Frugalismus ist in den Medien immer präsenter: „Frugal“ lässt sich dabei mit „bescheiden“ übersetzen und steht für Menschen, die freiwillig unter ihren Verhältnissen leben. Sie geben nicht ihr komplettes Einkommen aus, sondern fragen sich, was sie wirklich benötigen und welche Ausgaben ihnen mehr Freude bringen. Ein besonderes Augenmerk legen sie dabei auf ihre Finanzen.
Denn die monatlichen Ersparnisse, die nicht für ein zufriedenes Leben benötigt werden, investieren sie. In Aktien und ETFs, in Immobilien, in Peer-to-Peer-Kredite, in Kryptowährungen, in Staatsanleihen. Die (passiven) Erträge aus diesen Investitionen sollen langfristig einen ernstzunehmenden Einkommensstrom bilden und so dazu beitragen, sich finanziell von einem Arbeitgeber unabhängiger zu machen. „Finanzielle Freiheit“ wird entsprechend häufig mit Frugalisten in Verbindung gebracht – genauso wie der Wunsch, früher als 67 finanziell unabhängiger zu sein – wie die Beispiele im Buch “Rente mit 40” zeigen, das 2019 im Ullsteinbuch-Verlag erschienen ist. Von außen betrachtet werden solche Ziele jedoch nur zu gerne mit einem knausrigen Leben in der Hängematte verwechselt.
Auf der Jagd nach dem bestmöglichen Leben
Doch Frugalisten wollen deutlich mehr: Sie konzentrieren sich zu einhundert Prozent auf das, was sie persönlich wirklich glücklich macht. Sie hinterfragen aktiv, wie sie ihr Leben tatsächlich führen möchten und was für sie ein bestmögliches Leben ist. Lifestyleinflation – also die Ausgaben und Konsumansprüche im gleichen Maße parallel zum steigenden Einkommen nach oben zu schrauben statt sich über das Mehr an Sparquote zu freuen – kommt für Frugalisten nicht in Frage. Eher fragen sie sich, ob das dicke neue Auto wirklich ein inniger Herzenswunsch ist oder doch nur dem Wunsch entspringt, mit Nachbarn oder Bekannten mitzuhalten, die man nicht einmal mag. Auch trennen sie sich lieber von ungenutztem Krempel, der ihr Leben beschwert statt es zu bereichern. Denn wer weniger Geld für unnötige oder kurzlebige Dinge ausgibt, hat am Monatsende mehr übrig – und kann diese monatlichen Ersparnisse wiederum für sich arbeiten lassen.
Und wozu das alles? Die häufigste Antwort ist „für mehr Zeit und Unabhängigkeit“ – zum Beispiel für die Familie, fürs Reisen oder für eigene Projekte, die nichts mit einem Angestelltenverhältnis zu tun haben. Der eine reduziert so die Wochenarbeitszeit und kümmert sich um ein pflegebedürftiges Familienmitglied. Der andere will häufiger ein Sabbatical einlegen und reisen. Der nächste freut sich auf eine Rente vor dem 67. Lebensjahr oder will einfach ein Vermögen schaffen, das die Familie oder das Alter absichern. Ihnen allen ist gemeinsam: Durch geschickten Umgang machen sie sich Geld zunutze und konzentrieren sich dabei auf mehr Lebensfreude.
Eine Andersbewegung der Besserverdienenden?
Wohin führt dieses zunehmende Bewusstsein für den Zusammenhang von Konsum und Vermögen? Woher kommt diese Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit, nach finanzieller Effizienz und vielleicht sogar nach Minimalismus? Ist unsere Gesellschaft so übersättigt, dass besserverdienende Mittdreißiger nichts Besseres zu tun haben, als mit dem Arbeiten aufhören zu wollen? Und wohin führt dieser Ruck, der den Black-Friday-Enthusiasten gegenübersteht?
Irgendwo zwischen Containerschiffen mit billigsten China-Importen, die – seien wir einmal ehrlich – für die Mülltonne produziert wurden, liegt der Wunsch nach etwas, das Hand und Fuß und Qualität und Bestand hat. Irgendwann nach einem weiteren endlosen Meeting-Marathon an einem weiteren Tag, an dem man seine Familie nur zum Abendessen zu Gesicht bekommt, wird der Wunsch größer nach dem einzigen Gut, das man nicht kaufen kann: Zeit.
Demgegenüber steht das gesellschaftliche Konzept, seine Lebenszeit fünf bis sechs Tage die Woche ganz selbstverständlich gegen Geld zu tauschen und dafür Dinge zu erwerben, die mal mehr, mal weniger relevant sind. Der eine ist sehr zufrieden mit diesem Konzept. Der andere möchte nur einen Teilaspekt davon ändern. Und der nächste möchten dieses System am liebsten komplett hinter sich lassen und nimmt dafür auch mehr Aufwand in Kauf. Klar, wer ein höheres Einkommen hat, kann leichter finanziell unabhängiger werden. Doch Erfolg verspricht ein anderer Gesichtspunkt als das bloße Einkommen.
Sich selbst ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ schaffen
Grundlage dafür ist das Bewusstsein, dass man die eigene Situation und die eigenen Ausgaben selbst in der Hand hat. Solange die Entscheidung aktiv und bewusst getroffen wird, wie man sein Leben führt, wofür man seine Zeit und sein Geld einsetzt und womit man seinen Tag verbringen möchte – so lange ist es die richtige Entscheidung. Sein Ziel zu erreichen hängt dabei nachweislich nicht vom Einkommen oder den Familienverhältnissen ab. Das beweisen zahlreiche Menschen, die auch mit geringstem Einkommen noch vor dem 40. Lebensjahr nicht mehr auf eine Festanstellung angewiesen sind.
Frugalisten haben dabei nicht den Anspruch, dass ihr Konzept das Beste, das einzig Wahre oder gar allgemeingültig ist. Doch die Zahl derer, die Frugalismus für sich entdecken und die ab irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr auf ein Gehalt angewiesen sind, steigt. Wer sich das von der Politik vieldiskutierte bedingungslose Grundeinkommen ganz oder teilweise selbst geschaffen hat, widmet sich selbstbestimmter dem, was er oder sie gerne machen möchte.
Das frugale Konzept ist dabei kein Allheilmittel des Glücks. Aber es kann ein Weg sein, Entscheidungen und Konsumverhalten zu hinterfragen und einen Schritt in Richtung Ressourcenschonung zu gehen. Es ermöglicht Menschen, mehr Zeit für sich zu nutzen – aber vor allem auch: mehr Zeit für andere zu haben, beispielsweise in Form von sozialem Engagement. Frugalismus hilft, dem Schreckgespenst „Altersarmut“ eine Lösung gegenüberzusetzen und nicht mit Scheuklappen ins Verderben zu laufen. Und ja: immer mehr Menschen erkennen, dass sie ihre Lebenszeit und ihre finanziellen Ressourcen durch kleine Stellschrauben effizienter für sich und andere einsetzen können. Etwas muss und wird sich ändern. Frugalisten werden ein Teil davon sein. Und so, wie es sich abzeichnet: ein zufriedenerer Teil.
Gastbeitrag von Florian Wagner, dem Autor des ersten deutschsprachigen Buchs zum Thema Frugalismus, das unter dem Titel “Rente mit 40” beim Ullstein-Verlag erschienen ist. Der Autor informiert auf seinem Finanzblog www.geldschnurrbart.de über finanzielle Bildung.
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