Feuer frei für ethische Rüstungsinvestitionen?

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Foto: Panthermedia/Toshi8
Gibt es vielleicht tatsächlich einen Spielraum für eine Nachhaltigkeitsethik bei Waffenproduktion und Waffenhandel?

EXKLUSIV Deutsche Banken- und Fondsverbände wollen Investitionen nachhaltiger Anlageprodukte in konventionelle Rüstungsgüter nicht länger untersagen. Wie Ethik-Analyst Dr. Michael Heumann das Vorhaben einordnet.

Die Interessenvertretung der kreditwirtschaftlichen Verbände in Deutschland ruft dazu auf, bei nachhaltigen Anlageprodukten von nun an auch Investitionen in konventionelle Rüstungsgüter zuzulassen. Hintergrund hierfür seien aktuelle politische Entwicklungen und die als notwendig erachtete regulatorische Anpassung „zur EU-weiten Standardisierung der Mindestanforderungen an nachhaltige Fonds“, sagte ein Sprecher des Deutschen Fondsverbandes BVI.

Für Vermögensverwaltungen wie die Arete Ethik Invest AG in Zürich scheint der moralische Druck zu steigen, die eigene, ethisch begründete Unternehmenspolitik des absoluten Ausschlusses sämtlicher Rüstungsgüter zu revidieren. Doch Ethik zeichnet sich gerade dadurch aus, aktuell herrschender Moral nicht einfach blind zu folgen, sondern eben jene Moral kritisch zu prüfen anhand gut begründeter normativer Maßstäbe. Wer hat nun also ethisch recht bei unterschiedlichen moralischen Maßstäben? Gibt es vielleicht tatsächlich einen Spielraum für eine Nachhaltigkeitsethik bei Waffenproduktion und Waffenhandel, wie die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) in ihrer Kehrtwende passend zur 2022 eingeleiteten politischen „Zeitenwende“ behauptet?

Bereits bedeutende antike und mittelalterliche Philosophen wie Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin verwarfen tatsächlich einen verabsolutierten Pazifismus und argumentierten jeweils auf ihre Art für Rechte und Pflichten in Kriegssituationen. Letztlich wäre demnach ein gerechter Krieg bedingt möglich im Zuge plausibel beabsichtigter, langfristiger Friedenssicherung. Anders gesagt, „Für den Frieden [zu] kämpfen“ (Palaver, 2024) kann ein ethisch legitimes Argument sein und es wäre in dieser Hinsicht womöglich widersprüchlich, hierfür die notwendigen Mittel, das heißt auch moralisch hoch sensible Güter wie Waffen als allerletztes Mittel, stets und unter allen Umständen ethisch zu verwehren.


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Jedoch heiβt dies in keiner Weise, dass aus solchen oder ähnlichen ethischen Einwänden das unreflektierte „Feuer frei!“ eines Bellizismus folgt. Stattdessen wären die ethischen Anforderungen an eine stets bedingte und begrenzte Billigung von Rüstungsgütern außerordentlich hoch. Wie kann man beispielsweise sicherstellen, dass für den gerechten Krieg produzierte Waffen nicht in falsche Hände geraten oder von den „Richtigen“ falsch verwendet werden? Wie unterscheidet man zwischen Rüstungsunternehmen, welche bei regulatorischer Freigabe quasi beliebig an staatliche und nicht-staatliche Kunden aus aller Welt verkaufen und denen, die ihrerseits eng umrissene ethische Kriterien für den Vertrieb und Verkauf von Waffen haben, selbst wenn dies im Einzelfall zu einer Verunmöglichung eines Geschäftsabschlusses führt? Ethisch noch tiefergehend lässt sich auch fragen: Wie kann man einen Waffeneinsatz selbst im plausiblen Notwehrfall begründen, wenn am Ende der Handlungskette (Rüstungsinvestition, Waffenverkauf, Waffennutzung) die Tötung eines menschlichen Lebewesens, selbst eines Täters oder Angreifers, steht?

Welche genuin ethischen Begründungen finden sich also in den Stellungnahmen von BVI und DK, um zu derartigen Problemfeldern Stellung zu beziehen? Die Antwort hierauf ist einfach: Es gibt keine kommunizierte, ethisch reflektierte Begründung im vorliegenden Fall. Einzig völkerrechtlich geächtete Waffen sollen weiterhin nicht Teil einer Nachhaltigkeitsinvestition sein nach den neuen, nach unten anzupassenden Standards. Dies ist jedoch keine ethische, sondern eine legalistische Begründung. Ferner ist die Definition völkerrechtlich geächteter Waffen genauso volatil wie aktuelle Sicherheits- und Gerechtigkeitsbedürfnisse in einer gegebenen Gesellschaft und unterliegen damit der analogen Problematik wie eine Moral, welche ethisch nicht kritisch hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert wird. Erst im Juli 2024 hat beispielsweise das nationale Parlament im baltischen Litauen mit überwältigender Mehrheit beschossen, aus dem völkerrechtlichen Übereinkommen über geächtete Streumunition wieder auszusteigen.

