Gecam: Aktien stark unterschätzt

Zum Jahreswechsel gehört es zur Tradition, dass die großen Bankhäuser ihre Prognosen zur Entwicklung der Kapitalmärkte abgeben. Meistens treffen diese im Nachhinein betrachtet nicht zu.

Gastkommentar: Daniel Zindstein, Gecam

Daniel Zindstein, Gecam

Besonders auffällig ist es, wenn nicht einmal die Richtung stimmt, wie dies seit Jahren und bald Jahrzehnten auf Zinsprognosen zutrifft. Betrachtet man die Aktienmarktprognosen, bewegen sich diese meist im Mittelwert langjähriger Marktentwicklungen. Wer zum Beispiel 1964 deutsche Aktien (Rückrechnung Dax) kaufte und Ende 2014 verkaufte, erzielte eine jährliche Rendite von durchschnittlich 7,3 Prozent. Um es nicht zu langweilig werden zu lassen, schlagen die Prognostiker erfahrungsgemäß etwas drauf und sagen 10 Prozent Zuwachs voraus. Genau so war es dieses Jahr: Endstand Dax bei rund 9.800, Prognoseschnitt von 22 Finanzinstituten für 2015 beträgt 10.773 – ein Zuwachs von rund 10 Prozent.

Prognosen helfen wenig

Was bringen solche Prognosen dem interessierten Leser? Gar nichts, denn aktuell ist dieses Niveau bereits erreicht. Meistens bewegen sich Aktienmärkte viel stärker, also zweistellig im Plus oder zweistellig im Minus. In den letzten 50 Jahren veränderte sich der deutsche Aktienmarkt nur 15 Mal im einstelligen Bereich, in den letzten 10 Jahren sogar nur einmal, nämlich im vergangenen Jahr.

2012 und 2013 waren starke Aktienjahre (Dax: +29 bzw. +25 Prozent). Solch überdurchschnittlich gute Entwicklungen bedürfen der Konsolidierung. Somit kann 2014 als ein Jahr gewertet werden, in dem außer Spesen und zum Teil heftigen Schwankungen, nicht viel zu holen war.

Wichtige Treiber sorgen für überdurchschnittliches Wachstum

Wichtige Institutionen wie der IWF und große Banken schätzen das Wirtschaftswachstum für Euroland in diesem Jahr zwischen 0,8 und 1,2 Prozent. Für Deutschland zwischen 1,2 und 1,5 Prozent (übrigens liegen diese Schätzungen meistens auch daneben, wenn auch nicht so stark wie für die Aktienmärkte). Wir denken, dass diese Prognosen aus den nachfolgenden Gründen zu vorsichtig sind.

Der Ölpreis (Brent) hat sich von seinem letztjährigen Top bei 115 US-Dollar pro Barrel auf unter 50 Dollar reduziert. Das sind mehr als 50 Prozent innerhalb eines halben Jahres. Viel wird über die Gründe philosophiert. Für uns ist es ein angebotsinduzierter Rückgang, da durch den massiven Ausbau der Fracking-Förderung in den USA, diese in nur fünf Jahren von einem Netto-Ölimporteur zum Netto-Exporteur mutierten. Darüber hinaus ist es ein politischer Preis, denn sowohl die USA als auch Saudi-Arabien haben aktuell ein Interesse an niedrigen Ölpreisen. Es werden damit die aus ihrer Sicht sich nicht akkurat verhaltenden Staaten wie Russland, Venezuela und Iran direkt getroffen.

[article_line]

Vor allem Saudi-Arabien hat ein Interesse daran, dass sich die langfristigen zukünftigen Preiserwartungen reduzieren. In diesem Fall werden Konsumenten dazu bewegt, nicht auf energieeffiziente Produkte zu setzen – Paradebeispiel hierfür ist der Kauf von SUV´s anstatt sparsamerer Automobile. Auch Investitionen für langfristige Ölförderprojekte (u.a. Tiefsee-Bohrungen) werden bei dieser Erwartungshaltung auf Eis gelegt. Somit könnten die Saudis später von einem erhöhten Verbrauch und dann wieder gestiegenen Preisen überdurchschnittlich profitieren.

