Fusionen und Übernahmen: Game Over für Anwälte und Berater? Wie KI das M&A-Geschäft revolutioniert

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Auch der M&A-Markt verändert sich durch KI.

EXKLUSIV Fusionen und Übernahmen binden oft Heerscharen an Beratern und Anwälten. Die Künstliche Intelligenz könnte dies dramatisch ändern.

Forrester Research prognostiziert, dass der Einsatz von KI den Bedarf an externen Beratern für das Changemanagement bei Fusionen und Übernahmen um 50 Prozent senken kann. Der Bedarf an großen HR-Teams lässt sich um 30 bis 40 Prozent verringern. Bei der Vertragsanalyse und -verhandlung können LLM-gesteuerten Chatbots die Produktivität um 25 Prozent steigern. Der manuelle Aufwand und der Bedarf an externer juristischer Unterstützung für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften reduziert sich um etwa 30 Prozent. Durch automatisierte Analysen von Prozessen können Unternehmen ihre operativen Beratungskosten um bis zu 60 Prozent senken.

In der wettbewerbsintensiven Welt der Fusionen und Übernahmen ist Zeit gleich Geld und Ineffizienzen verursachen erhebliche Kosten. Dies gilt insbesondere für Merger & Acquisitions (M&A) auf der Käuferseite und im Umfeld von häufigen Transaktionen. In diesem Klima entwickelt sich künstliche Intelligenz (KI) zu einer transformativen Kraft. Denn die Technologie ist viel mehr als ein Werkzeug zur Rationalisierung von Prozessen. Im M&A Prozess verändert sie jede Phase innerhalb der Transaktionen und steigert die Effizienz – von der Strategiedefinition und Identifizierung des Zielunternehmens „Pre-Deal“, das heißt vor der Transaktion, über die „Deal-Execution“, also die Orchestrierung der Transaktion von der Idee bis zum Abschluss, bis zu Aktivitäten „Post-Deal“ einschließlich der Post-Merger-Integration (PMI) nach dem Kauf. Dieser Wandel beschleunigt nicht nur die Transaktionen selbst. Er stellt mit Blick in die Zukunft auch die traditionellen Rollen von Anwälten oder externen Beratern in Frage. Werden sie durch KI überflüssig?


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Pre-Deal-Phase: KI beschleunigt die Identifizierung von M&A-Zielen und Strategien


Traditionell umfasst die Pre-Deal-Phase umfangreiche manuelle Recherchen, Datenanalysen und strategische Planungen – Aufgaben, die Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen können. Der Einsatz von KI verkürzt diese Phase deutlich. So können Unternehmen schneller Erkenntnisse gewinnen, optimale M&A-Ziele mit größerer Präzision identifizieren und die Vorbereitung von Transaktionen rationalisieren.

1. Strategie festlegen
Die heutigen Algorithmen verarbeiten riesige Mengen von Marktdaten, erkennen Trends und sagen Marktveränderungen mit beispielloser Geschwindigkeit vorher. KI-Tools analysieren historische Daten, Wettbewerber und Branchentrends. Damit unterstützen sie Unternehmen dabei, die Akquisitionsstrategien auf ihre langfristigen Ziele auszurichten. Beispielsweise können Unternehmen Akquisitionsmöglichkeiten direkt mit ihren strategischen Roadmaps vergleichen und so schneller und fundierter Entscheidungen treffen.

2. Ziele identifizieren
Generative KI und Machine-Learning-Algorithmen scannen Millionen von Datenpunkten, um potenzielle Akquisitionsziele auf der Grundlage von Kriterien wie Marktposition, Finanzlage und demografischen Merkmalen der Kunden festzulegen. Die Technologie verkürzt die Zeit für die Identifizierung potenzialträchtiger Akquisitionsziele . Die manuelle Analyse, die früher oft wochenlang dauerte, lässt sich dadurch auf wenige Tage reduzieren, indem Longlists, Unternehmensprofile, und sogar Ansprachen automatisiert von der KI erstellt und durchgeführt werden. In speziellen Anwendungsfällen wurden KI-Lösungen entwickelt, die als „Dating-Plattformen“ für Unternehmen fungieren und Verkäufer und Käufer zusammenbringen. Eine in Japan entwickelte Lösung zielt beispielsweise auf kleine und mittlere Unternehmen ab, die eine Übernahme anstreben – insbesondere auf solche mit alternden Inhabern, die keinen Familiennachfolger haben. Dieses Tool bringt Käufer und potenzielle Investoren effizient zusammen und verkürzt so den M&A Prozess signifikant.

