In diesen Tagen beschweren sich wieder Vertreter der Politik und der Notenbanken über die aus ihrer Sicht zu geringe Inflation.
Marktkommentar: Daniel Zindstein, Gecam
Inflation bedeutet Kaufkraftverlust des Geldes. Aktuell heißt das für einen Bürger im Euro-Währungsraum, der exakt den Warenkorb der Statistiker verbraucht, einen Kaufkraftverlust von 0,4 Prozent. In Deutschland verliert das Geld aktuell 0,8 Prozent, in den USA 1,6 Prozent und in China rund 1,8 Prozent an Wert. Würden Sie nun sagen, dass Ihr Geld zu wenig an Kaufkraft verliert, oder dass Sie zu langsam verarmen? Wohl eher nicht. Dies tun nur Vertreter der politischen Klasse und der Notenbanken. Doch bevor wir auf diese Gründe näher eingehen, lohnt sich ein Blick auf die Ursachen der relativ niedrigen Inflationsraten. Wir unterscheiden neben den direkten und für jedermann ersichtlichen Gründen auch die indirekten, oftmals nicht ersichtlichen und vielleicht auch nicht messbaren Gründe. Diese sind jedoch mindestens gleichbedeutend, in ihrer Wirkung vielleicht sogar noch stärker.
Fallende Rohstoffpreise
Die wichtigste Komponente der Inflation – zumindest in mittelfristiger Sicht – ist die Veränderung der Rohstoff- und insbesondere der Energiepreise. Entgegen vieler Erwartungen und geopolitischer Risiken in öl- und gasproduzierenden Ländern, ist der Öl- und Gaspreis in diesem Jahr auf ein Vier-Jahres-Tief gesunken. Im Vergleich zum Jahreshoch von 115,70 US-Dollar für ein Barrel der Nordsee-Sorte Brent, steht der aktuelle Kurs bei knapp 82 Dollar pro Barrel. Dies entspricht einem Minus von 30 Prozent. Nicht nur für die energieintensiven Unternehmen (Metall- und Elektroindustrie, verarbeitendes Gewerbe) ist das eine positive Entwicklung. Auch Autofahrer und Käufer für Öl- und Gasheizungen können sich freuen. Kosteten 100 Liter Heizöl 2012 im Schnitt noch 95 Euro, so ist die Tankffüllung aktuell bereits für rund 70 Euro zu haben. Der Grund für die niedrigen Energiepreise ist nicht in erster Linie eine schwache Konjunktur (also die Nachfrageseite), sondern vor allem das weltweite Überangebot, Allen voran die starke Produktionsausweitung in den USA (Fracking), die vom Netto-Öl-Importeur zum Exporteur wurden.
Konsolidierung in Südeuropa
Nach wie vor wirken die Konsolidierungs- und Sparbemühungen in den Peripherie-Staaten der Eurozone auf die Preise. Dieser notwendige Prozess zur Anpassung der Wettbewerbsfähigkeit, von dem Löhne, Renten und öffentliche Ausgaben betroffen sind, wirkt nun mal tendenziell deflationär. Aber auch diese Entwicklung ist positiv zu betrachten, bereitet sie doch den Boden für zukünftige wirtschaftliche Prosperität.
Nicht, oder nicht in ausreichendem Maße stattfindende Strukturreformen auf den Arbeits-, Dienstleistungs- und Warenmärkten in Europa sowie die zum Teil überdimensionierten Staatsquoten (Frankreich) hemmen das Wirtschaftswachstum. Ohne Wachstum entstehen keine inflationären Kräfte. Diese Probleme sind zum großen Teil hausgemacht und sind nicht von externer Seite (Zentralbanken, andere Länder) zu lösen. Auch in Deutschland tragen die von der großen Koalition verabschiedeten Gesetze bezüglich der Erhöhung der Rentenversicherungsausgaben sowie die massive Regulierung der Arbeitsmärkte (Mindestlohn, Frauenquote, Zeitarbeit, Werkverträge, etc.) nicht gerade zur Investitionsfreude der Unternehmen bei.
Globalisierung wirkt nach wie vor
Hauptverantwortlich für nahezu inflationsfreies Wachstum in der westlichen Welt der letzten zwei Jahrzehnte war die Globalisierung. Verschwindend geringe Transportkosten im Warenverkehr ermöglichen sehr effiziente Nutzung günstiger Produktionskapazitäten rund um den Globus. Die Effekte daraus sind zwar nicht mehr ganz so attraktiv, da auch die Kosten (Löhne, Mieten) in den Schellenländern gestiegen sind. Die internationale Arbeitsteilung zahlt sich aber nach wie vor aus.
