Laut Global Investment Research Division von Goldman Sachs ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Europa für alle Altersgruppen in den letzten 20 Jahren gestiegen. In Europa sind mehr Frauen zwischen 30 und 59 Jahren erwerbstätig als in den USA, wo die Erwerbsquote von Frauen unlängst stagnierte. Der Grund: ein besseres Angebot an hochwertiger Kinderbetreuung und großzügigere Elternzeitregelungen. Verglichen mit den USA wird in europäischen Ländern generell mehr für öffentliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausgegeben, bezahlte Elternzeit steht länger zur Verfügung. Dies bestärkt mehr Frauen darin, erwerbstätig zu werden und zu bleiben.
Fakt ist leider: Die Gehaltslücke bleibt. Die europäischen Länder schneiden in dieser Hinsicht zwar besser ab als die USA, Kanada und Japan. Dennoch: Es bestehen weiterhin beträchtliche Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Einige davon lassen sich auf Erfahrung und Stellenbeschreibungen zurückführen; doch für einen Großteil dieser Gehaltslücke gibt es keine Erklärung. Gemessen am Bildungsniveau beispielsweise müssten Frauen mehr als Männer verdienen.
Führung ist immer noch zu männlich
Für jüngere Erwerbstätige hat sich die Situation verbessert. Es gibt heute kaum Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen britischen Männern und Frauen im Alter von 20 bis 39 Jahren. Doch wenn Frauen erst einmal über 40 sind, weitet sich die Gehaltslücke in den folgenden 20 Jahren deutlich aus.
Wenn wir uns die europäischen und US-Unternehmen im STOXX 600 beziehungsweise im Standard & Poor’s 500 Index anschauen, erkennen wir, dass es deutlich mehr Männer in Top-Führungspositionen gibt als Frauen (Grafik 1).
Diversität = mehr Gewinn
Eins ist sicher: Vielfältige Meinungen und Erfahrungen führen zu besseren Entscheidungen. Unternehmen, die in ihrer Belegschaft und ihrer Unternehmensleitung Diversität aufweisen, sind besser in der Lage, Produkte, Dienstleistungen und Marketingstrategien zu entwickeln, die eine vielfältige Kundenbasis ansprechen.
Stichwort: Stewardship. Als Investoren verbringen wir viel Zeit im Dialog mit Unternehmen, unter anderem auch zu Diversitätsfragen. Dabei stoßen wir häufig auf rein männliche Führungsteams – selbst in Unternehmen, die Produkte für Frauen herstellen. Dies wirft eine ernste Frage auf: Kann ein Unternehmen, das sich an Frauen richtet, bei dem aber weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat die weibliche Perspektive vertreten ist, auf langfristigen Erfolg hoffen?
Das bleibt anzuzweifeln, denn: Der Löwenanteil der Konsumausgaben wird von Frauen getätigt. Bei einer aktuellen Studie gaben 89 % der Frauen an, für das tägliche Einkaufen verantwortlich oder mitverantwortlich zu sein, während es bei den Männern nur 41 % waren.1
Das ist ein Hauptgrund, warum wir als eine der ersten globalen Asset-Management-Gesellschaften gegen die Nominierungsausschüsse von globalen börsennotierten Unternehmen gestimmt haben, wenn keine Frauen vertreten waren. Das Ergebnis: Die Anzahl der Frauen in den Leitungsorganen von Unternehmen ist gestiegen. Von den 214 Unternehmen, bei denen wir letztes Jahr dagegen gestimmt haben, wurden seither in 79 Unternehmen – bei 37 % – Frauen in den Vorstand oder Aufsichtsrat berufen.
Das ist auch für Anleger wichtig. Die immer beliebter werdenden ESG-Fonds, die nach Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien investieren, berücksichtigen bei Anlageentscheidungen auch die Geschlechtervielfalt. Das könnte bedeuten, dass Unternehmen, die nur zögerlich bei der Schließung von Gendergaps vorgehen, dies unter Umständen am Gewinn zu spüren bekommen.
Fokus Finanzdienstleistungen: bislang verpasste Chancen
Wie aus Grafik 2 hervorgeht, ist es um unsere Branche schlecht bestellt, wenn es um weibliche Teilhabe im Allgemeinen und speziell um Frauen in Führungspositionen geht.
Von Frauen geführte Unternehmen machen nur 5,5 % des Vermögens von Investmentfonds2 und weniger als 1 % des Gesamtvermögens der Branche aus. In Großbritannien gibt es mehr Männer namens Dave als Frauen, die Investmentfonds managen, meldete Morningstar.3
Das ist eine verpasste Chance. Diversität in einem Investmentteam kann dazu beitragen, hochkarätige Fachkräfte anzuwerben und zu binden und bessere Investmentideen und -ergebnisse zu unterstützen. Bei Goldman Sachs Asset Management hat Diversität obersten Stellenwert und heute werden fast 50 % unseres Vermögens von Frauen gemanagt. Damit liegen wir weit über dem Branchendurchschnitt.
Wichtig bleibt: Bei Diversität geht es nicht einfach nur um Zahlen oder Quoten. Wenn keine integrative Unternehmenskultur herrscht, nutzt auch eine vielfältige Belegschaft nur wenig. Wertschöpfung durch Diversität ist nicht möglich, wenn die Perspektiven und Ideen von Menschen ignoriert werden.
Jetzt haben wir vielleicht die Möglichkeit, die Arbeitswelt vielfältiger und integrativer zu machen. Frauen waren von der COVID-19-Krise überproportional betroffen, denn viele von ihnen mussten neben ihren beruflichen Verpflichtungen noch Kinderbetreuung und andere häusliche und nicht bezahlte Pflichten übernehmen. Jetzt, wo ein Ende der Pandemie abzusehen ist, sollten wir beginnen darüber nachzudenken, wie wir diese Probleme kreativer angehen können. Welche Vorteile das bringen kann, liegt auf der Hand.
Autorin Laura Destribats ist Co-Portfoliomanagerin des GS Global Millennials Equity Portfolios (Goldman Sachs).
1 Women: Primed and Ready for Success, Nielsen, 2019.
https://www.nielsen.com/us/en/insights/article/2019/women-primed-and-ready-for-progress/
2 Bella Research and Knight Foundation, Diversifying Investments: A Study of Ownership Diversity and Performance in the Asset Management Industry, 2019. https://knightfoundation.org/reports/diversifying-investments-a-study-of-ownership-diversity-and-performance-in-the-asset-management-industry/
3 Morningstar, https://citywireselector.com/news/more-uk-funds-run-by-men-called-david-than-women/a1295875