Christian Scherrmann, US-Volkswirt, DWS: „Auf ihrer Sitzung im September senkten die US-Notenbanker den Leitzins um 50 Basispunkte auf einen neuen Zielkorridor von 4,75 bis 5,00 Prozent. Dies widersprach unseren Erwartungen einer Senkung um 25 Basispunkte. Zuletzt wurde viel darüber diskutiert, ob die US Notenbank Federal Reserve (Fed) die Zinsen um mehr als 25 Basispunkte senken müsse, um eine Verlangsamung der Konjunktur zu verhindern. Die jüngsten Konjunkturprognosen der Fed zeigen, dass die Notenbanker in der Tat besorgter über die Dynamik der Wirtschaft sind als zuvor – für dieses und nächstes Jahr erwarten sie einen erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Dennoch bleiben die Notenbanker weniger taubenhaft als die Märkte: Die aktualisierten Prognosen deuten darauf hin, dass sie die Zinsen in diesem Jahr um weitere 50 Basispunkte und bis 2025 um 100 Basispunkte senken könnten.
Insgesamt denken wir, dass der Beginn des Zinssenkungszyklus mit einem größeren Schritt nicht unproblematisch ist. Einerseits bedeutet dies, dass die Notenbanker hinsichtlich ihrer Inflationsprognosen wieder sehr zuversichtlich sind, während die Unsicherheit über die Aussichten am Arbeitsmarkt die treibende Kraft hinter der Entscheidung gewesen sein dürfte. Dies birgt das Risiko, dass die Fed – wie in der jüngeren Vergangenheit – ihren geldpolitischen Kurs mit Blick auf künftige Daten erneut nachjustieren muss. Wir fühlen uns ein wenig an Ende 2023 erinnert, als der Desinflationsprozess auch ohne Zinssenkung und nur aufgrund von Erwartungen monatelang zum Stillstand kam. Und wir haben zumindest ein wenig den Eindruck, dass die Fed tatsächlich von den Märkten unter Druck gesetzt wurde. Wir stimmen jedoch zu, dass weitere Zinssenkungen notwendig erscheinen, behalten aber gleichzeitig die Inflation im Auge, da wir die Zuversicht der Fed nicht uneingeschränkt teilen. Zumindest eine Notenbankerin scheint unsere Sichtweise zu teilen.“
Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz: „Auf ihrer Septembersitzung hat die FED ihre Leitzinsen etwas überraschend um 50 Basispunkte gesenkt (neue Obergrenze: 5,0%). In ihren neuen Projektionen hat die Notenbank den Inflationsausblick für dieses und nächstes Jahr leicht abwärts revidiert. Der Konjunkturausblick hat sich kaum verändert, ein Soft-Landing bleibt das Basisszenario. Die Projektion zur Arbeitslosenquote wurde wie erwartet angehoben, liegt damit aber nur leicht über dem aktuellen Wert. Dennoch sehen die neuen Projektionen für den Leitzinspfad (dot plot) für dieses Jahr noch zwei weitere Zinsschritte (um jeweils 25 Basispunkte) und im kommenden Jahr unverändert 4 Zinssenkungen. Die FED signalisiert also einen zunächst steileren Abstieg, gefolgt von einem „normalen“ Senkungszyklus in 2025. Die Schätzung für den Leitzins in der längeren Frist wurde leicht nach oben angepasst. Die Landezone liegt nun bei 2,9%. Hauptgrund für die Entscheidung für einen großen ersten Zinsschritt war laut Fed-Chef Jerome Powell, dass der Arbeitsmarkt deutlich weniger angespannt als vor der Pandemie und damit kein Treiber mehr für die Inflation sei und die Finanzierungskonditionen durch den Rückgang der Teuerung deutlich restriktiv seien. Auch will die FED mit dem Schritt den Rückstand im Zinszyklus im Vergleich zu anderen Notenbanken aufholen. Große Sorgen um die Konjunktur mache sich die FED bisher nicht.
Aussichten für Anleger
Der Start mit einem großen Zinsschritt kommt nach den zuletzt robusten Konjunkturdaten etwas überraschend. Die FED signalisiert damit vor allem, dass sie im Fall einer unerwartet starken Konjunktureintrübung entschlossen reagieren würde. Der FED-Put soll auch für die Konjunktur gelten. Möglich wird das durch die Entspannung am Arbeitsmarkt und dem damit verbundenen Rückgang der Preis- und Lohndynamik, den die FED als nachhaltig einschätzt.
