorschlag: ein individueller Renteneintritt ab 60, bei dem jeder frei entscheiden kann, wann er in Rente geht – mit einer versicherungsmathematisch fair berechneten Rentenhöhe für den eigenen Jahrgang. Bürokratiefrei und flexibel, mit der Option, danach in Teilzeit oder Vollzeit weiterzuarbeiten, ohne Beiträge zur Arbeitslosen- oder Rentenversicherung zahlen zu müssen – das zusätzliche Einkommen bleibt netto. Das ermöglicht Lebenslaufsouveränität, etwa wenn Paare mit Altersunterschied ihren Ruhestand synchronisieren möchten. Ich als Liberaler sage, nicht die Anlage der Gesetze und des Sozialstaats sollten den Lebenslauf prägen, sondern die Biografie sollte von den Menschen gestaltet werden und unser sozialstaatliches Arrangement sollte das flankieren.
Christian Lindner: „Wir brauchen ein verbindliches Schulfach Wirtschaft.“ (Foto: Christof Rieken)
Aber wie können Unternehmen dabei unterstützt werden, ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen?
Lindner: Tatsächlich steigt die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland – ein Zeichen für den Fachkräftemangel. Mein Modell schafft doppelte Anreize: Arbeitnehmer und Arbeitgeber wären von Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung befreit, wenn Ältere länger arbeiten. Das macht Beschäftigung wirtschaftlich attraktiver für beide Seiten. Zudem ist es fair: Wer nach Renteneintritt arbeitet, zahlt derzeit Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, obwohl er keine Ansprüche mehr erwerben kann. Auch bei der Rentenversicherung entstehen in vielen Fällen keine zusätzlichen Ansprüche. Diese Ungerechtigkeit zu beenden, wäre ein wichtiger Schritt für ein gerechteres System.
Sie haben vorhin gesagt, dass es in Deutschland noch immer eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Kapitalmarkt gibt. Haben Sie eine Idee, wie man diese Skepsis dauerhaft überwinden kann?
Lindner: Indem wir den Menschen zeigen, was der Kapitalmarkt kann. Das Altersvorsorgedepot soll ein Instrument dafür sein. Die private Säule, die nicht nur versicherungsbasiert ist, sondern stärker kapitalmarktorientiert, die öffentlich gefördert wird und steuerlich privilegiert ist, würde viele Menschen ansprechen. Es gäbe auch ein vertriebliches Interesse, den Menschen ein solches Produkt zu verkaufen. Ich glaube, dass auch aus dem Markt heraus finanzielle Bildung erfolgt, zum Beispiel durch die Vermittlerinnen und Vermittler. Deswegen finde ich Provisionsberatung auch gut, denn dort wird in eine dauerhafte Geschäftsbeziehung mit einem jungen Menschen am Beginn seines Berufslebens investiert, dem man später auch noch andere Produkte verkaufen kann. Außerdem brauchen wir ein verbindliches Schulfach Wirtschaft, das über die finanziellen Fragen hinaus auch grundlegende Zusammenhänge darlegt: Wie entsteht ein Preis? Welche Vor- und Nachteile hat ein Konsumentenkredit? Was ist der Unterschied zwischen Versicherung und Fonds? Ich habe als Bundesfinanzminister eine Finanzbildungsstrategie auf den Weg gebracht, die insbesondere die Gruppen anspricht, die in Deutschland das größte Defizit bei der finanziellen Bildung haben, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund oder geringer formaler Bildung. Die Aufklärung sollte in der Schule anfangen, aber wir dürfen diejenigen, die schon nicht mehr in der Schule sind, dabei nicht vergessen.