Frauen im Finanzvertrieb: Wenn Thomas endlich Platz macht

Darauf jedenfalls lässt nicht nur der Frauenanteil auf Vertriebsveranstaltungen schließen, sondern auch die Zusammensetzung der Teilnehmer am jüngsten „Vermittlerbarometer“ des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung, einer Online-Umfrage, die nicht nur auf Verbandsmitglieder beschränkt war. Von den 1.077 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gehörten 58 Prozent nicht dem AfW an; 89 Prozent verfügten über eine 34d- und 63 Prozent (auch) über eine 34f-Erlaubnis.

Davon waren insgesamt – wie der AfW für Cash. aufgeschlüsselt hat – 88,9 Prozent Männer, 10,8 Prozent Frauen und 0,3 Prozent diverse Personen. Das dürfte dem tatsächlichen Geschlechterverhältnis in der Branche deutlich näher kommen als die ChatGPT-Schätzung – vorausgesetzt Männer und Frauen sind etwa in gleichem Maße auskunftsfreudig.

Wie auch immer: Auch ohne exakte Zahlen wird wohl niemand bestreiten, dass Männer in der Branche weit in der Überzahl sind. Wahrscheinlich ist dies so offensichtlich, dass eine genauere Erfassung nicht als notwendig erachtet wird. „Die Finanz- und Versicherungswelt ist traditionell männlich dominiert. Auch wenn sich die Präsenz in den letzten Jahren etwas verbessert hat, sind Frauen in der Finanz- und Versicherungsbranche noch immer unterrepräsentiert, vor allem auf höheren Ebenen“, bestätigt auch Prof. Dr. Katrin Löhr.

Mehr Frauen auch wegen Fachkräftemangel wichtig

Sie lehrt an der Fachhochschule Dortmund Finanzwirtschaft, ist unter anderem im Defino-Kuratorium und im DIN-Ausschuss aktiv und hat sich vor allem das Thema „Finanzbildung“, speziell für Frauen, auf die Fahne geschrieben. „Eine gleichberechtigte Gestaltung durch Frauen und Männer würde der Branche gut tun. Zudem ist es angesichts des Fachkräftemangels besonders wichtig, dass Frauen die Finanz- und Versicherungsvermittlung als ein attraktives Berufsfeld sehen oder für sich entdecken“, sagt Katrin Löhr.

Auch darüber besteht wohl ohne große Diskussionen oder Umfragen Einigkeit: Mehr Finanzdienstleisterinnen sind wünschenswert. Und es tut sich etwas: „Frauen in der Finanz- und Versicherungsbranche werden immer präsenter und treten mehr und mehr an die Öffentlichkeit. Das ist auch gut so, denn starke Vorbilder sorgen dafür, jungen Frauen zu zeigen, dass unsere wunderbare Branche großartige Möglichkeiten für jeden und jede bietet“, sagt Franziska Geusen, Mitglied im Vorstand des AfW.

Franziska Geusen, AfW: „Frauen in der Finanz- und Versicherungsbranche werden immer präsenter.“ /
Foto: AfW

„Ich freue mich sehr, dass viele Versicherungsunternehmen, Maklerhäuser und auch Verbände eigene Initiativen ins Leben gerufen haben, um die noch vorhandenen Herausforderungen herauszuarbeiten und Frauen miteinander zu vernetzen“, betont sie und erklärt: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Helga Jung 2011 als erste Frau in den Vorstand der Allianz SE berufen wurde, damals eine Sensation. Jetzt – 13 Jahre später – ist es zum Glück völlig normal, dass eine Frau einen solchen Posten übernimmt, auch wenn der Thomas-Kreislauf sicherlich dafür sorgen wird, dass wir noch viele Jahre benötigen werden, um eine tatsächliche Diversität in den Führungspositionen der Versicherungswirtschaft zu erreichen.“

Thomas, Michael, Stefan & Co.

Mit „Thomas-Kreislauf“ ist gemeint, dass viele Führungspositionen – nicht nur in der Finanzwirtschaft – mit Männern aus den geburtenstarken 1960er Jahren besetzt sind. Damals war der Vorname häufig. Sie umgeben sich gerne mit ihresgleichen, also weiteren Thomassen (oder zum Beispiel Michaels oder auch Stefans). Die bis Mitte der 1960er geborenen erreichen in den nächsten Jahren sukzessive das Rentenalter, manche machen vielleicht vorzeitig ihre Stühle frei. Doch das wird wohl ein längerer Prozess und noch tragen Thomas & Co. dazu bei, dass die Chefetagen männerdominiert sind.

Besonders ausgeprägt ist das im Finanz- und Versicherungsvertrieb. Dort finden sich bei größeren Gesellschaften mit Ausnahme von Christine Schönteich, Geschäftsführerin des Maklerpool-Marktführers Fonds Finanz, so gut wie keine Frauen in den Vorständen und Geschäftsführungen. Auch das könnte ein Grund dafür sein, dass sich so wenige Frauen für den Vermittlerberuf interessieren.

Zuletzt immerhin gab es Bewegung in einigen Chefetagen: So hat die JDC Group ihren bislang aus drei Männern bestehenden Vorstand zum 1. September 2024 um Dr. Ramona Evens als Chief Operating Officer (COO) erweitert.

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