Der Dynamik dieses aktuellen politischen Zeitgeistes folgend: Sollten wir dann nicht schon folgerichtig bald auch einen Schritt weiter gehen und über Streubombenethik sprechen? Wenn der EU-Staat Litauen Vorreiter ist für eine weitere Anpassung der „Mindestanforderungen“ im Bereich der Kriegs- und Waffenethik und die „EU-weite[…] Standardisierung“ als Argument bereits hinreichend ist für die eigene Nachhaltigkeitspolitik, wäre dies zumindest konsequent. Ehemals geächtete Waffensysteme werden dann einfach neu per Mehrheitsentscheid als „konventionell“ umdefiniert. Man sieht: Der Abwärtsspirale sind keine Grenzen gesetzt, wenn man sich in der Haltung abhängig von den meist nur allzu geringen Standards Anderer macht.

Michael Heumann (Foto: Arete Ethik Invest)

Ein weiteres Problem in dem Beschluss von BVI und DK ist, dass selbst wenn es den betreffenden kreditwirtschaftlichen Verbänden gelingen sollte, eine plausible ethische Begründung nachzuliefern, eine eben solche ethische Begründung allein für den Einstieg in Rüstungsinvestitionen keinesfalls hinreichend ist. Denn es geht, das gilt es stets im Kopf zu behalten, um „Mindestanforderungen an nachhaltige Fonds“. Selbst wenn man also ethisch zur Begründung kommen sollte, dass Waffenproduktion und -handel unter eng umrissenen Bedingungen (Notwehr, Angriffskrieg einer feindlichen Macht, usw.) gerechtfertigt ist, heiβt dies in keiner Weise, dass der Einsatz von Rüstungsgütern auch nachhaltig ist. Man möge sich hier an die berühmte Definition von Nachhaltigkeit des sächsischen Forstbeamten Hans Carl von Carlowitz von 1713 zurückerinnern (nicht zu verwechseln mit dem preußischen Generalmajor und Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz gute hundert Jahre später): Nachhaltigkeit bedeutete, vereinfacht gesagt, nicht mehr Bäume zu fällen, als nachwachsen können. Es wäre überaus interessant von BVI und DK zu erfahren, wie sie gedenken, für jeden verbrannten Baum, jedes zerstörte Gebäude oder auch jeden ausgeschalteten Menschen als mittelbare Folge einer „nachhaltigen“ Rüstungsinvestition „gleichwertigen Ersatz“ durch nachwachsen, nachbauen oder nachzeugen zu finden, um das herkömmliche Nachhaltigkeitskriterium tatsächlich zu erfüllen.

Wie lautet nun das Fazit zur Absichtserklärung der kreditwirtschaftlichen Verbände in Deutschland, Investitionen „nachhaltiger“ Anlageprodukte in derzeit als konventionell eingestufte Rüstungsgüter nicht länger zu untersagen? Das neue Vorgehen ist in dieser Form klar abzulehnen. Ein ethischer Gehalt ist in der kommunizierten Begründung gänzlich fehlend. Stattdessen scheint man getrieben von Wettbewerbszwängen und argumentiert wie früher auf dem Schulhof, wenn man nach einer Missetat von einer Lehrperson konfrontiert wird: Aber die anderen würden sich doch auch so verhalten.

Unabhängig davon wie man zum Thema Ethik, Nachhaltigkeit und Rüstung steht – ob streng pazifistisch oder ein Stück weit die Notwendigkeit zur Verfügungstellung von Mitteln zur Führung eines gerechten Krieges anerkennend, ob man Rüstungsinvestitionen absolut ausgeschlossen sehen möchte oder aus ethisch-nachhaltiger Sicht auch eine andere Haltung einnimmt und die Tür ein Stück weit öffnet für bedingte Investitionen in ausgewählte Rüstungsprodukte und -unternehmen – wirtschaftliches Sachzwangdenken oder moralisch-politisch opportunes Surfen auf der Zeitgeistwelle können die Verantwortung zu einer fundierten ethischen Begründung in diesem moralisch hoch sensiblen Bereich nicht ersetzen, sondern stehen einer guten Ethik klar entgegen.

Michael Heumann ist Ethik-Analyst beim Schweizer Investmenthaus Arete Ethik Invest.

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