Deal-Execution-Phase: KI rationalisiert komplexe Transaktionen


In der Deal-Execution-Phase, in der die Transaktionen von der Idee bis zum Abschluss orchestriert werden, zeigt sich die Auswirkung von KI am deutlichsten. Denn sie reduziert den Bedarf an großen Teams externer Fachleute wie Anwälte und Berater. KI-Tools vereinfachen und automatisieren die zeitaufwändigsten Aspekte des Prozesses. Das Ergebnis ist mehr Effizienz und geringere Kosten.

1. Due Diligence
Eine Due-Diligence-Prüfung – also die sorgfältige Analyse der wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse eines Unternehmens – ist traditionell ein arbeitsintensiver Prozess. Denn er erfordert eine eingehende Prüfung zahlreicher Dokumente und eine aufwendige rechtliche Untersuchung. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Dimensionen: Eine kürzlich durchgeführte IT-Due-Diligence bei einem Nutzfahrzeughersteller erforderte fast zwei Monate manueller Datenanalyse. KI-Tools können Cyber-Security- und Datenschutzdokumente bis zu 90 Prozent schneller verarbeiten und analysieren als menschliche Teams. Dies senkt die Kosten für eine Due-Diligence erheblich, was bei großen Transaktionen zu Einsparungen in Millionenhöhe führen kann.

2. Vertragsanalyse und -verhandlung
KI kann die Analyse komplexer juristischer Dokumente automatisieren und Schlüsselbegriffe und Risiken mit hoher Genauigkeit aufzeigen. Legal Chatbots, die auf Large Language Models (LLMs) basieren, liefern zudem Echtzeit-Antworten auf grundlegende juristische Fragen. Dies verkürzt die Antwortzeiten und senkt die Anwaltskosten. Angaben von Eraneos Analytics und M&A-Experten verdeutlichen das immense Potenzial von KI bei Vertragsverhandlungen und Rechtsberatung: Ihre LLM-gesteuerten Chatbots können die Produktivität um 25 Prozent steigern.

3. Automatisierung des Transaktionsmanagements
KI-gesteuerte Plattformen für das Projektmanagement koordinieren Aufgaben, überwachen Zeitpläne und erleichtern die Kommunikation mit den Beteiligten während des gesamten Transaktionsprozesses. Die Automatisierung dieser Funktionen verringert in den Unternehmen den Bedarf an menschlichen Projektmanagern und stellt sicher, dass die Arbeitsabläufe straff und effizient bleiben.

4. Einhaltung gesetzlicher Vorschriften
Gesetzliche Vorschriften bei Fusionen und Übernahmen konsequent einzuhalten, ist ein kostspieliger und komplexer Prozess. KI überwacht kontinuierlich regulatorische Änderungen und Aktualisierungen und gewährleistet, dass länderspezifischen Vorschriften wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprochen wird. Unsere Spezialisten bei Eraneos haben für diese Aufgabe ein KI-basiertes Tool entwickelt. Es basiert auf etablierten Kriterien und ist auf länderspezifische rechtliche Anforderungen zugeschnitten. Die Lösung identifiziert offene Fragen und potenzielle Risiken und stellt sicher, dass alle relevanten Rechtsvorschriften berücksichtigt werden. Gleichzeitig reduziert sich der manuelle Aufwand und der Bedarf an externer juristischer Unterstützung um etwa 30 Prozent.

Post-Deal-Phase: Mehr Effizienz und Synergie


In der Phase nach der Transaktion werden Prozesse und Strukturen der beteiligten Unternehmen vereinheitlicht und Geschäftsbereiche auch organisatorisch in der Post-Merger-Integration (PMI) zusammengelegt. Dies ist oft der schwierigste und zeitaufwändigste Teil einer M&A-Transaktion. Hier kommen insbesondere die Fähigkeiten der KI zum Tragen, Prozesse zu rationalisieren, die operative sowie kulturelle Integration zu steuern und die  Zielerreichung zu überwachen. Dies macht die Technologie zu einem mächtigen Werkzeug für eine erfolgreiche Fusion.

1. PMI-Playbook
Ein PMI-Playbook bietet erhebliche Vorteile, da es den Zugriff auf wichtige Informationen zentralisiert und rationalisiert. Mit diesem Hilfsmittel können Teams schnell standardisierte Vorlagen, Stakeholder-Rollen, kritische Definitionen wie „Day 1“-Aktivitäten und Checklisten abrufen. Dies gewährleistet Konsistenz und reduziert den Zeitaufwand für manuelle Suchvorgänge. Das Playbook bietet in Echtzeit KI-gestützte Unterstützung für komplexe Abfragen und Entscheidungsprozesse, senkt so das Risiko von Missverständnissen und erleichtert eine reibungslose Integration.

