Jede Regulierung in der Finanzbranche hat ein erhabenes Ziel. Hinter den überhastet eingeführten neuen Vorgaben im Rahmen der gesetzlichen erweiterten Geeignetheitsprüfung steht, dass die EU die Finanzströme in eine nachhaltige Richtung lenken möchte. Versicherungsvermittler müssen daher seit August 2022 und Finanzanlagenberater seit April 2023 ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen und – soweit die Kunden daran interessiert sind – ihre Produktvorschläge darauf abstimmen, schlüssig begründen und dokumentieren.
Tatsächlich müssen sich nachhaltig orientierte Kunden für eine von drei möglichen Varianten entscheiden – nämlich der Taxonomie, der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) oder den Principal Adverse Impacts (PAIs).
„Die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage verpflichtet die Berater dazu, ihren Kunden drei unterschiedliche EU-Verordnungen zu erläutern. Sie erwartet von den Kunden Zwangsantworten auf Fragen, die diese in ihrer Auswirkung überhaupt nicht beurteilen können“, konstatiert Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Votum-Verbands.
Das werde auch dadurch nicht besser, dass sich viele Berater mittlerweile auf das Thema eingestellt hätten, denn Nachhaltigkeitsschulungen der Berater hätten schließlich keinen Einfluss auf das Wissen der Kunden. Deren unbeeinflusste Entscheidung soll der Berater erfassen. Kurz gesagt: „Regulatorischer Käse wird nicht dadurch besser, dass er altert“, so Klein.

Ein Teil der Berater vermeidet die Abfrage
„Nach unserem Kenntnisstand versuchen nach wie vor viele Berater einen Bogen um das Thema zu machen“, sagt Klaus Möller, Vorstand Defino Institut für Finanznorm. Zum einen seien die meisten angebotenen Abfrageprozesse entweder aufwändig oder nicht zielführend für das Nachhaltigkeitsinteresse der Anlegerinnen und Anleger. „Zum anderen ist die Herausforderung, sinnvoll auf das jeweilige Abfrageergebnis aufsetzende Produkte zu finden, nicht ordentlich gelöst“, so Möller weiter. Wenn Berater aber dem Abfrageprozess folgen, scheint es jedoch zu laufen, meint Kristina Berggreen, Vorstand der BfV Bank für Vermögen AG.
„Als Zwischenfazit stellen wir fest, dass das Verfahren von unseren Beratern sehr gut verinnerlicht wurde und sie dabei auch die von uns bereitgestellte Softwareunterstützung nutzen“, so Berggreen. Gleichzeitig sei aber auch festzustellen, dass viele Anleger derzeit noch keine Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen wünschen. „Die Anzahl der erstellten Nachhaltigkeitsprofile ist daher noch überschaubar“, so die BfV-Vorständin. Es sind also die Kunden, die das ESG-Thema selten bei ihren Beratern ansprechen und tatsächlich Nachhaltigkeitskriterien definieren möchten.
Klar ist: Zur Einführung der Abfrage waren die Produkte teils noch nicht kategorisiert, sodass es in der Anwendung schwierig wurde. Zumindest dieser Mangel scheint mittlerweile weitgehend behoben. „Viele Produkte sind mittlerweile klar kategorisiert, was den Beratern die Anwendung und die Produktauswahl erleichtert. Es besteht jedoch nach wie vor die Wahrnehmung, dass die Produktauswahl eingeschränkt sein kann, wenn Kunden sehr strenge Nachhaltigkeitskriterien haben“, betont Pascale Cadix, Head of Wholesale Business Development Deutschland/Österreich bei abrdn Investments.
Eine zielführende Kategorisierung der Produkte ist zwar Voraussetzung, aber sie reicht nicht aus, wenn Kunden eine falsche Vorstellung davon haben, wie viel Nachhaltigkeit in einem Kapitalanlageprodukt berücksichtigt werden kann. „Kunden, für die Nachhaltigkeit besondere Bedeutung hat, äußern gern, dass zumindest eine Quote von 75, wenn nicht 100 Prozent ihrer Kapitalanlage nachhaltig sein soll. Diese Erwartungshaltung kann tatsächlich mit keinem Anlageprodukt erreicht werden“, so Votum-Vorstand Klein.
Ein weiteres Problem: Anlageprodukte mit einem maximalen Nachhaltigkeitsimpact wie etwa Unternehmen aus dem Bereich der Recyclingindustrie oder der Windenergiegewinnung können mit einem unternehmerischen Risiko bis hin zum Totalverlust verbunden sein. „Das widerspricht den Risikoprofilen der Anleger und ihrer Risikotragfähigkeit“, unterstreicht Klein.
