Nimm Dir einen Moment Zeit, lehn Dich zurück und stell Dir einmal vor, Du müsstest nie wieder arbeiten. Du könntest es zwar, wenn Du Lust darauf hast, Du müsstest es aber prinzipiell nicht mehr. Ganz einfach, weil Dein Geld das Geld für Dich verdient. Das Prinzip dahinter nennt sich finanzielle Freiheit. Wenn Du davon noch nichts gehört haben solltest, dann geht es Dir nun genauso wie mir damals mit 16 Jahren.
Mit meinen Gedanken und Gefühlen tief in ein Buch einzutauchen, das war schon immer eine meiner größten Leidenschaften im Leben. Seit ich denken kann, gibt es mich eigentlich immer nur mit einem Buch in der Hand. Krimis, Thriller und Romane, ich habe sie in Massen gelesen. Während eines Praktikums in einem Immobilienunternehmen bekam ich dann von meinem Chef mein erstes Sachbuch geschenkt – besser gesagt, mein erstes Finanzbuch. Eben in jenem Buch las ich erstmals vom Begriff der finanziellen Freiheit, aber auch von Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und vielen weiteren Termini, mit denen ich nichts anfangen konnte. Mir offenbarte sich damit eine völlig neue Welt.
Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich absolut keine Ahnung von Geld, Aktien, Börse, Steuern und all den anderen Themen, die im Leben zwar ungeheuer wichtig zu sein scheinen, von denen wir aber leider rein gar nichts in der Schule vermittelt bekommen. Wer nicht gerade das Glück hat, jemanden im direkten Bekanntenkreis zu haben, der sich damit auskennt, wird wohl – wie so ziemlich alle anderen Schulabgänger ebenfalls – ziemlich orientierungslos, gar hilflos ins Leben starten.
Es folgt im Grunde immer dasselbe: Du ziehst von zu Hause aus und fragst Dich, was Du nun eigentlich alles zu beachten hast. Welche Versicherungen musst Du abschließen, was für Verträge sind wichtig und wie finanzierst Du das eigentlich zukünftig alles? Du verdienst Dein erstes eigenes Geld und weiß gar nicht, was Du damit machen kannst, außer es auszugeben oder auf dem Girokonto liegen zu lassen, denn vom Investieren hast Du keine Ahnung. Und irgendwann bekommst Du auch noch zum ersten Mal Post vom Finanzamt und spürst innerlich die Angst in Dir hochkommen, wenn Du den Brief in den Händen hältst, Du könntest irgendetwas falsch gemacht haben.
Aber zum Glück kennt sicherlich irgendeiner der Onkel jemanden, der jemanden kennt, der schon seit Jahrzehnten die Versicherungen für alle in der Familie verwaltet und sicher auch mal etwas von tollen Sparverträgen erzählt hat. Und ehe Du Dich versiehst, sitzt Du vollkommen ahnungslos in einem „Beratungsgespräch“ gegenüber von jemandem mit Krawatte um den Hals, der irgendetwas von Absicherung, Altersvorsorge, Vermögensaufbau, Rendite und Steuerersparnissen faselt. Staatliche Förderungen solltest Du ebenso unbedingt mitnehmen oder einen ganz wichtigen Zuschuss. So genau weißt Du das aber nicht mehr, denn bereits in dem Moment, wo er das alles erzählt, verlierst Du den Faden. Es klingt für Dich einfach alles so unendlich kompliziert, Du möchtest Dir aber auch nicht anmerken lassen, dass Du gerade eigentlich nur Bahnhof verstehst. So nickst Du nur zustimmend, grinst und tust so, als wenn Du folgen könntest.
Plötzlich ist es, als würdest Du aus Deinem Tagtraum gerissen werden. Die Geräusche um Dich herum kommen langsam wieder in den Vordergrund und Du merkst, dass Dein Gegenüber Dir einen Stift entgegenstreckt und scheinbar irgendeine Reaktion Deinerseits erwartet. Du bist Dir aber nicht sicher, was Du nun genau machen sollst, bis Du auf das Blatt vor Dir schaust und neben einem Unterschriftfeld ein kleines Kreuzchen erkennst. Noch kurz bevor die Situation komplett unangenehm wird, erwachst Du urplötzlich aus deiner Trance mit einem „Oh, selbstverständlich“, und unterschreibst die Dokumente.