Wir glauben nicht so recht an diese Politik, da insbesondere die US-Fracking-Industrie mittlerweile sehr flexibel in der Förderung reagieren kann. Vereinfacht ausgedrückt: Bei niedrigen Preisen wird einfach der Hahn nicht so weit aufgedreht.

Verstärkt wird die Entwicklung durch einen Strukturbruch im globalen Ölmarkt, den wir so seit 50 Jahren nicht erleben durften – den Zerfall der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder). Dieses Mengen- und Preissetzungs-Kartell ist sich so uneins wie noch nie, da die Länder stark divergierenden Interessen und Zwängen ausgesetzt sind. Während die einen niedrige Preise zum Ziel haben, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen und höhere Nachfrage in der Zukunft zu schaffen (Saudi Arabien), sind die anderen gezwungen, an den Fördermengen festzuhalten, bzw. diese sogar noch zu erhöhen um keinen Staatsbankrott zu riskieren (Venezuela, Russland, Irak, Libyen, usw.).

Wir gehen davon aus, dass der Ölpreis aufgrund struktureller Veränderungen längerfristig gedrückt bleiben wird (zwischen 40 und 80 Dollar). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die ganze Welt dauerhaft von niedrigeren Preisen des wichtigsten Rohstoffes profitieren könnte. Um es in Zahlen zu fassen: Ein Ölpreis um die 60 Dollar entlastet die Weltwirtschaft um rund 1 Prozent bzw. knapp 1 Billion Dollar – ein Mega-Konjunkturprogramm für alle Verbraucher und Unternehmen! Allein zum Wachstum in der Eurozone könnte das schwarze Gold 0,9 Prozent beitragen. Überdurchschnittliche Profiteure sind natürlich Länder mit klassischer Industrie, wie etwa Deutschland, mit seiner Automobil-, Maschinenbau-, Elektro-, Chemie- und Pharmaindustrie.

Schwacher Euro treibt Exporte

Der Euro hat zur wichtigsten Währung, dem US-Dollar, um rund 18 Prozent auf das niedrigste Niveau seit 2003 abgewertet. Gründe hierfür sind das schwache Wachstum in der Eurozone, die zurückgehende Inflation und die Zinsdifferenzen im Vergleich zu den Amerikanern. Aber auch die divergierende Notenbankpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks trägt zu einem fallenden Euro/Dollar-Kurs bei.

Von einer schwächeren Währung profitieren vor allem die Exporteure. Deren Auslandsmargen verbessern sich bei der Rückrechnung in die Heimatwährung. Umgekehrt verschafft dies in den Exportmärkten Preisspielräume, die zur Gewinnung von Marktanteilen und somit Umsatzanstiegen genutzt werden können.

Und wer ist die mit Abstand wichtigste Exportnation in Europa und sogar eine der größten der Welt – richtig, Deutschland! Unsere Exportindustrie profitiert überdurchschnittlich von der schwachen Währung. Während die Exportzuwächse dem Wachstum in Euroland um 0,6 Prozent pro Jahr nach oben helfen könnten, ist dieser Wert für Deutschland noch höher anzusetzen. Wenn man bedenkt, dass allein 20 Dax-Unternehmen einen Anteil am Auslandsgeschäft von rund 80 Prozent haben, erkennt man die Hebelwirkung, die in Währungseffekten steckt.

Das Zinsniveau in Europa ist so niedrig wie nie zuvor. Nicht nur französische, spanische und selbst italienische Staatsanleihen notieren auf historischen Tiefstständen. Vor allem werden die sicheren Bundesanleihen gekauft. Nachdem die EZB angekündigt hat, über die nächsten eineinhalb Jahre monatlich 60 Mrd. Euro im Anleihenmarkt zu kaufen, steigt der Druck auf das ohnehin schon niedrige Niveau nochmals an und zementiert es langfristig. Bis zu 5-jährigen Laufzeiten muss man als Investor sogar Zinsen bezahlen, um dem deutschen Staat Geld leihen zu dürfen. Für 10-jährige Laufzeiten bekommt man bescheidene 0,36 Prozent Rendite nominal (vor Steuern, Inflation und Transaktionskosten) – eine wahrlich historische Phase, in der wir da leben.

