Die Halver-Kolumne: Wie viele andere bin ich dann auch mal weg, weg in den Sommerurlaub. „Summertime and the living is easy“ vom US-Komponisten George Gershwin kommt mir da sofort in den Sinn.
Herrlich, als Kapitalmarktanalyst einfach die Seele baumeln lassen. Und da Politiker auch für ein paar Wochen auf den Berg oder die Insel flüchten, sollte während der Sommerurlaubszeit eigentlich auch der Vorhang für das (geld-)politische Theater fallen.
2011 – Der Krisen-Sommer
Eigentlich! Mittlerweile sind aber die Sommerurlaubswochen an den Finanzmärkten nicht lässig wie noch in der guten alten Zeit. So war 2011 statt entspannter Sommerklänge lautes, politisch unharmonisches Rumtata zu hören. Damals wurde die Krise in der Eurozone mit unsanften Reaktionen an den Euro-Staatsanleihemärkten geboren. Als Krisenbeschleuniger wirkte damals die euroländische Polit-Elite, die wie das verängstigte Kaninchen auf die Schlange starrte. Der Sommer 2011 war für viele Anleger heiß: Ihre Aktienpositionen erwischte es kalt.
Sommer 2012 – Der „Mario Draghi-Wonne-Sommer“
Der Sommer 2012 war das direkte Gegenteil zu 2011, zwar auch nicht ruhig, aber schöner Eustress. Mit seinem Versprechen am 26. Juli, angeschlagenen Euro-Länder mit zur Not unbegrenzten Aufkäufen ihrer Staatsanleihen zu retten, kaufte EZB-Chef Draghi den euro-renitenten Spekulanten den Schneid ab. Das was die Politik trotz allem Gipfeltourismus nicht schaffte – Friede an den Euro-Finanzmärkten – schaffte er allein mit der Kraft seiner Worte. Eigentlich hätte man ihm dafür den Friedensnobelpreis verleihen müssen. Von den Fesseln der Verschuldungskrise befreit, genossen die Anleger Sommer, Sonne, Eis und steigende Aktienkurse.
Und was macht der Sommer 2013?
Hält man die Anlegernase in den Wind, riecht es in diesem Sommer zunächst nach einem Déjà-vu des Krisen-Sommers 2011. Einige Regierungen in Euroland sind so stabil wie Schaumwaffeln, Griechenland droht ein weiterer Schuldenschnitt, der dieses Mal auch das Urlaubsgeld des deutschen Steuerzahlers kosten wird, in punkto Bonität sind Italiens Staatsanleihen nur noch zwei Stufen vom Schrottstatus entfernt und in Frankreich, ja, in Frankreich ruft man Vive la Trance économique.
Außerdem zeigt China, der größte Garant für weltwirtschaftliches Wachstum im letzten Jahrzehnt – und damit auch eine wesentliche Sorgenpause für die deutsche Exportindustrie – eindeutige Spuren von Ladehemmungen. Aber das i-Tüpfelchen auf einen vermeintlich verregneten Finanzmarkt-Sommer ist eine US-Notenbank, die Schluss mit geldpolitisch Lustig zu machen scheint.
Für einen unruhigen Sommerurlaub sind damit die nötigen Zutaten beisammen. Sollte ich also vorbeugend Valium mit in den Urlaub nehmen oder das Smartphone direkt bei Ankunft am Urlaubsort im Meer ertränken, einen Kabelbrand im Fernsehgerät im Ferienappartement auslösen, damit es technisch unmöglich ist, negative Nachrichten sehen zu können, beim Flanieren auf den Straßen Scheuklappen aufziehen und Ohropax in meine Ohren stopfen, damit ich die unangenehmen Überschriften von Zeitungen erst gar nicht sehen oder hören kann?
Eigentlich sollte ich mich vorsichtshalber auch mit den lieben Daheimgebliebenen verkrachen, damit ich ein Alibi habe, sie nicht aus dem Urlaub anrufen zu müssen. Sie könnten in einem unbedachten Moment auf die Idee kommen, mir Neuigkeiten von der Verschuldungskrise mitzuteilen. Am besten ich mache es wie die drei Affen: Nichts sehen, nichts hören und sagen tu ich – um keine schlafenden Krisen-Hunde zu wecken – auch nichts. Ja, ich bin dann im wahrsten Sinne des Wortes einfach mal weg.
Sommer 2013 – Weder Krise noch Wonne, einfach nur ruhig
Aber wenn ich noch einmal über alles nachdenke, fällt es mir dann doch schwer, zu glauben, dass Notenbanker von Lebensrettern zu Totengräbern mutieren. Gerade die unlängst vom Internationalen Währungsfonds gestutzten Wachstumsraten in aller Welt zeigen doch deutlich, dass die Konjunkturwelt noch lange nicht auf eigene Füßen stehen kann. Nachdem man die Weltwirtschaft wie ein aus dem Nest gefallenes Küken seit 2008 aufgepäppelt hat, will man es jetzt – obwohl es noch schwach ist – sehenden Auges dem ausgehungerten Kater in einer freien Finanz-Wildbahn überlassen?
Immerhin muss man sich um die Geldpolitik der EZB keine Sorgen machen: Weniger Liquidität und steigende Zinsen und Mario Draghi? Zwei Welten prallen aufeinander.
Eine fortgesetzt üppige Liquiditätsausstattung ist alternativlos, um es mit den Worten unserer Kanzlerin zu sagen. Selbst Ben Bernanke hat zuletzt mit seinen geldpolitisch deeskaliert: „Eine sehr expansive Geldpolitik ist für absehbare Zeit das, was die US-Wirtschaft braucht.“ Amen!
Ich glaube sogar, dass die freizügige US-amerikanische Geldpolitik nicht nur in Japan oder in Euroland, sondern immer stärker auch in China zu einem Exportschlager wird. China lernt – der konjunkturellen Not gehorchend – bereits fleißig die neue Sprache, die sich „Fed“ nennt.
Die anstehende Bundestagswahl als Urlaubsversicherung
Übrigens, im September haben wir Bundestagswahl. Hätten Sie als regierender Politiker – oder regierende Politikerin – ein Interesse an Wähler beunruhigenden Entwicklungen an der Euro-Schuldenfront?
Die Politik schenkt uns also einen Zeitgewinn. Es scheint ein ruhiger Finanzmarkt-Sommer zu werden. Und den nutze ich für Urlaub. Summertime 2013 and the living is easy. Kraft tanken, denn pünktlich zum Herbstbeginn wissen wir, wer uns regieren wird. Nicht wenige erwarten eine Große Koalition. Dann lassen sich in Euroland auch ganz große Dinge bewegen. Und die hinterlassen bekanntlich Schleifspuren, auch an den Finanzmärkten.
Demnächst, nach dem Urlaub, mehr aus diesem unserem Finanzmarkt-Theater.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.
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