Für Investoren sind das gute Nachrichten, solange der neue Zinsausblick nicht als Zeichen eines gestiegenen Rezessionsrisikos gesehen wird oder die längerfristigen Inflationserwartungen dadurch nicht nach oben gedrückt werden.“
Dr. Johannes Mayr
Nermin Aliti, Leiter Fonds Advisory der LAUREUS AG PRIVAT FINANZ: „Die Zinssenkung war von uns erwartet worden und wir rechnen höchstwahrscheinlich auch noch mit einer weiteren in diesem Jahr. Es ist jedoch nicht so entscheidend, ob in diesem oder erst im nächsten Jahr weitere Zinssenkungen kommen werden. Von größerer Bedeutung ist vielmehr, dass klar signalisiert wird: Es werden weitere Zinsschritte folgen – und die sollten sowohl die Konjunktur als auch die Kapitalmärkte beflügeln.
Für das kommende Jahr ist eine weitere Zinssenkung durch die US-Notenbank (Fed) sehr wahrscheinlich. Sollte sich die US-Wirtschaft jedoch unerwartet negativ entwickeln, könnten zusätzliche Maßnahmen, wie beispielsweise Anleihekaufprogramme oder Rückkaufprogramme, in Betracht gezogen werden, auch wenn dies zum aktuellen Zeitpunkt als eher unwahrscheinlich gilt. Neben geldpolitischen Maßnahmen sind auch fiskalpolitische Schritte, wie zusätzliche Konjunkturprogramme oder Steuererleichterungen, möglich. Vieles wird davon abhängen, wer die nächste Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Eine expansive Fiskalpolitik würde jedoch das Haushaltsdefizit und die Verschuldung weiter erhöhen. In diesem Kontext wird die Fed ihre geldpolitischen Maßnahmen besonders genau prüfen und gegebenenfalls anpassen müssen.
Die kurzfristigen Reaktionen der Kapitalmärkte und Investoren lassen sich erfahrungsgemäß nur schwer präzise vorhersagen und unterliegen einer hohen Unsicherheit. Fakt ist aber: Die Renditen der Anleihen in unterschiedliche Laufzeiten sind bereits geschrumpft und werden aller Voraussicht nach weiter nachgeben. Und das wiederum dürfte nicht nur den Rentenmarkt beflügeln, sondern auch den Aktien- und Rohstoffmarkt stützen.
Die Gefahr einer wieder ansteigenden Inflation schätzen wir als recht gering ein. Zwar könnten die Lohnanstiege, die Kostensteigerungen der Unternehmen und der – allen voran in Europa – Anstiege der Energiekosten die Preise womöglich noch einmal ein wenig anschieben. Grund zur Sorge besteht aber nicht: Das Hoch der Inflation sollten wir bereits hinter uns gelassen haben.“
Nermin Aliti
Jens Klatt, Analyst beim europäischen Broker XTB: „Bei einem Zinsschritt wird es mit Sicherheit nicht bleiben. Laut Terminmarkt (dem sogenannten FED Watch Tool) sehen die Marktteilnehmer in der Tat aktuell mit über 70%iger Wahrscheinlichkeit ein Leitzinsniveau von 425-450 Basispunkten. Aktuell herrscht da noch eine Diskrepanz zur Realität. Sollten die Erwartungen der Marktteilnehmer nicht erfüllt werden, könnte es einen heftigeren Prankenhieb der Bären für Aktien geben.
Ich denke, dass wir bereits eine Menge an Zinssenkungsfantasien eingepreist haben und habe persönlich das Gefühl, dass wir die Hochs in diesem Jahr an der Wallstreet im Juli zu sehen bekommen haben. In der Tat könnte ich mir sogar vorstellen, dass mit der Verkündung eines Zinsschrittes noch einmal ein deutlichere Abwärtswelle einsteht. Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Frage aktuell nicht mehr „Wird die FED den Leitzins senken?“, sondern vielmehr: „Um wie viel wird sie den Zins senken und vor allem wie zügig?“. Und ich denke, dass die FED hier eher hinter der Erwartung des Marktes zurückbleiben dürfte und genau das dürfte eher in Kursabschlägen resultieren.
