Die erste große Aufregung aus dem Frühjahr 2023 ist inzwischen abgeklungen. Die frühere Finanzkommissarin Mairead McGuinness beabsichtigte, ein branchenübergreifendes Provisionsverbot für die Vermittlung von Kapitalanlagen durchzusetzen. Der Widerstand aus den großen europäischen Kernländern Spanien, Frankreich und Deutschland verhinderte dies. Christian Linder ließ als Finanzminister die formal gebotene Abstimmung mit Wirtschaftsminister Robert Habeck hintenanstehen und wandte sich in einem offenen Brief an die Kommissarin gegen die durchgestochenen Pläne.
Der Kommissionsvorschlag der Retail Investment Strategie (RIS) vom 24. Mai 2023 beschränkte ein mögliches Provisionsverbot sodann nur noch auf die Vermittler, die für sich das Attribut „unabhängig“ werbend nutzen wollen. Ein Ansinnen was bei den Versicherungsmaklern zurecht weiterhin auf Ablehnung stößt. Eingriffe in die Vergütungsgestaltung sind jedoch nur ein Bestandteil der Pläne der Kommission.
RIS: Der Regulierungs-Omnibus rollt
Die RIS ist tatsächlich für alle Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler das Vorhaben, welches ihr berufliches regulatorisches Umfeld in den nächsten Jahren entscheidend prägen kann. Hier werden Weichen gestellt, die die Grundlage für sämtliche Themenbereiche in den nächsten fünf bis zehn Jahren maßgeblich beeinflussen.
Sie ist keine einzelne Richtlinie, vielmehr handelt sich um eines der in der EU so beliebt gewordenen Omnibusverfahren. Dies beschreibt Maßnahmen, mit der gleichzeitig die Änderung und Aktualisierung von mehreren bestehenden Richtlinien und Verordnungen eingeführt wird. Bei der RIS sind dies:
1. die für Finanzanlagenvermittler maßgebliche Finanzmarktrichtlinie MiFID II
2. die für Versicherungsvermittler maßgebliche Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD
3. die Investmentfondsrichtlinie UCITS
4. die Richtlinie für Alternative Investmentfonds AIFMD und
5. die Verordnung zu vorvertraglichen Informationen von verpackten Anlageprodukten PRIIPs.
Die ausgeschiedene Finanzmarktkommissarin McGuinness, aus deren Feder dieser Doppeldeckerbus mit Anhängern stammt, bezeichnete es selbst als den umfassendsten Eingriff in die Finanzmarktregulierung seit den letzten 20 Jahren.
Ein außergewöhnlicher Trilog
Jetzt kommt also der gesetzgeberische Showdown, der in Europa „Trilog“ heißt. Alle drei Gesetzgeber – Kommission, Parlament und Rat –, die sich auf einen Kompromiss verständigen müssen, haben ihre jeweilige Position vorgelegt. Würde das übliche EU-Procedere folgen, hätte man die Formulierungen im Detail miteinander abgeglichen und wäre zeitnah bei einem Ergebnis.
Diesmal ist es jedoch alles anders. Bereits vor den EU-Wahlen im Juni 2024 zeichnete sich vor dem Hintergrund des sich verschärfenden globalen Wettbewerbs ab, dass die EU, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu behalten oder wieder zurückzugewinnen, auch in ihrer Regulatorik eines klaren Richtungswechsels bedarf. Bürokratieabbau steht ganz vorn auf der Agenda. Mit Valdis Dombrovskis wurde sogar ein EU-Kommissar für „Umsetzung und Vereinfachung“ berufen. Seine Hauptaufgabe wird es sein, das bestehende Regelwerk gründlich zu überprüfen und überflüssige oder komplizierte Vorschriften zu vereinfachen.
Der erste Schritt zu Abbau ist die Verhinderung neuer, unnötiger Bürokratie. Dieses Mindset prägte die Trilog-Verhandlungen zur RIS am 18. März 2025. Die Vertreter von Parlament und Rat forderten die Kommission unmissverständlich auf, das bürokratische Monster zu zähmen und konsequent zu vereinfachen. Die Trilog-Verhandlungen wurden unterbrochen und der Kommission wurde die Aufgabe zugewiesen, binnen sechs Wochen einen Entwurf vorzulegen, der diesem neuen Wind der Vereinfachung folgt. Für langjährige parlamentarische Insider ein Vorgang, den es so noch nicht gab.
Neue Strategie statt Vereinfachung
Wirklich anfreunden mit ihrer Vereinfachungs-Aufgabe kann sich die Europäische Kommission offenbar nicht. Unmittelbar nach der Unterbrechung der Triologverhandlung stellte die neue Finanzkommissarin Maria Luís Albuquerque am 19. März 2025 ihr Strategiepapier zur Savings and Investments Union – SIU vor, welche nunmehr im EU-Sprech die Capital Markets Union CMU ablöst. Ziel ist weiterhin, einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen, um das derzeit noch vielfach auf Sparkonten ruhende Kapital der Privatanleger in den Anlagemarkt umzuleiten und hierdurch auch die anstehenden Finanzierungsvorhaben der EU zu ermöglichen. Im Fokus steht hierbei insbesondere der Verbriefungssektor.
Das Strategiepapier wurde von der Kommissarin, nach dem im Trilog erlebten Widerstand, trotzig dazu genutzt, die RIS und den Ausbau des Schutzes der Kleinanleger als einen unerlässlichen Baustein der SIU rühmen. Sie kündigte an, man würde „weiterhin darauf achten, dass das Endergebnis ehrgeizig ist und die Anleger schützt“. Hinter den Kulissen soll die EU-Kommission damit gedroht haben, dass sie ihren Vorschlag vollständig zurückzuzieht, wenn die anderen Trilog-Partner auf eine zu starke Reduzierung der beabsichtigten Maßnahmen bestehen.
Ob eine Verständigung im Trilog möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Ein Datum für die Fortsetzung der Verhandlungen wurde bewusst nicht festgelegt, da Parlament und Rat erst gründlich den Vereinfachungs-Vorschlag der Kommission prüfen wollen.