Was Du da nun genau unterschrieben hast, weißt Du eigentlich nicht. So wie die meisten Menschen in diesem Land – obwohl es nur die wenigsten zugeben werden – vertraust Du aus Unwissenheit blind dem Berater. Einen Vertrag nach dem nächsten, bis Du mit Deinem ersten eigenen Ordner voller Papiere unter dem Arm aus dem Gespräch entlassen wirst. Irgendwie ein komisches und befriedigendes Gefühl zugleich. Auf der einen Seite hast Du keine Ahnung, was Du da gerade gemacht hast, auf der anderen Seite wird es schon passen und die Themen haben sich ohnehin so kompliziert angehört, dass Du keinerlei Ambitionen hast, Dich weiter damit zu beschäftigen. Der Berater wird es schon wissen. Er trägt schließlich eine Krawatte, einen Anzug, fährt ein dickes Auto, hat eine schicke Uhr am Handgelenk und redet über all diese Fachbegriffe, als hätte er erst kürzlich eine Doktorarbeit darüber verfasst.
Aber lass mich Dir an dieser Stelle etwas sagen, was Dir eigentlich klar sein sollte: Kompetenz hat nichts mit Äußerlichkeiten zu tun. Schicke Kleidung, Titel, Firmenwagen und Co. machen niemandem zu einem Experten. Auch graue Haare, jahrelange Berufserfahrung und ein stylisches Büro sind keine verlässlichen Indikatoren, auf die Du Dich verlassen solltest. Das gilt insbesondere für die Finanzbranche, in der unzählige Akteure nur so mit Statussymbolen spielen, um Autorität und Expertise darzustellen.
Finanzen sind kein Hexenwerk
Der einzig verlässliche Weg zu erfahren, ob die Person Dir gegenüber kompetent ist, ist sich selbst zumindest ein Grundgerüst an Wissen anzueignen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch Arbeit, Recherche, Lesen und Hinterfragen. Alles Themen, mit denen die meisten nach der Schule oder dem Studium rein gar nichts mehr zu tun haben wollen. Zu viele Jahre sinnloses Büffeln für die nächste Klausur haben ihre Spuren in den Köpfen der allermeisten Personen in Deutschland hinterlassen. Dazu kommt, dass Finanzen, Aktien, Steuern und Börse sich auch noch stark nach Mathematik anhören: bekanntlich eines der Lieblingsfächer vieler da draußen.
So verläuft der mitunter vielleicht sogar aufkommende erste Impuls des einen oder anderen, sich tiefer in finanzielle Themen hineinzuarbeiten, dann allzu häufig doch im Sand. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt wird man zum gefundenen Fressen. Denn wenn wir eines ebenfalls nicht in der Schule beigebracht bekommen, dann dass die Welt da draußen nicht ausschließlich gut ist bzw. dass nicht alle Leute nur das Beste für uns wollen. Ganz im Gegenteil: Die Welt ist hart. Das wusste nicht erst Silvester Stallone als Rocky Balboa. Mein Professor in der Uni pflegte zu sagen: „Jeden Morgen, an dem ihr aufsteht, wartet nur jemand darauf, euch zu veraschen.“ So drastisch muss man es vielleicht nicht ausdrücken, aber im Kern hat er schon mächtig recht.
Nun könnte man meinen, dass einem der gesunde Menschenverstand schon helfen wird, aber das ist viel zu kurz gegriffen. Wie ich oben bereits angerissen habe, können wir Wissen von Halbwissen oder gar Unwissen nur dann unterscheiden, wenn wir selbst zumindest über Grundwissen verfügen. Und das Unwissen über finanzielle Themen reicht in unsere Gesellschaft bis in die höchsten Kreise. Man führe sich nur die Finanztipps unseres Bundeskanzlers und ehemaligen Finanzministers zu Gemüte, der am liebsten sein Geld noch auf dem Sparbuch anlegt. Dass das Sparbuch genauso wenig wie Dein Kopfkissen ein sinnvoller Ort zum Investieren ist, ist mittlerweile zu einem Großteil der Bevölkerung durchgedrungen. Selbst Aktien werden immer offener und auf breiterer Flur thematisiert.
Finanzen sind kein Hexenwerk, erfolgreicher als der Durchschnitt zu Investieren ist nicht einmal halb so schwer, wie man es sich vorstellt und die allermeisten Versicherungen sind deutlich einfacher als Dich die Berater glauben lassen wollen. Die Finanzbranche liebt es, komplexer auszuschauen als sie ist. Denn diese Komplexität gibt all den „Beratern“ und „Experten“ da draußen erst ihre Daseinsberechtigung. Der Themenbereich muss endlich auf fundierte Art und Weise Einzug in unsere Schulen und Universitäten erhalten, damit wir auf breiter Flur das finanzielle Unwissen in unserer Gesellschaft bekämpfen können. Nicht nur persönlich könnten wir alle davon profitieren, auch der breiten Masse würde etwas mehr finanzielle Kompetenz im Kanzleramt sicherlich guttun.
Celine Nadolny ist Gründerin und Geschäftsführerin von Book of Finance.