Das kurzfristige Risiko eines Wiederanstiegs der Inflation, halte ich zunächst einmal für begrenzt. Beim Blick auf die jüngsten Einzelhandelsumsätze, aber auch der Geschäftsausblicke von bspw. Walmart oder auch Target sieht es zwar kurzfristig nicht nach rückläufigen Konsumausgaben aus, was in Verbindung mit einem geldpolitisch expansiveren Kurs für ein Wiederanziehen der Inflation spräche. Aber ich bin diesbezüglich etwas weniger optimistisch, besonders vor dem Hintergrund der politischen Situation in den USA bzw. der Präsidentschaftswahl könnte ich mir eher eine konsumtechnische Zurückhaltung vorstellen, die sich selbst bei einer geldpolitisch expansiver agierenden FED, frühestens in sechs bis zwölf Monaten in steigenden Inflationszahlen widerspiegeln dürften.
Für die mittelfristige Zukunft entscheidend wird eine Mixtur aus geldpolitischen und globalpolitischen Spekulationen bzw. Sorgen sein, garniert mit ein wenig makroökonomischen Unsicherheiten, nicht nur aus den USA, sondern auch aus China. Die US-Präsidentschaftswahl birgt aktuell wohl die höchste Brisanz. Nach den jüngsten Kommentaren von Kamala Harris würde ich sie in der Tat als Aktienmarkt-unfreundlich einstufen. Ihre jüngsten Kommentare in Bezug auf höhere Unternehmenssteuern sind alles andere als bullish für Aktien und dort werden auch weitere, zügige Zinssenkungen der FED kaum Abschläge verhindern können.
Dann schweben Sorgen rund um eine Eskalation des Taiwan-Konflikts über den Märkten infolge derer es zu einem Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China kommen und hier bspw. erneut das Thema „Importzölle“ hochkochen dürfte, was ja bereits die ersten vier Jahre der Trump-Administration bestimmt hat. Wie man bereits erkennen kann: Ich bin eher skeptisch und sehe die Chance-Risiko-Verhältnisse für längerfristige Aktienmarkt-Engagements, besonders in den USA, aktuell als eher unattraktiv an.“
Jens Klatt
David Wehner, Head of Liquid Assets beim unabhängigen Münchener Vermögensverwalter Do Investment: „Die US-Zentralbank Fed wird die Zinsen voraussichtlich mehrfach senken. Historisch gesehen erhöht die Fed die Zinsen schrittweise in einer Art „Treppenfunktion“, während sie die Zinsen in wirtschaftlichen Abschwungphasen stark reduziert, was als „Elevator-Effekt“ bekannt ist. Sollte sich die Wirtschaft weiter abkühlen und der Arbeitsmarkt schwächeln, könnte die Fed gezwungen sein, die Zinsen noch deutlicher zu senken.
Die Kapitalmarktteilnehmer unterschätzen aktuell die konjunkturellen Risiken, da sich die Aktienmärkte in den vergangenen zwölf Monaten sehr gut entwickelt haben. Selbst der Einbruch Anfang August, ausgelöst durch die Auflösung der Yen-Carry-Trades, führte schnell wieder zu Käufen, und der Aktienmarkt konnte bis Ende August einen Großteil der Verluste aufholen. Ich erwarte jedoch, dass der Aktienmarkt im September und Oktober die Tiefstände von August erneut testen oder sogar tiefere Tiefstände ausbilden wird. Dies wird voraussichtlich stärkere Unterstützungsmaßnahmen der Zentralbanken in Form von Zinssenkungen zur Folge haben. Dadurch könnten die Aktienmärkte einen Boden ausbilden, die Baisse überwinden und wieder in eine Aufwärtsbewegung übergehen.
Wir befinden uns in einer Phase, in der die strukturelle Inflation, d.h. die Kerninflation, durch Megatrends wie Demografie, Deglobalisierung und Dekarbonisierung erhöht ist. Wenn die Zentralbanken ihre Zinsen aufgrund einer drohenden konjunkturellen Schwäche senken, kurbelt das die Güternachfrage an. Nach einer anfänglichen Abschwungphase erholen sich die Börsen, und Investoren fühlen sich bald wieder wohlhabender, da die Asset-Preise steigen. Zudem stimulieren Zinssenkungen die Unternehmensinvestitionen, was die Nachfrage zusätzlich belebt. In Kombination mit anhaltenden geopolitischen Risiken, die zu einem Anstieg der Rohstoffpreise, insbesondere bei Öl, führen können, besteht die Gefahr eines erneuten Aufflammens der Inflation. Wir rechnen in diesem Jahrzehnt mit einer erhöhten Inflation von durchschnittlich 3,5 % pro Jahr.
