Getsurance verkauft 80 Prozent aller BU-Policen über das Smartphone. Nun hat das Unternehmen eine Arbeitsausfallversicherung präsentiert – ein neuer Weg in der Arbeitskraftabsicherung. Cash. sprach mit Mitbegründer Dr. Viktor Becher über die Digitalisierung und ihre Auswirkungen für den BU-Vertrieb sowie die neue BU-Alternative.
2016 haben Sie mit Ihrem Bruder Getsurance gegründet. Wie kam es dazu?
Becher: Wir hatten uns seinerzeit den gesamten Finanzbereich angeschaut. Auch weil wir die Digitalisierungsbestrebungen in der Finanzbranche hochspannend fanden. Beim Thema Banking gab ja bereits enorme Schritte in Richtung Digitalisierung.
Im Bereich der Sachversicherungen funktioniert der Online-Abschluss bei Haftpflicht oder Hausrat mittlerweile auch innerhalb weniger Minuten. Beim Blick auf das Segment Lebensversicherungen waren wir überrascht, dass ein rein digitaler Abschluss nicht möglich war.
Denken Sie an die Gespräche mit den Vermittlern und die umfangreichen Vertragsunterlagen in Papierform. Vieles ist alles andere als verständlich für den Kunden, der irgendetwas unterschreiben soll, was er im Zweifelsfall nicht versteht. Vor dem Hintergrund dachten wir, dass das besser geht.
Wie waren die ersten Resonanzen?
Becher: Mittlerweile ist es so, dass viele Makler auf uns zukommen und fragen, ob sie irgendwie mit uns zusammenarbeiten können. In 2016 war das noch überhaupt nicht der Fall. Da waren die Vermittler skeptisch.
Es gab nicht wenige Kommentare in den sozialen Medien, die uns die Insolvenz wünschten. Mittlerweile sieht man aber, dass wir keine Eintagsfliege ist. Die Versicherer waren und sind neugierig.
Wie viele Verträge hat Getsurance im Bestand?
Becher: Rund 6.000. Und die Tendenz ist deutlich steigend. Wir schreiben jetzt aktuell über tausend Abschlüsse im Monat. Das heißt, quasi 20 Prozent unseres ganzen Bestandes kommen jeden Monat noch einmal dazu.
Hatten Sie dieses Wachstum erwartet?
Becher: Das war unser Plan. Anfangs lief es noch etwas schleppend, aber jetzt kommen wir endlich in die Region, in die wir wollten. Wir wollen ein großer europäischer digitaler Lebensversicherer werden. Unser Ziel sind rund 100.000 Abschlüsse im Jahr. Mit eindeutigem Fokus auf Biometrie.
Sie verkaufen die BU-Versicherung ausschließlich digital. In Gesprächen hören wir aber stets, dass das nicht funktionieren könne.
Becher: Bei unserer Gründung haben wir uns gesagt: Alles geht digital. Und das gilt auch für Dinge, bei denen man früher dachte, dass es niemals digital funktionieren würde. Rund 80 Prozent unserer Kunden schließen die BU über das Smartphone ab.
Ich hatte anfangs vermutet, das Smartphone würde lediglich als Informationsmedium genutzt oder zum Berechnen des Preises. Und der eigentliche Abschluss erfolgt dann zu Hause über den Laptop. Dem ist aber nicht so. Der Abschluss erfolgt direkt über das Smartphone. Der Trend hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt.
Wie lange dauert es vom ersten Kontakt bis zum Abschluss?
Becher: Wir können das genau messen. Bei der BU sind dies ungefähr drei Wochen – vom Erstkontakt bis zum Abschluss. Das heißt, ein Interessent klickt auf eine Werbeanzeige von uns. Er informiert sich, will noch eimal eine Nacht darüber schlafen.
Aus der Nacht wird dann eher eine Woche. Dann schaut er nochmals nach, liest in den Bedingungen, spricht vielleicht noch mit Bekannten oder mit seiner Frau. Und irgendwann – nach durchschnittlich drei Wochen – hat der- oder diejenige den Entschluss gefasst, abzuschließen. Viele googeln eben auch noch mal allgemein zum Thema BU; ist es das Richtige für mich, ist es sinnvoll. Das sind keine Spontanabschlüsse.
Wie funktioniert die Gesundheitsprüfung?
Becher: Wir haben eine sogenannte vereinfachte Gesundheitsprüfung, wie sie manche Versicherer aktionsweise anbieten. Nur ist dies bei uns die Standardgesundheitsprüfung. Und sie ist genauso durchdacht und funktioniert ebenso gut wie eine umfangreiche Gesundheitsprüfung. Wir haben den Fragebogen mit unserem Rückversicherer, der Reinsurance Group of America (RGA), zusammen entwickelt. Wir grenzen das Risiko genauso ein wie andere Versicherer.
Wie viele BU-Versicherte haben Sie jetzt?
Becher: Rund 1.500. Das Produkt läuft erfreulich. Es ist aber bei Weitem keine exponentielle Wachstumsstory. Woran liegt das? Sie können eine BU zwar digital abschließen, und das machen die Kunden auch, aber es ist nun mal komplex.
Das heißt, für jeden Kunden, der einen Vertrag abschließt, verlieren wir drei andere, die nicht abschließen. Warum? Weil sie das Produkt nicht verstehen. Sie fragen sich, was BU bedeutet. Wieso muss man 50 Prozent berufsunfähig sein, für mindestens sechs Monate?
