Während in der Ahr-Region Schritt für Schritt Normalität und Touristen Schritt für Schritt wieder zurückkehren, gibt Horst Nussbaumer, das für den Schadenbereich verantwortliche Vorstandsmitglied der Zurich Gruppe Deutschland zu bedenken, dass hierzulande zu wenig aus dem Ereignis gelernt und noch weniger erinnert wird. Damit bleibt die Frage, ob die seinerzeit unzureichenden Warnsysteme bei einer erneuten Katastrophe dieses Ausmaßes nun funktionieren würden?
„Bernd“ war kein Worst-Case-Szenario
„Noch immer hört man auch aus der Politik, dass das Extremweiterereignis ‚Bernd‘ mit den seinen Hochwasserständen ein völlig unerwartbares Ereignis gewesen ist. Das ist historisch betrachtet falsch. ‚Bernd‘ war definitiv kein ‚Worst-Case-Szenario‘. Es ist nachweisbar, dass es in der Vergangenheit, beispielsweise im Jahr 1910, sogar höhere Pegelstände gegeben hat“, so Nussbaumer, „Diese Extremwetterereignisse haben heute durch die andere Verdichtung und Bebauung jedoch ganz andere Konsequenzen.“
Mit dem Verschwinden der Narben steigt die Gefahr der Flutdemenz
„Auch wenn zwei Jahre nach dem Extremwetterereignis die Spuren der Katastrophe noch fast überall sicht- und spürbar sind, ist es schön zu sehen, dass Narben in der Region sukzessive verschwinden. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr der ‚Flutdemenz‘, wobei Extremwetterereignisse wie diese erneut schnell in Vergessenheit zu geraten droht“, mahnt Nussbaumer.
„Ein Besuch in der Region macht deutlich, dass die historischen Erfahrungen konsequent in Bebauungs- und Flächennutzungspläne Einfluss finden müssen. Ohne Zweifel ist Prävention nach wie vor der beste Weg, denn in den letzten einhundert Jahren wurden immer mehr Flächen versiegelt und die Bebauung rückte an vielen Orten dichter an den Flusslauf. Die entsprechenden Risiken müssen stärker Beachtung finden. Darüber hinaus sind das Schließen der Lücken im Katastrophenrecht, die Verbesserung der Koordination und die Standardisierung von Verfahren entscheidende Komponenten, um die Wirksamkeit künftiger Notfallmaßnahmen zu verbessern“, so der Schaden-Experte.
Um die Auswirkungen zu begrenzen, müssten Frühwarnsysteme installiert, optimiert und auch gehört werden. Dazu zähle auch, dass das Bewusstsein im Umgang mit Extremwetterereignissen schon im Grundschulalter geschärft wird. Wichtig für die Bewusstseinsentwicklung sei zudem auch eine präzise Kommunikation.
„Viele beschrieben das Extremwetterereignis als ein Ereignis, das ‚einmal in 100 Jahren‘ vorkommt. Eine statistische Zahl, die einige zu der Fehlinterpretation veranlasste, dass es in einem Jahrhundert kein weiteres Ereignis geben würde. In der Konsequenz hat dies die Notwendigkeit minimiert, einer erhöhten Widerstandsfähigkeit Priorität einzuräumen. Die Menschen müssen wissen: Wenn wir uns nicht vorbereiten, bereiten wir uns aufs Scheitern vor“, mahnt der Zurich Vorstand.
Die Katastrophe war keineswegs allein Folge des Klimawandels
Laut Nussbaumer zeigen Klimamodelle, dass zu erwarten ist, dass Extremwetterereignisse wie „Bernd“ künftig häufiger vorkommen werden. „Wer die Katastrophe jedoch allein auf ein unvorhersehbares Extremwetterereignis infolge des Klimawandels reduziert, gegen dessen Folgen man machtlos ist, verkennt die komplexe Realität“, so Nussbaumer.
Die Zurich hatte 2022 eine Studie zur Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal in Auftrag gegeben. „Die Studie ist im Rahmen des Zurich Flood Resilience Programs mithilfe der PERC-Methode (Post Event Review Capability) entstanden, das regelmäßig große Hochwasserereignisse erforscht. Unsere PERC Studie zeigt, dass ein unzureichendes Hochwasserverständnis, eine problematische Wiederaufbaustruktur sowie ungenügende Maßnahmen zur Risikoreduktion im Vorfeld einen entscheidenden Teil an der Katastrophe tragen“, erklärt Nussbaumer.