Wie hoch waren die Erwartungen an die Wirtschaftsentwicklung zu Jahresbeginn: Drei Prozent in den USA, zwei Prozent in Deutschland und selbst im schwächelnden Euroland war ein Prozent Wachstum fest eingeplant.
Marktkommentar von Daniel Zindstein, Gecam
Doch in den letzten Wochen machte sich zunehmend Ernüchterung breit. Die US-Wirtschaft schrumpfte (!) im ersten Quartal mit einer Jahresrate von 2,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Ursachen hierfür waren neben dem extrem harten Winter die Gesundheitsreform Obamacare, die zu einer massiven Überschätzung der privaten Gesundheitsausgaben geführt hat. Ob dies ein Einmaleffekt war, bleibt zunächst offen. Auch der Konsum legte im ersten Quartal nur um ein Prozent und nicht wie erwartet um 3,1 Prozent zu.
Euro-Kernländer schwächeln auch
Auch in Euroland trübt sich das Konjunkturbild ein. Vor allem die Kernländer kühlen sich ab, mit Frankreich an vorderster Stelle: Einkaufsmanagerindizes tauchen weit unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten ab, der Geschäftsklimaindex der französischen Wirtschaft ist auf einem Zehn-Monats-Tief angekommen, Bauinvestitionen sind seit 2011 um sechs Prozent geschrumpft, usw. Aber auch der Musterknabe Deutschland legt zumindest stimmungsmäßig eine Pause ein. So sank der IFP-Geschäftsklima-Index von seinem Hoch im Februar (111,3) auf aktuell 109,7 Punkte. Die befragten Unternehmen beurteilen darin zwar die Lage als gut, jedoch hätten sich die Geschäftserwartungen für die Zukunft weiter verschlechtert.
Eine Lähmung der Investitionen ist natürlich die Folge, obwohl die Unternehmen auf hohen Liquiditätsreserven sitzen. Ursachen für die skeptische Zukunftserwartung und zurückhaltende Investitionen ist zum einen die Unsicherheit über die Entwicklung und etwaige daraus folgende außenwirtschaftliche Belastungen bezüglich des Ukraine-Konflikts und den Spannungen im Nahen Osten (Israel, Irak) und zum anderen aber auch die geringe Dynamik in vielen Schwellenländern der Welt.
Kapitalmärkte laufen dennoch gut
Während also die Realwirtschaft allerorten enttäuscht, zeichnen die Kapitalmärkte ein anderes Bild (in Prozent): Euro Stoxx 50 + 6,8; Dax + 2,9; Dow Jones + 2,1; Weltrenten-Index + 4,86; Bundesanleihen (5-10 Jahre) + 6,4.
Man könnte fragen: Warum wieder mal diese schizophrene Entwicklung der Märkte? Hauptgrund sind die Notenbanken. Allen voran die EZB, die nach der Zinssenkung Anfang Juni weitere expansive Maßnahmen angekündigt hat. Aber auch die US-Notenbank trat baldigen Zinserhöhungsängsten entgegen, setzt vorerst jedoch das Zurückfahren des Anleihekaufprogrammes (Tapering) fort.
Vor allem die Aussagen der EZB zementieren ein Rekord-Niedrigzins-Niveau auf längere Zeit. Das bedeutet, dass selbst hartnäckig auf einen Renditeanstieg wartende Investoren langsam mürbe werden und wieder in den Rentenmarkt einsteigen. Dies wiederum führt zu der etwas irrationalen Entwicklung, dass Spanien weniger Zinsen für die Aufnahme neuer Gelder zahlen muss, als zum Beispiel die USA. Auch die dauerhaft niedrige Inflationserwartung erleichtert einen Einstieg in den Rentenmarkt auf Allzeithoch. In einer Null-Zins-Welt steigt aber natürlich auch der Anlagedruck für renditesuchende Investoren, was Aktien mit Dividendenrenditen von über 3 Prozent (EuroStoxx 50) weiter begünstigt. Grundsätzlich handeln Märkte nun mal nicht die Vergangenheit oder Gegenwart, sondern die Zukunftserwartungen. Doch hier tun sich überraschenderweise auch Lichtblicke auf.
Nach dem Konjunkturschock für das 1. Quartal zeichnet sich in Amerika eine spürbare konjunkturelle Belebung im 2. Quartal ab. Vor allem der Arbeitsmarkt läuft im Verhältnis richtig gut und die Erholung dauert an. Von März bis Juni stieg die Beschäftigung im Schnitt um starke 247.000 Stellen pro Monat und die Arbeitslosenrate nähert sich der 6 Prozent Marke. Auch die Stimmungsindikatoren, wie beispielsweise die Einkaufsmanagerindizes, haben sich wieder kräftig erholt. Das annualisierte Wachstum könnte also im 2. Quartal wieder auf 4 Prozent zurückschnellen.
Deutschlands Wirtschaft kann um zwei Prozent wachsen
Auch in Deutschland ist nicht alles eingetrübt. Weiterhin stimuliert die Binnennachfrage. Konsum, Ausrüstungen und Bauinvestitionen steigen, was durchaus noch ausreichen könnte, um die überdurchschnittliche Wachstumserwartung von 2 Prozent für das laufende Jahr noch knapp zu erreichen. Eine über dem Potenzialwachstum wachsende Volkswirtschaft schafft natürlich auch weiterhin Arbeitsplätze. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit sollte sich jedoch aufgrund des niedrigen Niveaus und der Knappheiten verlangsamen. Negative Effekte aus den Mindestlohn- und Frühverrentungsregelungen zeigen sich noch nicht, werden sich aber im Laufe des nächsten Jahres manifestieren.
Die positive Situation am Arbeitsmarkt ermöglicht hohe Tarifabschlüsse von rund drei Prozent für die Gesamtwirtschaft. Die Lohnstückkosten steigen deutlich an. Jedoch kaum stattfindende Kostenüberwälzungen sowie stabile bis sinkende Energie- und Nahrungsmittelpreise haben die Verbraucherpreise niedrig gehalten. Daraus resultiert für 2014 eine durchschnittliche Inflationsrate von 1,1 Prozent. Verbunden mit zwei Prozent Wachstum, Lohnsteigerungen, mehr Erwerbstätigen, geringe Kreditzinsen ergibt sich daraus ein nahezu perfektes Umfeld für inflationsfreies Wachstum. Sollten die geopolitischen Sorgen zumindest nicht weiter zunehmen, bzw. die Effekte daraus (steigender Ölpreis) nicht eskalieren, steht stabilen Finanzmärkten generell und weiter steigenden Aktienmärkten aufgrund mangelnder Anlagealternativen im Speziellen, nichts entgegen.
Autor Daniel Zindstein verantwortet das Portfoliomanagement der vier Dachfonds des Finanzdienstleisters Gecam.
Foto: Gecam