Was für Investoren einen Anlagenotstand darstellt, ist für Schuldner ein Paradies. Auch Unternehmen in unseren Gefilden kommt das Niedrigzinsumfeld zugute. Mussten Unternehmen für Kredite im Jahr 2008 noch rund 6 Prozent Zinsen zahlen, so liegt das Niveau für Unternehmensfinanzierungen heute nur zwischen 1,5 und 2,5 Prozent. Bedenkt man, dass allein die Dividendenrendite im Dax 3 Prozent beträgt und die Eigenkapitalrentabilität des gesamten deutschen Aktienmarktes bei über 10 Prozent liegt, schaffen so historisch günstige Finanzierungskonditionen natürlich große unternehmerische Spielräume. Investitionen in neue Märkte oder Produkte, Übernahmen, Aktienrückkauf-Programme, etc. werden plötzlich attraktiv. Oder es wird eben nur die GuV durch die gesunkenen Zinskosten entlastet und die Gewinne steigen. Den Aktionär freut es in jedem Fall.

Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen hellen sich auf

Die genannten Faktoren wirken alle direkt und unmittelbar, insbesondere auf Unternehmen und Konsumenten in der Eurozone. Positive Effekte daraus wären aber nichts wert, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht stimmten. Aber auch hier hellen sich die Aussichten auf.

Was für die Unternehmen gilt, spüren natürlich auch die Staatshaushalte. Durch die niedrigen Zinskosten hat der Anteil der Zinszahlungen an den Staatsausgaben stark abgenommen (von 4 Prozent 2012 auf aktuell 1 Prozent) – und das bei weiter steigender Verschuldung! Das bedeutet, die Euro-Staaten erwirtschaften seit 2013 Primärüberschüsse (Haushaltssaldo vor Zinszahlungen ist positiv) und sind somit zunehmend in der Lage weniger sparen zu müssen und mehr Ausgaben (hoffentlich für Investitionen) leisten zu können.

Gleichzeitig steigt die Dynamik der Weltwirtschaft 2015 an. Laut IWF steigert sich die Wachstumsrate von 3,3 Prozent 2014 auf 3,5 Prozent 2015 und 3,7 Prozent 2016. Wichtig und ausschlaggebend für den deutschen Aktienmarkt ist das Wachstum der Weltwirtschaft und des Welthandels und nicht so sehr die Inlandskonjunktur. Die Exporteure können also auf solides Wachstum bauen, strukturell bedeutend ist aber in diesem Zusammenhang, dass das Wachstum vor allem in den Ländern stattfindet, in die der Großteil der Ausfuhren geht: USA, China und Großbritannien fungieren als Wachstumslokomotiven.

Wichtige Faktoren für Wirtschaftswachstum – aber vor allem für Unternehmen – sind der gefallene Euro, der eingebrochene Ölpreis, die gesunkenen Zinsen, expansive Notenbanken und freigiebigere Staaten. Jeder Parameter für sich ergäbe schon ein positives Szenario, aber alle zusammen fügen sich zu einem nahezu idealen Umfeld für Aktien. Verstärkt wird dieser positive Umstand noch durch die mittlerweile fehlenden Alternativ-Anlagen (Nullzinsen), niedrige Aktien-Investitionsquoten gerade in Deutschland und Europa. Hinzu kommen ständige Ängste vor geopolitischen Risiken, die keine Euphorie für die Aktienanlage aufkommen lässt, selbst bei steigenden Kursen.

Wir können uns weit höhere Kursniveaus – und vor allem höhere Bewertungs-Niveaus – für den europäischen Aktienmarkt und speziell für deutsche Exportwerte vorstellen. Aufgrund der beschriebenen Sinnfreiheit von Prognosen, verzichten wir an dieser Stelle jedoch auf eine solche. So viel sei jedoch gesagt: Sie liegt auf jeden Fall über den obligatorischen und phantasielosen 10 Prozent!

Autor Daniel Zindstein ist verantwortlich für das Portfoliomanagement des Vermögensverwalters Gecam, Wangen im Allgäu.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments