Fundamentale Fehlannahmen
Das Problem ist, dass bereits der Ausgangsansatz der EU-Kommission verfehlt ist. Sie vermutet, dass die im Vergleich zu den USA niedrigen Investitionsquoten der Europäischen Bürger am Finanzmarkt auf fehlendem Vertrauen beruhen und glaubt, dass die Lösung in der Erweiterung von Berichtspflichten der Produktanbieter, Prüfungspflichten der Berater und Lenkungseingriffen der Aufsicht bestehen kann. Keine dieser Maßnahmen ist jedoch tatsächlich geeignet, mehr Anleger in den Kapitalmarkt zu bringen. Auch eine noch so lenkende Aufsicht kann den Anlegern kein Finanzwissen vermitteln und bei den Sparbuchsparern Zuversicht und Glauben an die wirtschaftliche Dynamik der Finanzmärkte stärken.
Die EU verfügt seit Jahren über ein den USA zumindest gleichwertigen, wenn nicht deutlich ausgeprägteren Verbraucherschutz. Die Regelungsinstrumente liegen seit langem vor. Dennoch entspricht die durchschnittliche Investitionsquote der europäischen Bevölkerung nur einem Drittel derer der USA. Woher nimmt die EU-Kommission die Erkenntnis, dass weiterer bürokratischer Verbraucherschutz nunmehr zu einer Trendwende führt? Hier gilt Einsteins denkwürdige Einsicht, dass immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, die Definition von Wahnsinn ist. Parlament und Rat tun gut daran, sich diesem Bürokratiewahnsinn entgegenzustellen.
Marktwirtschaft stärken, nicht fesseln
Der Votum Verband erwartet, dass die Diskussion um ein Provisionsverbot tatsächlich endgültig beendet ist. Es muss jedoch grundsätzlich deutlich werden, dass jegliche Markteingriffe der Aufsichten, die über eine Eliminierung von Ausreißern und schwarzen Schafen hinausgeht, unterbleiben. Die EU muss die Marktwirtschaft wiederbeleben, anstatt ihr durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen Fesseln anzulegen.
Es ist bezeichnend, dass die von der EU-Kommission als Grundlage der Kleinanlegerstrategie herangezogene Marktstudie selbst feststellt, dass sich in England und den Niederlanden „der Zugang zur Beratung tatsächlich verschlechtert hat. Sowohl in den Niederlanden als auch im Vereinigten Königreich hat sich der Markt in Richtung ‚Execution-only‘-Produkte entwickelt.“
Eingriffe in die Vergütungssystematiken, bis hin zum Provisionsverbot, führen daher nicht zu einer Verbesserung des Beratungsangebots, sondern zu einer Beschränkung des Zugangs zu Beratungsleistungen ausschließlich für Besserverdienende.
Wenn man, wie die EU-Kommission, gleichzeitig feststellt, dass man flächendeckend über eine mangelnde Finanzbildung in Europa sprechen muss, ist die Beschränkung auf Execution-only der sichere Weg, eine Kapitalmarktbeteiligung breiter Bevölkerungsschichten dauerhaft zu verhindern.
Preisregulierung ist keine Lösung
Ebenso werden wir während des Trilogs bei unseren Gesprächspartnern darauf drängen, dass die von der EU-Kommission vorgesehene Einführung einer staatlichen Preiskontrolle unterbleibt. Der Kommissionsvorschlag sieht umfassende Berichtspflichten der Produktanbieter vor, deren konkrete Ausgestaltung jedoch nicht in den einzelnen Richtlinien zu den Produkten (IDD, UCITS, AIFM) festgelegt wird, sondern von der EU-Kommission zusammen mit der Wertpapieraufsicht ESMA und der Versicherungsaufsicht EIPOA als verbindliche Verordnungen für ganz Europa festgelegt werden sollen. Die Aufsichtsbehörden sollen detaillierte Produkt-Benchmarks entwickeln, die im Wesentlichen die Kostenseite der Produkte betrifft.
Staatliche Preisregulierung hat in einer Marktwirtschaft jedoch grundsätzlich keinen Platz und wäre nur dann geboten, wenn ein Marktversagen festzustellen ist. Tatsächlich haben wir in der Europäischen Union weder im Finanzanlage- noch im Versicherungsmarkt marktbeherrschende Unternehmen, welche in der Lage sind, einseitig Preise gegenüber dem Kleinanleger zu diktieren. Zudem ist festzustellen, dass der Wettbewerb unter den Anbietern funktioniert. Bestes Beispiel dafür ist, dass es inzwischen ETF-Angebote gibt, bei denen die Verwaltungskosten weniger als 0,1 Prozent ausmachen. Einer staatliche Kostenkontrolle bedarf es daher nicht.
