Von der Regulierung über das Niedrigzinsumfeld und dem Kostendruck bis zur Digitalisierung – die Branche der Finanzberatung hat derzeit mit einigem Gegenwind zu kämpfen. Doch wer die Weichen richtig stellt, dem bietet dieser Wandel auch Chancen. Ein Gastbeitrag von Markus Weis, Vanguard
Hierzulande fürchten immer mehr Menschen, im Alter nicht genug Geld zu haben. Das belegen Umfragen immer wieder. Gleichzeitig mangelt es jedoch an finanzieller Bildung, um sinnvoll und ausreichend für das Alter vorzusorgen. So wissen zum Beispiel 55 Prozent der Deutschen nicht, was ein Investmentfonds ist, wie der Bankenverband in einer Umfrage festgestellt hat. Zudem besitzen überhaupt nur etwa 15 bis 20 Prozent der Bundesbürger Fonds, während zugleich das Sparbuch als Anlagevehikel nach wie vor dominiert.
Allerdings, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage des Bankenverbandes, nehmen sich sechs von zehn Menschen hierzulande Zeit für ihre Finanzplanung. Drei Viertel von diesen beschäftigen sich mit dem Thema Altersvorsorge. Das heißt, einerseits scheint der Wunsch nach einer langfristig ausgerichteten Finanzplanung, die einen finanziell sorgenfreien Ruhestand ermöglicht, vorhanden zu sein. Andererseits aber mangelt es schlicht und ergreifend an den Fähigkeiten, eine solche langfristige Vorsorge erfolgreich umzusetzen.
Für Finanzanlageberater und -vermittler, die sich auf diesen Trend einstellen, ergibt sich daraus eine Chance. Der Schlüssel liegt dabei darin, den Menschen künftig eine qualitativ hochwertige Finanzberatung anzubieten. Das mag manchem Berater und Vermittler gerade aktuell schwierig erscheinen, da die Branche mit sehr viel Gegenwind zu kämpfen hat. Zum Beispiel mit den zahlreichen regulatorischen Neuerungen. MiFID II, die zweite europäische Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive), ursprünglich Anfang 2018 eingeführt, um die Beratungsqualität zu verbessern, bringt natürlich zusätzlichen Aufwand mit sich.
Die Regulatorik ist nicht die einzige Herausforderung, mit der Berater und Vermittler zu kämpfen haben
Tatsächlich sind damit höhere Kosten und ein deutlich gestiegener Zeitaufwand verbunden. Dazu kommt die Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV), die ebenfalls den bürokratischen Aufwand erhöht. Die Regulatorik ist nicht die einzige Herausforderung, mit der Berater und Vermittler zu kämpfen haben. Dazu kommt das Umfeld extrem niedriger, zum Teil negativer Zinsen und Renditen. Den risikolosen Zinsertrag gibt es schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Und daran wird sich vorerst auch nichts ändern. Weil aber auch die Aktienmärkte seit der Finanzkrise sehr gut gelaufen sind, müssen Anleger dort mit rückläufigen Renditen in den kommenden Jahren rechnen.
Da Beratung in Sachen Geldanlage, wie die eingangs dargestellte Situation verdeutlicht, aber ein zentrales Anliegen der Menschen hierzulande ist und bleibt, stellt sich die Frage, wie Finanzanlageberater und -vermittler diese Situation für sich nutzen können. Tatsächlich ergeben sich aus all dem Chancen. Ein zentraler Punkt ist eine saubere Trennung der Kosten, wie sie MiFID II vorsieht. Früher waren in den Gebühren sowohl die Aufwendungen für das Fondsmanagement wie auch für die Beratung enthalten.
Das hat nicht nur zu hohen Kosten geführt, sondern auch zu einer gewissen Intransparenz, durch die viel Vertrauen bei den Kunden verloren gegangen ist. Dies gilt es zurückzugewinnen. Gerade die strikte Trennung zwischen den Gebühren für das Management und den Kosten für die Beratung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Doch allein das wird nicht reichen. Diese Entwicklung muss sich fortsetzen und zwar in Richtung einer All-in-Fee, also einer klar ausgewiesenen Gebühr, die der Kunde an seinen Berater monatlich entrichtet.
Mit der weitgehenden Abschaffung der Provisionen ist die Umstellung auf solche Service-Fee-Modelle in Großbritannien längst angelaufen. Auch bei vermögenden Kunden hierzulande hat sich das etabliert. Mit positiven Folgen: Denn dadurch entstehen kosteneffizientere Strukturen und die Beratung gewinnt, weil sie unabhängiger und neutraler wird, an Qualität. Ich gehe davon aus, dass sich dieses Modell auch bei kleineren Anlagevolumina durchsetzen wird. Das heißt, auch dort wird die Beratung hochwertiger, während Berater oder Vermittler eben nicht auf eine angemessene Vergütung verzichten müssen.
