Der Abschlussbericht der Fokusgruppe Altersvorsorge liegt vor. Wie erwartet, mit Licht und Schatten. Die Fokusgruppe hatte mehrere Aufträge: Sie sollte Vorschläge machen, wie bei geförderten Produkten zukünftig eine höhere Rendite möglich ist als bei der bisherigen Riesterrente. Sie sollte prüfen, ob Änderungsbedarf in Bezug Förderung und Zielgruppe besteht. Sie sollte untersuchen, ob die Einführung eines öffentlichen Fonds mit Opt-out sinnvoll ist. Schließlich galt es noch, eine Lösung für Riester-Bestandskunden zu finden. Dieser Artikel beleuchtet ausschließlich die drei aus Sicht des Autors wichtigsten Aspekte dieses Berichts: Fördersystematik, Sparprozess und Auszahlphase der „Nachfolge der Riesterrente“.
Die Fördersystematik der Riesterrente wird im Bericht als „gut, aber komplex“ bewertet. Daher soll die künftige Förderung ähnlich wirken, aber einfacher sein. Es soll rein beitragsproportional gefördert werden (Zulage ist ein gewisser Prozentsatz des Beitrags), wobei für Geringverdiener ein höherer Prozentsatz gelten soll. Dieser neue Vorschlag trägt in geringerem Ausmaß als bisher dazu bei, dass die Schere zwischen Arm und Reich kleiner wird. Er führt aber wenigstens – im Gegensatz zu einer rein steuerlichen Förderung – nicht dazu, dass die Schere weiter aufgeht.
100 Prozent Beitragsgarantie nicht mehr nötig
Im Sparprozess soll die 100 Prozent Beitragsgarantie nicht mehr zwingend sein. Fondsgebundene Lebensversicherungen und ein neues, sogenanntes Altersvorsorge-Depot sollen ganz ohne Garantie in der Ansparphase angeboten werden. Daneben sollen weiterhin Versicherungsprodukte mit Garantie förderfähig sein, wobei neben der 100 Prozent Garantie auch abgesenkte Garantien zulässig sein werden. Allerdings scheint man – nach Aussagen des Vorsitzenden der Fokusgruppe auf einer Fachtagung – nur „zwei oder wenige“ Garantieniveaus zulassen zu wollen, beispielsweise nur Produkte mit entweder 80 Prozent oder 100 Prozent Garantie. Dies soll der besseren Vergleichbarkeit dienen.
Aus fachlicher Sicht wäre eine größere Wahlfreiheit beim Garantieniveau wünschenswert gewesen, da das grundsätzlich zu begrüßende Ziel der Vergleichbarkeit bei mehr Garantiniveaus ähnlich gut – oder schlecht – zu erreichen ist.
Lebenslanges Einkommen in der Auszahlphase
In der Auszahlphase sollte ein Altersvorsorgevertrag ein lebenslanges Einkommen leisten. Denn das Hauptziel von Altersvorsorge ist die Absicherung des Lebensstandards im Alter, was zu einem großen Teil in der Finanzierung regelmäßiger Ausgaben besteht. Der Fokusgruppenbericht markiert eine Abkehr von diesem Grundprinzip, was aus fachlicher Sicht extrem problematisch zu sehen ist.
Das angesparte Geld darf für gewisse Zwecke – etwa die Tilgung einer Immobilie – entnommen werden, was grundsätzlich sinnvoll ist. In allen anderen Fällen soll man künftig zwischen einer lebenslangen Rente und einem Auszahlplan wählen können. Letzteres scheint aber nicht zu Ende gedacht zu sein – sowohl in Bezug auf die Dauer als auch den Verlauf der Zahlungshöhe eines Auszahlplanes.
Was die Dauer betrifft, so steht im Abschlussbericht: „Dabei sollte die Länge der Auszahlungsphase so bemessen sein, dass sie in der Regel einen hohen Anteil der erwarteten Rentenzeit abdeckt.“ Dies würde bedeuten, dass „etwas kürzer als die Restlebenserwartung zu Rentenbeginn“ ausreichend wäre. Die Rentenzahlung endet dann planmäßig – und zwar vor Erreichen der Lebenserwartung. Mehr als die Hälfte der Menschen müssten dann am Ende ihres Altersvorsorgeeinkommens noch weitere Lebensjahre finanzieren.
Das Endalter 85 Jahre reicht nicht einmal für die Hälfte
Auf der bereits erwähnten Fachtagung erweckte der Vorsitzende der Fokusgruppe allerdings den Eindruck, dass die Dauer so bemessen sein soll, dass es für die meisten Menschen lebenslang reicht (er sagte „nicht ganz lebenslange Rente“, sprach später aber von „Alter 85“, was hierfür bei weitem nicht ausreicht).