Mehr nachhaltige Produkte auf dem Markt
Immerhin hat die Regulierung zu mehr nachhaltigen Produkten auf dem Markt geführt. Laut Votum gibt es einen klaren Anstieg der Anlageprodukte, die nachhaltig kategorisiert sind. Demnach sind inzwischen sind über 60 Prozent der in Deutschland zugelassenen Fonds als nachhaltig klassifiziert, wobei der Schwerpunkt im Bereich der Artikel-8-Fonds liegt. Doch laut AfW-Vermittlerbarometer hält rund jeder fünfte Finanzanlagenberater und jeder vierte Versicherungsvermittler das Angebot an nachhaltigen Produkten noch nicht für ausreichend.
Die Branche hat ihre Vorstellungen für Änderungen am Prozedere der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage bereits formuliert. „Wir wünschen uns eindeutige und klare Vorgaben, die sich am Ziel der größeren Verbreitung von ESG-Produkten orientieren. Überbordende Informations- und Transparenzpflichten führen nur dazu, dass sowohl die Kunden als auch die Vermittler überfordert werden und sich im Dschungel von Produktinformationen, Terminologien und Anlageoptionen verlieren“, so Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK).
Ein konkreter Vorschlag kommt von der BfV Bank für Vermögen AG. „Der Prozess könnte verbessert werden, wenn die Fragen zu ESG-Kriterien bzw. zur ökologischen Nachhaltigkeit zusammen behandelt werden. Zusätzlich sollte angegeben werden, ob bestimmte Ausschlüsse gewünscht sind. Zudem sollte das sehr komplexe Thema der Principal Adverse Impacts unbedingt entfallen“, sagt BfV-Vorstand Kristina Berggreen. Der Votum-Verband schlägt ein zweijähriges Moratorium vor, in dem die Abfragepflicht der Nachhaltigkeitspräferenzen ausgesetzt wird und in dieser Zwischenzeit lediglich auf freiwilliger Basis erfolgt. „Wenn dann auf der Seite der Anforderung an die Berichtspflichten der Unternehmen und die daraus resultierende Ausgestaltung von Anlageprodukten Klarheit herrscht, kann man eine hierzu passende Präferenzabfragepflicht wieder einführen. Aber nur wenn sich innerhalb der zwei Jahren nicht gezeigt hat, dass wir mit dem freiwilligen Prinzip besser fahren“, so Votum-Vorstand Klein.
Darüber hinaus könnte sich die Branche in dieser Phase der Freiwilligkeit gemeinsam darüber Gedanken machen, was im Kundenberatungsprozess funktioniert und sich auf einen Standard verständigen. Dafür biete sich laut Klein etwa das europäische Normungskomitee CEN an und die dort bereits eingerichteten Technischen Komitees an.
Evaluierung: Was kommt aus Brüssel?
Auf EU-Ebene tut sich bereits einiges. Die EU-Kommission kündigte unlängst ein Paket für Bürokratieabbau an. Das erste Paket soll wohl in Kürze (nach Redaktionsschluss) veröffentlicht werden und unter anderem die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit und die Taxonomie behandeln. „Die Reduzierung der Berichtspflichten steht im Vordergrund, da man hier den bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen reduzieren möchte“, weiß Votum-Chef Klein. Kapitalmarktexperten erwarten übersichtliche und klare Kategorien auf die Produkte (zum Beispiel eine Kategorie mit Impact, eine mit Transformation etc.), sodass der Kunde künftig nicht mehr erst am Point of Sale über seine Einstufung entscheiden muss. Berater sollten sich damit künftig wesentlich einfacher positionieren können.
Aktuell hat das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Kooperation mit dem DEFINO Institut für Finanznorm ein Nachhaltigkeits-Scoring präsentiert (siehe Interview), das in die gleiche Richtung geht.
Frage ist zudem, ob die die Maßnahmen, die gegen potenzielle Grünfärberei getroffen wurden ausreichen. „Die Leitlinien für ESG- oder nachhaltigkeitsbezogene Zusätze in Fondsnamen sind ein wichtiger Schritt, um Transparenz zu schaffen und irreführende Informationen zu vermeiden, aber sie müssen weiterentwickelt, durchgesetzt und fortlaufend überwacht werden, um wirklich wirksam gegen Grünfärberei vorzugehen“, sagt abrdn Investments-Expertin Cadix und nennt vier Kriterien, die erfüllt werden müssen.

„Greenwashing ist ein Thema, das noch nicht ausreichend gelöst ist. Hier wird sicherlich auch noch nachgebessert werden müssen, um dem Verbraucherschutz gerecht zu werden und das Verbrauchervertrauen in die Produktwelt zu stärken“, betont auch BVK-Präsident Heinz.
Es bleibt also weiterhin spannend. Klar ist: Im Interesse der Kundinnen und Kunden muss es zu Vereinfachungen kommen. Die Branche ist hier mit eigenen Vorschlägen, die Beraterinnen und Berater entlasten, proaktiv und zielführend unterwegs. Die bestehende ESG-Ignoranz vieler Kunden kann damit allerdings kaum verändert werden.
Autor Oliver Lepold ist Dipl. Wirtschaftsingenieur und freier Journalist mit Schwerpunken Berater, Vertriebe, Versicherungen.