2. Prozessautomatisierung und -optimierung
Eine intelligente Prozessautomatisierung (IPA) harmonisiert IT-Systeme und Prozesse, konsolidiert und bereinigt Daten und stellt einen störungsfreien Datenfluss zwischen fusionierten Unternehmen sicher. KI-gesteuerte Analysen identifizieren Redundanzen und optimieren den Betrieb nach der Fusion. Die Vorhersage geeigneter Integrationsszenarien unter Berücksichtigung von Systemen, Menschen und Prozessen erleichtert die Integration zweier Unternehmen. Durch die Automatisierung dieser Analysen können Unternehmen ihre operativen Beratungskosten um bis zu 60 Prozent senken.

3. Kulturelle Integration und Changemanagement
KI-Tools können die Stimmung unter den Mitarbeitenden analysieren und vorhersagen. So tragen sie dazu bei, die kulturelle Integration während der Fusion effektiv zu steuern. Unternehmen verlassen sich verstärkt auf die KI, um Engagement und Anpassung zu fördern. Der Bedarf an großen HR-Teams lässt sich auf diese Weise um 30 bis 40 Prozent senken. KI-gestützte Plattformen erleichtern Übergänge, unterstützen dabei flüssige Abläufe und bieten Echtzeit-Feedback oder Schulungsempfehlungen. Forrester Research prognostiziert, dass diese Fähigkeit der KI den Bedarf an externen Beratern für das Changemanagement um 50 Prozent senken kann.

4. Leistungsüberwachung und KPI-Management
Die KI-Algorithmen ermöglichen ein kontinuierliches Monitoring der wichtigsten Leistungsindikatoren (KPIs). Zudem schlagen sie bei Bedarf Korrekturmaßnahmen vor. Diese automatisierte Überwachung reduziert den Einsatz menschlicher Analytiker drastisch und stellt sicher, dass strategische Ziele in Echtzeit erreicht werden.

Fazit


Die KI ist nicht nur ein weiteres Tool im Werkzeugkasten von Unternehmen und deren Beratern. Sie ist eine bahnbrechende Kraft innerhalb von M&A-Transaktionen. Sie automatisiert und optimiert Prozesse entlang der Pre-Deal-, Deal-Execution und Post-Deal-Phase und reduziert so drastisch die Kosten und den Bedarf an menschlichen Eingriffen und externen Fachleuten wie Anwälten oder Beratern. Die Technologie ist gekommen, um zu bleiben und wird die Zukunft von M&A-Transaktionen neugestalten.

Künstliche Intelligenz kann jedoch nicht uneingeschränkt integriert werden. Erfahrene und qualifizierte Mitarbeitende müssen weiterhin die Qualität überprüfen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um Risiken wie Sicherheitsverstöße zu reduzieren und die Integrität des Prozesses zu gewährleisten. Die heute verfügbaren KI-Systeme übersehen Nuancen und machen Fehler, die einem menschlichen Experten nicht entgehen. Darüber hinaus hängt die Wirksamkeit der KI stark von der Qualität der verarbeiteten Daten ab. Schlechte Datenbanken liefern schlechte Ergebnisse. Dies führt zu potenziell fehlerhaften Erkenntnissen und Entscheidungen. Auch wenn KI die Effizienz und Genauigkeit erheblich steigern kann, ist es daher zwingend notwendig, ihre Stärken mit menschlichem Fachwissen zu kombinieren. Arbeiten Mensch und Algorithmen zusammen, erzielen sie bei M&A-Transaktionen die besten Ergebnisse.

Die Autoren

Dr. Fabian Most ist M&A Director bei Eraneos und leitet sowohl die unternehmenseigene M&A-Abteilung als auch das globale M&A-Beratungskompetenzzentrum. Mit über 15 Jahren Erfahrung in M&A, Strategie und Venture Building sowie einer engen Zusammenarbeit mit den Data- und AI- Experten von Eraneos Analytics nutzt er diese Synergien, um innovative KI-Lösungen im M&A-Prozess gezielt einzusetzen – sowohl bei Eraneos‘ eigenen M&A-Projekten als auch bei Kunden von M&A-Beratungsleistungen.

Joris Maier ist bei Eraneos Experte für die Umsetzung strategischer Visionen in operative Realität, insbesondere im Bereich Post-Merger Integration (PMI). Seine Stärke liegt im effizienten Steuern von Projekten durch den Einsatz KI-getriebener Technologien sowie im souveränen Management zahlreicher Stakeholder, stets mit einer klaren „Getting it done“-Mentalität.

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