Die Zahl der neu gebauten Wohnungen könnte laut Ifo-Institut im Jahr 2026 auf nur noch 175.000 absinken, das wären dann über 40 Prozent weniger als die knapp 300.000 Wohnungen des Jahres 2022. „Die Prognose ist mit Unsicherheiten behaftet, aber es ist ziemlich klar, dass wir spätestens 2026 unter die 200.000er-Marke rutschen werden“, sagt Ifo-Baufachmann Ludwig Dorffmeister der Deutschen Presse-Agentur. Das von der Berliner Koalition beim Amtsantritt 2021 ausgegebene Ziel sind 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Dieses Ziel rückt offenkundig in immer weitere Ferne.
Eine grundlegende Besserung in den kommenden zwei Jahren erwartet der Ifo-Fachmann aber ebenso wenig wie Bau- und Wohnungswirtschaft. „Insgesamt habe ich wenig Hoffnung auf die große Trendwende“, sagt Dorffmeister.
Die Malaise ist nicht auf Deutschland beschränkt. Die Münchner Ökonomen kooperieren im Forschungsnetzwerk Euroconstruct mit zahlreichen weiteren Wissenschaftlern aus ganz Europa, laut Euroconstruct-Prognose wird die Zahl der Wohnungsneubauten in den 15 westeuropäischen Ländern insgesamt von über 1,5 Millionen im Jahr auf 1,2 Millionen zurückgehen.
Bauen wird voraussichtlich noch teurer
„Wie in den anderen europäischen Ländern spürt der Wohnungsneubau gegenwärtig die negativen Folgen der hohen Inflation und des Zinssprungs“, sagt Dorffmeister. „In Deutschland sind darüber hinaus aber die Baukosten völlig aus dem Ruder gelaufen und verhindern eine Erholung des Marktes. Längerfristig dürfen die Zinsen eigentlich nicht als Ausrede für die schwache Bautätigkeit dienen, da sie sich jetzt wieder auf einem normalen Niveau befinden.“
In den nächsten Jahren dürfte das Bauen nach Dorffmeisters Einschätzung noch einmal teurer werden: „Der Baukostenindex des Statistischen Bundesamts zeigt, dass die vormals stark gestiegenen Materialkosten nicht sinken, sondern sich eher stabilisieren, während die Arbeitskosten in großen Schritten nachziehen.“ Der Tarifabschluss für das Bauhauptgewerbe werde in den kommenden Jahren weitere Kostenzuwächse zur Folge haben.
Bauanträge brechen ein
Ein maßgeblicher Faktor bei der Prognose ist der Einbruch der Bauanträge und Wohnungsbaugenehmigungen. So wurden im Mai nach Zahlen des Statistischen Bundesamts lediglich 17.800 Bauanträge genehmigt, fast 44 Prozent weniger als im Mai 2022. Die Baukosten sind mittlerweile so hoch, dass viele Wohnungsgenossenschaften und kommunale Unternehmen neue Projekte auf Eis gelegt haben. Der Hauptgrund: Damit sich die Gebäude innerhalb der üblichen Zeitspanne von 25 bis 30 Jahren amortisieren, müssten die Unternehmen auch jenseits der Ballungsräume sehr teure Mieten weit über dem ortsüblichen Niveau verlangen, die in kleineren Städten mutmaßlich kein Mensch zahlen wollte.
Der Wohnungswirtschaftsverband GdW beklagte jüngst ein „Trauerspiel ohne Ende“ im Wohnungsbau. „Von politischer Seite passiert viel zu wenig, um dem entgegenzuwirken“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Die fehlenden Baugenehmigungen von heute seien die „nicht stattfindenden Baufertigstellungen der Zukunft“. Der Verband vertritt im Wesentlichen die Interessen von Wohnungsgenossenschaften und städtischen Unternehmen, die ihre Wohnungen meist günstiger vermieten als private Gesellschaften. Laut einer kürzlichen GdW-Umfrage unter diesen Mitgliedsunternehmen wollen oder können in diesem Jahr zwei Drittel keine neuen Wohnungen bauen.
Für Mieter unerfreulich
Die voraussichtliche Entwicklung der Mieten ist nicht Bestandteil der Ifo-Prognose, doch lassen die Zahlen nichts Erfreuliches für Wohnungssuchende erwarten. In großen Städten wie München ist schon seit längerem das eigenartige Phänomen zu beobachten, dass die Kaufpreise für Immobilien sinken, die Mieten aber wegen des Wohnungsmangels weiter steigen.
Auch das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln sieht einen viel höheren Bedarf an Wohnungen als absehbar gebaut werden. Bis 2025 schätzt das Institut den jährlichen Neubaubedarf auf 372.000 Wohnungen, für die Folgejahre bis 2030 auf 302.000 pro Jahr. Wer als Mieter in den nächsten Jahren in städtischen Regionen umziehen will oder muss, darf sich auf eine anstrengende Suche und hohe Kosten gefasst machen. (dpa-AFX)