Die Digitalisierung ist eine Chance, sehr komplexe Prozesse des Beratungsalltags deutlich zu vereinfachen
Gleichzeitig rücken die Kosten wegen des Niedrigzinsumfeldes zunehmend in den Fokus der Anleger. Denn hohe Kosten eines Anlageprodukts machen sich in der Rendite direkt negativ bemerkbar. Deshalb werden im Zusammenhang mit einer transparenten und kosteneffizienten Struktur auch Investmentvehikel mit möglichst niedrigen Kosten wichtiger – wie passive Produkte. Sie zeichnen sich durch geringe Gebühren, zugleich aber auch durch eine hohe Transparenz, gute Handelbarkeit und Einfachheit aus. Sie sind damit hervorragend geeignete Bausteine, um ein breit gestreutes globales Portfolio aufzubauen.
Eine weitere Chance ist in der Digitalisierung zu sehen. Auch wenn diese manchem Berater und Vermittler zunächst wie eine Herausforderung vorkommen mag, sie bietet doch ganz neue Möglichkeiten. Wer diese richtig nutzt und einsetzt, der kann die im Beratungsalltag oftmals sehr komplexen Prozesse deutlich vereinfachen. Die Digitalisierung kann, gerade zu dem durch die Regulatorik bedingten höheren Aufwand, ein Gegengewicht bieten. Und zwar durch eine Steigerung der Effizienz bei den eigenen Abläufen.
Hier greift ein Rad in das andere: Denn je effizienter ein Finanzanlageberater oder -vermittler aufgestellt ist, desto einfacher wird es für ihn, ein entsprechendes All-in-fee-Modell anzubieten. Und damit Kunden für sich zu gewinnen. Doch allein das wird vielleicht noch nicht reichen, um den zukünftigen Anforderungen an eine qualitativ hochwertige Beratung, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, gerecht zu werden. Dazu kommt eine Anpassung des Geschäftsmodells.
Berater werden künftig eher als Relationship-Manager funktionieren und nicht so sehr als Manager der Kundenportfolios
Bislang lag der Mehrwert eines Beraters in vielen Fällen darin, die besten Anlageprodukte und die passenden Asset Manager aus der Fülle an Angeboten herauszufiltern. Mit anderen Worten: Sie erfüllten die Aufgabe eines Portfoliomanagers. Stattdessen aber wird der Beziehung zum Kunden heute und in Zukunft eine sehr viel größere Bedeutung zukommen. Berater sollten ihre Aufgabe zunehmend als Relationship-Manager verstehen und weniger als Manager der Kundenportfolios.
Was bedeutet das konkret? Es geht heute darum, eine passende strategische Asset Allocation, die zum individuellen Risikoprofil des jeweiligen Anlegers passt, aufzubauen. Und diese dann möglichst einfach und kostengünstig zum Beispiel mit passiven Produkten umzusetzen. Die Nutzung von ETFs hat den Vorteil, dass ein regelmäßiges Rebalancing deutlich leichter fällt, während zugleich der Aufwand für die permanente Überwachung der verwendeten Anlageprodukte sinkt. Auf diese Weise müssen Berater auch nicht permanent reallokieren, sie müssen nicht laufend neue Entscheidungen treffen oder aktuellen Trends folgen. Dazu kommt noch der Vorteil, dass sich der regulatorische Aufwand beim Einsatz von ETFs in Grenzen hält.
Gleichzeitig verschaffen sich Finanzanlageberater und -vermittler mehr Effizienz und durch den Einsatz passiver Produkte auch zusätzliche Zeit. Diese Zeit können sie nutzen, um für ihre Kunden künftig eine Art Finanzcoach oder Finanzplaner zu sein. Das heißt, sie können ihren Kunden künftig in allen Finanzfragen zur Seite stehen. Sie blicken über das reine Anlageportfolio hinaus. Wie eingangs erläutert, ist der Bedarf hierzulande an einer Finanzberatung dieser Art gewaltig. Durch eine solche Neupositionierung können Berater ihren Kunden einen echten Mehrwert, quasi ein Alpha, bieten. Und so langfristig von den skizzierten Veränderungen und Herausforderungen, die wir derzeit sehen, profitieren.
Autor Markus Weis ist Stellvertretender Leiter für das Geschäft in Deutschland und Österreich bei Vanguard.