Sie birgt darüber hinaus das Risiko, dass quasi über die Hintertür der Vorgabe von Abschluss- und Verwaltungskosten erneut ein Eingriff in die Vergütungssystematiken der Berater und Vermittler erfolgt.
Mehr Pflichten, weniger Vielfalt
Bei den EU-Parlamentariern ist daher zu Recht negativ aufgefallen, dass sich die EU-Kommission in ihren RIS-Entwurf eine Vielzahl von Ermächtigungen zum Erlass von Verordnungen eingebettet hat, deren Auswirkung auf die einzelnen nationalen Märkte tatsächlich nicht eingeschätzt werden kann. Wir werden daher darauf achten müssen, dass dieser Ermächtigungsdschungel deutlich zurückgeschnitten wird.
Kritisch ist auch der Ansatz der EU-Kommission zu bewerten, die Berater mit weiteren Pflichten im Bereich der Produktüberprüfung und -Analyse zu belasten. Diese Anforderungen gehen so weit, dass der Berater verpflichtet sein soll, seinem Kunden das „kosteneffizienteste“ Finanzinstrument auszuwählen. Abgesehen davon, dass kosteneffizient von den Aufsichten immer nur mit vermeintlich billig übersetzt wird, anstatt wirklich ein Vergleich zwischen Leistung und Kosten vorzunehmen, überfrachtet dies den Beratungsprozess. Die Produktverantwortlichkeit muss bei den Anbietern verbleiben. Würde man hier weitere Pflichten auf Seiten der Berater einführen, ist im Ergebnis lediglich ein Konzentrationsprozess zu erwarten, da Berater dann den Ausweg nehmen, nur noch eine eingeschränkte Produktpalette anzubieten, um ihren Vergleichspflichten auf möglichst wenige Anlageprodukte zu beschränken und so ihre Pflichtenerweiterung überhaupt handhabbar zu machen.
Mit dieser Maßnahme greift die EU-Kommission daher unmittelbar in die Vielfalt des Marktes ein, was es zu verhindern gilt.
Geeignetheitsprüfung ad absurdum
Ebenso müssen Parlament und Rat darauf achten, dass die EU-Kommission in ihrem Vereinfachungsvorschlag vorsieht, die Verpflichtung zu streichen, dass die Berater zukünftig ihrem Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung nicht nur ein geeignetes Produkt anbieten sollen, sondern darüber hinaus ein weiteres ebenfalls vermeintlich geeignetes Produkt mit einem abgesenkten Leistungsspektrum und geringeren Kosten.
Diese Regelung, die die EU-Kommission als Verbraucherschutzrevolution anpries, lässt erkennen, dass hier reine Theoretiker am Werk waren, die den Anlageberatungsprozess tatsächlich nicht kennen. Die Verpflichtung, Alternativangebote zu unterbreiten, geht selbstverständlich damit einher, dem Kunden für diese Alternativangebote die gleichen Beratungs- und Informationsdokumente auszuhändigen wie für das originäre vorgeschlagene Produkt, um dann auch noch die vermeintlichen Unterschiede quasi in einer Synapse zu erläutern.
Am Ende einer solchen Beratung bleibt ein völlig überforderter Anleger kopfschüttelnd vor einem 250 Seiten starken Dokumentenstapel zurück, mit dem Ergebnis, dass Beratungsunternehmen im Einvernehmen mit dem Kunden von einem Geeignetheitstest absehen werden und zukünftig lediglich eine schlichte Anlagevermittlung anbieten werden, um diese Informationsschlacht zu umgehen.
Es zeigt sich daher, dass es zwingend notwendig ist, bei dem aktuellen Trilog genau hinzuschauen, da die Auswirkungen auf die Beratungsprozess für Anlageberater und Versicherungsvermittler von erheblicher Bedeutung sein können. Sofern hier nicht entschlossen der Rückweg aus den ursprünglich geplanten Bürokratie-Wirren eingeschlagen wird, wachen die Berater in einer Welt auf, die sich als fortgesetzter Alptraum entpuppt.
Autor Martin Klein ist geschäftsführender Vorstand des VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V.
Der Artikel stammt aus Cash. 5/2025 und gibt den Stand 15. April 2025 wieder.