Die USA benötigen zur Finanzierung ihres stark angewachsenen Schuldenbergs strukturell niedrigere Zinsen, da die Zinslast ansonsten einen Großteil des US-Bundeshaushalts beanspruchen würde. Sowohl der Fed als auch dem Finanzministerium ist dieses Problem bewusst. Zudem gilt es abzuwarten, wie sich die Wirtschaft und die Inflation in den kommenden Monaten entwickeln. Grundsätzlich haben wir vermutlich den Höhepunkt der wirtschaftlichen Expansion in den USA bereits überschritten und befinden uns nun in einer Phase konjunktureller Abkühlung. Diese Faktoren zusammengenommen deuten darauf hin, dass die Zentralbank auch 2025 eine unterstützende Geldpolitik fortsetzt. Die Zinsen werden sinken.“
David Wehner
Kenneth Hearn, Chief Investment Officer (CIO) beim Schweizer Asset-Manager SwissOne Capital:
„Wie im Kommentar der Fed zu lesen ist, wird alles davon abhängen, wie die Daten auf diese fast sichere Zinssenkung reagieren. Da der Schritt mit 0,5 Prozent größer ausgefallen ist, könnte das die letzte Zinssenkung für dieses Jahr sein. Das kommt dem Markt entgegen, da er höchstwahrscheinlich auf eine stärkere Senkung gehofft hatte.
Die Geschichte hat gezeigt, dass die Inflation erst später im Kürzungszyklus auftritt, so dass wir kurzfristig nicht mit einem Wiederanstieg der Inflation rechnen. Die ersten Auswirkungen werden sich wahrscheinlich auf den Arbeitsmarkt und die tatsächliche Wirtschaftstätigkeit auswirken, bevor sie sich in den Inflationszahlen niederschlagen.
Die Kryptomärkte betreffend ist die wachsende und sich beschleunigende Verschuldung in den USA durch die höheren Zinsen nicht abgebaut worden, so dass dort keine Änderungen zu erwarten sind. Und wie zuvor erwähnt, wird die Inflation wahrscheinlich etwas später im Zyklus kommen (vielleicht in sechs bis zwölf Monaten). Daher erwarten wir kurzfristig nach der Zinsankündigung nichts Verrücktes für Bitcoin & Co. Bitcoin gewinnt jedoch still und leise an Wert, da das Angebot des USD immer mehr zunimmt. Wie wir wissen, ist die Inflation einer jeden globalen Währung der stille Killer der Kaufkraft und in gleicher Weise ist sie der stille Unterstützer von Bitcoin. Da sich die Geldpolitik in den letzten 15 Jahren nicht viel geändert hat (sehr expansiv), sollte man keine anderen Ergebnisse erwarten. Die Inflation des USD-Angebots wird Bitcoin in den nächsten zwölf Monaten auf relativer Basis weitere Strahlkraft verleihen.
Wir glauben, dass dies der letzte Wurf für die Fed ist. Grundsätzlich bedeutet der massive Schuldenüberhang in den USA, dass eine Beibehaltung der Zinssätze auf dem jetzigen Niveau zum Untergang des US-Dollars führen würde. Wir sind daher der Meinung, dass die Fed keine andere Wahl hat, als die Zinsen zu senken. Daher rechnen wir mit weiteren Zinssenkungen in diesem Zyklus, aber vielleicht nicht in einem scharfen Tempo. Wir glauben, dass die Dinge beim nächsten Zinserhöhungszyklus 2027/28 interessant werden, und dann werden wir sehen, dass sich die wirklichen Probleme im globalen Wirtschaftssystem entwickeln, welches sich so sehr auf den US-Dollar stützt. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir beginnen werden, den krassen Gegensatz zwischen Vermögenswerten wie Bitcoin und dem US-Dollar zu sehen.“
Kenneth Hearn
Georg Geiger, Gründer und Vorstand der Value Holdings AG: „Die EZB hat mit der Zinssenkung vom Juni den Auftakt für die Zinswende gemacht und Mitte September den zweiten Schritt nach unten vollzogen. Wir sind somit von der Einleitung der Zinswende auch durch die FED ausgegangen. Die sinkende Inflation dies- und jenseits des Atlantiks gibt den Notenbanken den notwendigen Spielraum für Zinssenkungen.
