EXKLUSIV

Finanzvermittler an die Schulen? Das sagt die Lehrergewerkschaft

Schulunterricht
Foto: PantherMedia / ArturVerkhovetskiy
Ein verpflichtendes Schulfach "Wirtschaft und Finanzen" ist aus Sicht der GEW nicht zielführend.

Finanzbildung als Pflichtfach an deutschen Schulen, Kooperation der Schulen mit Finanzvermittlern – das fordert der AfW. Warum die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) skeptisch ist.

Im Cash.-Interview hatte Norman Wirth, Vorstand des Vermittlerverbands AfW, Vorschläge gemacht, wie sich die Finanzbildung in Deutschland verbessern lässt. Darin fordert er unter anderem: 

  1. Ein verpflichtendes Schulfach „Wirtschaft und Finanzen“, von der Grundschule bis zum Abitur – nicht als loses Modul, sondern als fester Bestandteil des Lehrplans.
  2. Eine Reform der Lehrerausbildung, damit angehende Lehrkräfte selbst Finanzkompetenz erwerben.
  3. Kooperation mit der Praxis, damit echte Finanzexperten (d.h. Finanzvermittlerinnen und Finanzvermittler) ihr Wissen in die Schulen bringen können.

Wie kommen diese Vorschläge bei den Lehrerinnen und Lehrern an? Cash. konfrontierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit den Vorschlägen und bat um eine Stellungnahme. Der Verband vertritt rund 280.000 Menschen, die in pädagogischen und wissenschaftlichen Berufen arbeiten: in Schulen, Kindertagesstätten, Hochschulen und anderen pädagogischen Einrichtungen. Die Reaktion fällt – vorsichtig formuliert – verhalten aus.

Ein verpflichtendes Schulfach „Wirtschaft und Finanzen“ ist aus Sicht der GEW nicht zielführend und – was den Bildungsauftrag der allgemeinbildenden Schulen betrifft – sogar kontraproduktiv. „Die ökonomische Bildung muss ausgewogen, multiperspektivisch, kontrovers und schülerorientiert sein. Sie muss in Beziehung stehen zu globalen, gesellschaftlichen und persönlichen Schlüsselproblemen, anstatt ökonomische Probleme einseitig, monodisziplinär oder einfach nur lebenspraktisch zu behandeln“, erklärt Martina Schmerr, GEW-Referentin für den Bereich Schule. „Im schlechtesten Fall reduziert sie die Schüler*innen auf ihre Rolle als Konsument*innen oder Kund*innen. Das ist nämlich schnell der Fall, wenn die Verfechter eines Pflichtfachs regelmäßig Finanzprodukte und die private Altersvorsorge als Beispiele fehlenden Wissens anführen. Die Schule sollte keine funktionalistische, sondern eine umfassende und sozialwissenschaftlich fundierte ökonomische Bildung verfolgen.“ Ökonomische Inhalte spielten außerdem bereits in einer Vielzahl von Fächern eine Rolle, wie etwa in Mathematik, Arbeitslehre, Geschichte, Erdkunde oder auch im Lernbereich Verbraucherbildung. „Zudem ist die ökonomische – und mit ihr die finanzielle – Bildung in den letzten Jahren bundesweit bereits in den Stundentafeln und den Lehrplänen aufgewertet worden. Nicht zuletzt durch die Einführung von Ankerfächern, wie Politik-Wirtschaft oder Arbeit-Wirtschaft-Technik und zumeist zu Lasten der politischen Bildung. Wie ist das zu beurteilen in Zeiten vermehrter Krisen, Verwerfungen und Spaltungen?“, fragt sie. Der Knackpunkt sei also: „Wann immer neue Inhalte und Fächer gefordert werden, muss man sagen können, was im Gegenzug gekürzt werden soll. Und die Frage ist: Wollen und brauchen wir das?“


Das könnte Sie auch interessieren:

An die Ausbildung von Lehrkräften legt die GEW dieselben Maßstäbe an. „Aus unserer Sicht sollten Lehramtsstudierende der sozialwissenschaftlichen Fächer – wozu Wirtschaft gehört – Ökonomie und Finanzen nicht einseitig behandeln, sondern stets in Beziehung zu gesellschaftlichen und persönlichen Schlüsselproblemen. Das Bildungsziel lautet, zu kritischem Denken und zukunftsfähigem Wirtschaften zu befähigen“, betont Schmerr. „Auch Geldfragen gehören in den Kontext von Gesellschaft und Politik und müssen im späteren Berufsleben so vermittelt werden können, dass junge Menschen sich in der Welt orientieren und ihre sozialen Beziehungen, das Zusammenleben und die politischen Gestaltungsmöglichkeiten reflektieren können.“ In diesem Sinne sei „Finanzbildung“ kein separates Lerngebiet, sondern Teil von „Wirtschaft“ in der „Gesellschaft“.

Die Einladung von Finanzvermittlern hält die GEW aus Sicht des umfassenden schulischen Bildungsauftrags für ziemlich voraussetzungsreich. „Man soll sich also Produktverkäufer*innen ins Haus holen, um dann als Lehrkraft aufzupassen, dass sie nicht doch auf subtile Weise etwas verkaufen? Themen wie etwa der eigenverantwortliche Umgang mit Taschengeld, der Vergleich von Geldanlagen oder die vermeintliche Notwendigkeit privater Altersvorsorge sind auch deshalb in Frage zu stellen, weil sie die Finanzbildung auf praktisches Wissen zur Bewältigung konkreter Lebenssituationen reduzieren. Dafür ist Schule als solche aber nur bedingt zuständig“, so Schmerr. Finanzprodukte zu vermitteln, ohne nicht mindestens auch eine kritische Analyse des Finanzmarkts, sei entschieden zu wenig. „Beim Unterricht durch Finanzexpert*innen kommen zudem die Verbraucherbildung und Nachhaltigkeit regelmäßig zu kurz. Gerade diese sind jedoch im Hinblick auf die Bildungsziele Mündigkeit, Urteilskompetenz und Kritikfähigkeit zentral. Besonders wenn es um Finanzmärkte, Wirtschaft oder Globalisierung geht.“ Aus Sicht der GEW wäre es indessen wünschenswert, wenn die Verbraucherbildung oder beispielsweise die Verbraucherzentralen personell und finanziell so ausgestattet wären, dass sie künftig regelmäßig Beratungstermine an Schulen anbieten und junge Menschen seriös beraten könnten. Die Gewerkschaft sähe also lieber Verbraucherschützer an den Schulen als Finanzvermittler – was der AfW davon hält, lässt sich leicht erahnen.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
3 Comments
Inline Feedbacks
View all comments