Frevelhafte Frage: Wie lange hält Italien den Euro noch aus?

Es ist nirgendwo in Stein gemeißelt, dass Großbritanniens europapolitisches Misstrauensvotum ein Unikum bleiben muss. Es geht nicht nur um den Bestand der EU, sondern auch um den der Eurozone.

Die Halver-Kolumne

Robert Halver, Baader Bank
Robert Halver, Baader Bank

Dabei sollte man nicht immer nur an die üblichen Austrittsverdächtigen Griechenland, Zypern oder Portugal denken. Es geht um ein viel bedeutenderes Land, Italien, Gründungsmitglied der EWG 1957.

Ich persönlich liebe Italien. Seine Kultur, die phantastischen Landschaften und Bauwerke, seine großartigen Menschen und die grandiose Küche gehören zum Besten, was ein Land bieten kann. Wirtschaftlich zählen diese soft facts allerdings wenig bis nichts. Da geht es um hard facts. Und die tun weh. Denn Italien geht es richtig schlecht. Während Italiens Industrie ihr Produktionsniveau von vor der Finanzkrise 2008 noch nicht annähernd erreicht hat, konnte Deutschland diesen Einbruch längst wieder wettmachen.

In den letzten 20 Jahren hat Italien gegenüber Deutschland über 40 Prozent an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Italien ist vielfach zu einem Industriemuseum geworden. Man macht weiter gerne Urlaub in Bella Italia, aber wer dort als Unternehmer investiert, muss schon über ein hohes Maß an ökonomischer Schmerzfreiheit verfügen.

Unternehmenspleiten gehören heutzutage ebenso zum italienischen Wirtschaftsalltag wie Not leidende Kredite, die laut IWF auf 80 Prozent des vorhandenen Eigenkapitals der Banken gestiegen sind. Diese riechen teilweise so faul, dass die Sachbearbeiter in den Kreditabteilungen Nasenklammern tragen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt fast 40 Prozent. Italien droht, eine ganze Generation zu verlieren, auch für die europäische Idee.

Signore Renzi, versuchen sie es doch mal mit Wirtschaftsreformen!

Italiens Wettbewerbsschwäche ist sicher kein Naturgesetz. Theoretisch könnte die amtierende Regierung Matteo Renzi den italienischen Wirtschafts-Karren mit harten Reformen aus dem Dreck ziehen. In der Praxis sind dieser wirtschaftlichen Logik jedoch Grenzen gesetzt: Denken wir zurück an einen Amtsvorgänger Renzis, Wirtschaftsprofessor Mario Monti. Wie lange Zeit die DFB-Elf gegen die Squadra Azzurra im Fußball kämpfte er mit seinen Reformambitionen erfolglos gegen den politischen Widerstand in Rom. Seit seinem Scheitern und Ausscheiden aus dem Amt gilt in der römischen Polit-Landschaft das Motto „Wer reformiert, wird abgewählt“. Vor diesem Hintergrund ist auch Matteo Renzi auf der Reformebene so beweglich wie das Kolosseum. Bloß niemandem mit Strukturmaßnahmen auf die Füße treten, die zunächst schmerzhaft sind und zur Rache des Wählers führen können. Doch hat der amtierende Ministerpräsident nicht vehement versprochen, Italien von Grund auf zu reformieren? Entschuldigung Signore Renzi, Pinocchio ist eine italienische Kunstfigur, richtig?

So wie Bewegungsarmut bei Rückenschmerzen nicht nur keine Linderung, sondern längerfristig noch mehr Schmerzen bedeutet, führt die „politisch korrekte“ Reformunbeweglichkeit Italiens nur zu chronischen Wirtschafts-Leiden: Noch weniger Wachstum, noch mehr Arbeitslosigkeit, noch weniger Rente, insgesamt noch weniger Perspektive.

Schon heute gibt bereits die Hälfte aller Italiener dem Euro die Schuld an der Wirtschaftsmisere. Vor der nächsten Nationalwahl spätestens 2018 muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Eine populistische Euro-kritische Partei, die Italien aus der Eurozone führen will, bekommt immer mehr Zulauf. Man redet den Italienern ein, dass das Land den Euro nicht aushalten kann. Nicht auszuhalten sind jedoch die reformscheuen italienischen Politiker. Das sind die wahren Schuldigen an der Perspektivlosigkeit.

Seite zwei: Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, muss einfach noch mehr Staatsverschuldung her

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