Wenn man sich die Entwicklung des DAX anschaut, konnte man schon sehr viel Zinssenkungsfantasie erkennen. Trotz der konjunkturellen Schwäche in Deutschland, Europa und Asien hat der Index Anfang September mit rund 18.990 Punkten einen neuen Höchststand erreicht. Das geben die Gewinnaussichten und die Bewertung der Unternehmen nach unserer Ansicht nicht her. Aktuell ist allerdings viel Unsicherheit im Markt und die Anleger zögern. Mittelfristig werden die Märkte von den Zinssenkungen aber sicherlich profitieren. Allerdings dauert die wirtschaftliche Erholung nach Zinssenkungen immer etwas länger – und bis die Belebung der Wirtschaft die Gewinne der Unternehmen verbessert, dauert ebenfalls seine Zeit. Deshalb rechnen wir damit, dass die Aktienmärkte volatil bleiben.
Das Risiko einer kurzfristig wieder aufflammenden Inflation sehen wir nicht. Die Wirtschaft in Europa ist schwach, deshalb sind keine nachfragebedingten Preissteigerungen zu erwarten. Und auch in den USA schwächt sich die Wirtschaft ab, was die Inflationsrisiken verringert. Zudem bleibt die konjunkturelle Belebung in China aus. Das bedeutet: Lokale chinesische Produktionen, die im Inland keinen Absatz finden, drängen auf den Weltmarkt. Dieses hohe Güterangebot wirkt ebenfalls preisdämpfend.
Wir sehen auch über 2024 hinaus eine Phase sinkender Zinsen. Wie weit diese gehen werden, ist aber reine Spekulation, an der wir uns nicht beteiligen wollen. Für uns ist vor allem wichtig: Gute Unternehmen mit gesunder Bilanz und gutem Management werden in der Phase des künftigen Aufschwungs profitieren. Es kommt auf die richtige Auswahl an. Die größten Chancen sehen wir mittel- und langfristig im Small-Cap-Segment – also der Bereich, der bis jetzt noch überhaupt nicht von der Zinssenkungsfantasie profitiert hat. Die Nebenwerte wären aber die größten Nutznießer von niedrigeren Zinsen – und zwar einmal direkt, weil sie oft eine höhere Verschuldung mit variablen Zinsen haben als Blue Chips. Und zum anderen indirekt, weil sie vergleichsweise stark auf Deutschland und Europa fokussiert sind und daher von einer wirtschaftlichen Erholung in Europa überproportional profitieren würden.“
Georg Geiger
Philipp Dobbert, Chefvolkswirt und Leiter Vermögensverwaltung bei der Quirin Privatbank AG: „Ob wir noch in diesem Jahr mit weiteren Zinsschritten rechnen können, hängt mit der Höhe des jetzigen Schritts zusammen. Da die US-Notenbank Fed nun einen größeren Schritt von 0,5 Prozent beschlossen hat, könnte es eher bei diesem einen bleiben.
Die mittel- bis langfristige Zinspolitik der Fed wird davon abhängen, ob die vielbeschworene „sanfte Landung“ tatsächlich gelingt. Also ob die Fed es schaffen wird, mit den Zinssenkungen eine sich andeutende Rezession noch zu verhindern. Falls ja dürften weitere Zinssenkungen eher moderat ausfallen. Falls nein wird es weitere merkliche Zinssenkungen geben müssen.
Die Aussichten für den Kapitalmarkt lassen sich grundsätzlich nicht sicher prognostizieren. Vor allem die Idee, an derartigen unsicheren Erwartungshaltungen, wie Zinssenkungen der US-Notenbank, die Kapitalanlage auszurichten, ist daher sehr risikoreich. Bei ein oder zwei Zinssenkungen in diesem Jahr wird aber das Überraschungs- und damit abrupte Auf- oder Abwärtspotenzial an den Aktienmärkten eher gering bleiben.
Das Risiko eines erneuten Anstiegs der Inflation ist nicht mehr so hoch wie noch vor drei Monaten, aber noch immer nicht verschwunden. Zwar wird der Arbeitsmarkt weiter moderat schwächer, was Inflationsrisiken begrenzt. Die Kerninflation bleibt aber im historischen Vergleich erhöht – der Preisauftrieb hat sich in der Breite der Volkswirtschaft festgesetzt.“