Geldpolitik wirkt nicht wie in der Realwirtschaft – günstige Preise schaffen mehr Nachfrage. Im Gegenteil, extrem expansive Geldpolitik schürt Verunsicherung und Zukunftsangst. Dies führt zu einer abwartenden Haltung von Unternehmen und Konsumenten. Das bedeutet: Es wird weniger gekauft bzw. investiert. Auch für Sparer bedeuten Nullzinsen, dass zum Erreichen bestimmter Sparziele, oder in Bezug auf die Altersvorsorge aufgrund der geringen Rendite, mehr gespart werden muss. Im Umkehrschluss steht somit weniger Geld für Ausgaben zur Verfügung. Ein eindeutig deflationärer Prozess.
Hohe Unsicherheit führt zu Entschuldung
Aufgrund der extremen finanzpolitischen und geldpolitischen Ereignisse der letzten Jahre sind Unternehmen und Verbraucher verunsichert, von den geopolitischen Ereignissen ganz zu schweigen. Die Unsicherheit führt seit 2009 weltweit zu einem Rückgang der privaten Verschuldung von rund 20 Prozent. Nicht nur Privathaushalte haben sich entschuldet. Auch die Bankhäuser weltweit haben ihre Bilanzsummen seit 2008 erheblich geschrumpft (Deleveraging). Rund 25 Prozent geringere Bilanzsummen bedeuten auch 25 Prozent weniger Risikokapital an den Märkten in Form von Liquidität, Geldmenge, Kredite, reale Vermögenswerte sowie Wertpapiere.
Über ein Jahr lang wurden die Banken in der Eurozone mit dem bevorstehenden Stresstest konfrontiert, dessen Parameter lange Zeit nicht feststanden. Keinem Bankvortand kann man es verdenken vor einem solchen Ereignis, das seinen Job kosten kann und das Weiterbestehen des eigenen Bankhauses gefährdet, wenn er die Risikoauslastung der Bank begrenzt und die Kreditvergabe restriktiv handhabt. Aus Sicht der EZB ist dies ein ganz wichtiger Parameter zur wirtschaftlichen Erholung in der Eurozone.
Nullzinsen am kurzen Ende und ein gedrücktes Zinsniveau am langen Ende der Zinsstrukturkurve führen zu geringeren Zinsmargen der Banken – der Hauptertragsquelle dieser Institutionen. Wie jedes andere Unternehmen, machen auch Banken lieber Geschäfte, wenn es hohe Margen einbringt. Eine Einstellung der Anleihenkäufe in den USA könnte durch höhere Renditen für längere Laufzeiten deshalb eine Renditeausweitung für Banken bedeuten, was das Kreditgeschäft beflügeln würde. Die bisher deflationär wirkende Maßnahme könnte sich nun also ins Gegenteil verwandeln.
Russland-Sanktionen bremsen
Wenn über 6.000 Unternehmen in Deutschland ihr Russland-Geschäft gefährdet sehen, ja sogar Abschreibungen auf dort getätigte Investitionen vornehmen müssen, wirkt dies bremsend auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation. Wenn auch vordergründig nur drei Prozent des deutschen Exportes nach Russland gehen, so sind dies jedoch mittelbar über Vorleistungsgüter für österreichische, polnische, tschechische und slowenische Unternehmen bedeutend mehr. Von der dadurch gesteigerten Unsicherheit ganz zu schweigen. Ein Prozess dessen negative Wirkung aus unserer Sicht massiv unterschätzt wird.
Darüber hinaus gibt es natürlich weitere wichtige Aspekte die tendenziell deflationär wirken, wie die demographische Entwicklung in Europa oder Japan. Aber auch wechselkursbedinge Effekt, wie die aktuell in Amerika deflationär wirkende Aufwertung der US-Dollars.
Fazit: Niedrige Inflation als Nährboden für Wirtschaftswachstum
Die Ursachen fallender Inflationsraten sind nachvollziehbar und zum Teil von der Politik und auch den Notenbanken selbst verschuldet. Ursächliche Parameter wie die hohe Unsicherheit aufgrund hoher Staatsverschuldung und Reformverweigerung mit der Ausweitung ebenjener (noch mehr Geld durch die EZB, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme der Staaten) bekämpfen zu wollen, führt aus unserer Sicht ins Leere.
Es werden jedoch auch entsprechende Fehler und Entwicklungen erkannt und benannt – leider nur viel zu langsam. Währenddessen bleibt dem Anleger nichts anderes übrig, als auf der Liquiditäts-Welle der Notenbanken mitzuschwimmen, die tendenziell alle Vermögenspreise weiter anheben wird. Sachwerte mit Renditeperspektive (Aktien, bestimmte Immobilien) sind Schuldtiteln mit geringer Verzinsung (Anleihen) dabei vorzuziehen.
Grundsätzlich sind Zeiten niedriger Inflation in der Historie eigentlich gute und stabile Wachstumsphasen für die Wirtschaft gewesen. Unternehmen und Verbraucher können sich über günstige Preise freuen. Nur die überschuldeten Staaten haben ein Interesse an hoher Inflation, die die Schuldenquoten real reduzieren würde.
Autor Daniel Zindstein ist verantwortlich für das Portfoliomanagement des unabhängigen Vermögensverwalters Gecam, Wangen im Allgäu.