Ein paar Zahlen können hier Licht ins Dunkel bringen: Die aktuelle Generationensterbetafel des statistischen Bundesamts geht unter der pessimistischeren Einschätzung für den zukünftigen medizinischen Fortschritt davon aus, dass 65,9 Prozent der heute 67-jährigen Frauen und 51,7 Prozent der heute 67-jährigen Männer älter werden als 85 Jahre. Ein Auszahlplan bis Alter 85 würde also für mehr als die Hälfte der Männer und fast zwei Drittel der Frauen dazu führen, dass der Lebensstandard im hohen Alter eingeschränkt werden muss, was eine hohe emotionale Belastung für Senioren darstellen kann.
Man kann auch umgekehrt berechnen, welches Endalter ausreichen würde, damit es für die meisten Menschen reicht. Will man für 90 Prozent beziehungsweise 80 Prozent der Menschen ein lebenslanges Einkommen darstellen, so wäre das entsprechende Alter 99 beziehungsweise 96 Jahre für Frauen und 96 beziehungsweise 93 Jahre für Männer. Ein Endalter von 85 Jahren, das derzeit diskutiert wird, reicht also nicht mal für die Hälfte der Menschen lebenslang.
Sinnvolle Endalter lassen hingegen bei Auszahlplänen, die ja „ohne „Vererbung an ein Versichertenkollektiv“ kalkuliert sind, vermutlich keine Auszahlungen in attraktiver Höhe zu. Und all diese Probleme stellen sich bereits, wenn man nur über die Dauer eines Auszahlplanes nachdenkt. Darüber hinaus muss man aber noch über den Verlauf der Zahlungshöhe eines Auszahlplanes nachdenken. Hierzu sagt der Fokusgruppenbericht gar nichts. Es sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar, wir nennen exemplarisch drei: Man könnte festlegen, dass die Auszahlung mindestens für die vereinbarte Dauer in einer garantierten Mindesthöhe geleistet werden muss. In einem solch starren Korsett bliebe wenig Raum für chancenreiche Kapitalanlage des Auszahlplans.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Auszahlung zwar mindestens für die vereinbarte Dauer geleistet werden muss, der Höhe nach aber schwanken darf. Dies könnte man zum Beispiel erzielen, indem man jeden Monat gleich viele Stück Fondsanteile ausbezahlt und die Stückzahl gleichmäßig auf die Auszahlungsdauer verteilt. Bei chancenreicher Kapitalanlage käme es unter Umständen zu signifikanten Schwankungen der Auszahlungshöhe.
Die dritte Möglichkeit wäre, eine Auszahlungshöhe zu berechnen, die während der angestrebten Zahlungsdauer entnommen werden kann, sofern der Fonds eine angenommene Rendite erzielt.
In der Realität wird das Geld – je nach Entwicklung des Fonds – früher oder später ausgehen als geplant. Hierzu haben wir in einer Studie Simulationsrechnungen vorgenommen: Wenn ein Entnahmeplan so kalkuliert ist, dass er bis Alter 90 reicht, sofern der Fonds sechs Prozent Rendite erzielt, dann reicht das Geld tatsächlich nur mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als einem Drittel bis Alter 90, selbst wenn der Fonds tatsächlich eine Rendite von sechs Prozent aufweist, diese aber unter marktüblichen Schwankungen erzielt. Betrachtet man all diese Argumente rational, so kommt man zum Schluss, dass Auszahlpläne für das Ziel, lebenslange Ausgaben zu finanzieren, in aller Regel weniger gut geeignet sind als eine lebenslange Rente.
Umgekehrt lässt sich aus diesen Argumenten auch ableiten, was eine sinnvolle Lösung für die Auszahlphase wäre: Da die Auszahlphase der staatlich geförderten Altersvorsorge den Lebensstandard im Alter finanzieren soll, sollte eine lebenslange Rente die Regel sein. Umgekehrt ist aber eine chancenreichere Kapitalanlage auch in der Rentenphase wünschenswert, denn die Inflation hört nicht auf, nur weil ein Verbraucher in Rente geht. Daher sollte die lebenslange Rente eine niedrigere Garantiehöhe aufweisen als bei typischen klassischen Renten. Dafür wären dann ein höherer Fondsanteil und besserer Inflationsschutz möglich. Die Rente würde im Gegenzug – oberhalb der Garantie – moderat schwanken. Solche Produkte sind am Markt bereits etabliert, waren bei Riester aber nicht zulässig. Das sollte der Gesetzgeber künftig ändern.
Das Beste zum Schluss
Und das Beste zum Schluss. Für solche Produkte braucht man Versicherer und Fondsanbieter. Die Versicherer sorgen für ein lebenslanges Einkommen. Ein hoher Fondsanteil sorgt für Chancenpotenzial und reduziert das Inflationsrisiko. Es bleibt die Hoffnung, dass sich die Fonds- und die Versicherungsbranche gemeinsam für diese bedarfsgerechte Lösung starkmachen. Denn noch ist der Abschlussbericht der Fokusgruppe nur eine Empfehlung und kein Gesetz.
Prof. Dr. Jochen Ruß ist Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), Ulm. Ruß ist Professor für Aktuarwissenschaften an der Universität in Ulm und Fachmann für die Entwicklung innovativer Fondspolicen.