Und was ist, wenn der Versicherer sagt, ich könne einen anderen Job machen? Das alles sind Hürden. Wenn man mit einem Makler spricht, kann dieser alles erklären. Aber online funktioniert das eben nicht so einfach.
Natürlich sind wir per Chat, E-Mail oder Telefon zu erreichen. Am Ende fehlt aber das Grundverständnis. Und das ist beim Offline-Vertrieb über Makler das gleiche Problem. Deswegen stagnieren ja auch die BU-Abschlüsse hierzulande seit Jahren.
Wenn man aber die Durchdringung ansieht, vor dem Hintergrund, dass ja auch die Zahl der Berufstätigen deutlich zugenommen hat, hat sich im Markt in der Tat nicht viel getan. Die Kunden verstehen es nicht. Hinzu kommt die Gesundheitsprüfung. Und dann ist natürlich auch immer die Frage des Preises.
Becher: Wir sind da relativ günstig im Vergleich zum Markt. Je nach Berufsgruppe gehören wir zu den fünf bis zehn günstigsten Angeboten. Allerdings glaube ich nicht, dass der Preis das Hauptkriterium ist. Die Menschen verstehen schon, wie wichtig die BU ist. Die wissen ganz genau, dass es wichtiger ist, die eigene Arbeitskraft zu versichern als das Auto.
Aber sie tun es eben doch nicht. Viele geben sehr viel Geld für ein Smartphone aus. Im Abo sind es locker 40 oder 50 Euro im Monat. Was kostet eine BU für einen 25-Jährigen? Im Prinzip ist das Produkt nicht teurer als ein Jahresvertrag für ein hochwertiges Smartphone. Ich glaube, die Bereitschaft, für eine Versicherung auf Konsum zu verzichten, ist in der Gesellschaft zu gering.
Becher: Die aktuell junge Generation ist weniger zum Konsumverzicht bereit als die Generation davor. Bei der Generation X war der Lebensweg noch vorgezeichnet. Man macht eine gute Ausbildung, findet einen guten Job. Frau, Kind, Haus im Grünen.
Der Lebensweg ist irgendwie klar. Die Millennials setzen andere Prioritäten und sagen sich, ich möchte erst mal zwei Jahre lang um die Welt reisen, nach Australien oder Indonesien. Wenn man sie fragt, was ist mit dem Häuschen im Grünen, Hund, Kinder, sagen die mir: keinerlei Ambitionen.
Und das ist natürlich dann höchst problematisch für die Versicherungsbranche. Den unser ganzes Geschäft beruht auf diesen Menschen, die dieses Häuschen haben wollen. Wenn ich das Häuschen nicht habe oder haben will und keine Frau und keine Kinder, was soll ich denn dann absichern?
Da kann ich ja nur noch mich selbst versichern. Und da ist mein Eindruck, den Leuten ist es wichtiger, ihre Kinder, ihre Familie abzusichern. Dort spüren sie die Verantwortung mehr als für sich selbst.
Sie haben Ende vergangenen Jahres mit der Arbeitsausfallversicherung eine Alternative zur BU-Versicherung auf den Markt gebracht. Was versprechen Sie sich von dem Produkt?
Becher: Die Arbeitsausfallversicherung resultiert aus unseren Erfahrungen mit der BU. Wir haben uns überlegt, wo die Hemmschwelle liegt. Warum schließen die Menschen die BU nicht ab? Die Gründe sind einmal der unverständliche Leistungsauslöser von der BU.
Und zudem das relativ hohe Preisniveau. Die BU ist oft zu teuer für körperlich arbeitende Berufe. Der große Blocker ist dabei nicht die Gesundheitsprüfung. Also haben wir überlegt, wie sich die Versicherung radikal vereinfachen ließe.
Und kamen auf die Idee mit dem gelben Schein. Den kennt jeder. Unser Ansatz: Ist jemand länger krankgeschrieben, erhält er das Geld von uns. Im Umkehrschluss ist es allerdings so, dass wir im Gegensatz zur BU nur für einen begrenzten Zeitraum zahlen.
Wie lang ist dieser Zeitraum?
Becher: Wir haben die Phase auf zwei Jahre begrenzt. Auch weil viele eben nicht dauerhaft krank sein, sondern, falls möglich, wieder arbeiten möchten. Insofern haben wir ein Produkt entwickelt, das günstig ist, sehr einfach zu verstehen, und vor allem hat es keine Berufsgruppen. Das heißt, jeder zahlt das Gleiche.
Nach wie vielen Wochen setzt die Arbeitsausfallversicherung mit Ihren Zahlungen ein?
Becher: Nach drei Monaten. Dabei reicht, wie erwähnt, der gelbe Schein. Eine weitere Leistungsprüfung erfolgt nicht.
Wie wollen Sie Betrugsfälle herausfiltern? Setzen Sie hier auf künstliche Intelligenz?
Becher: Die Technik kann das besser als ein Mensch. Die Software kann Hunderte verschiedener Verdachtsmomente automatisch abprüfen. Zum Beispiel, ob die Arztpraxis, von der dieser gelbe Schein kommt, weiter entfernt liegt vom Wohnort der Person.
Oder ob die IP-Adresse der Person zum angegebenen Wohnort passt. Oder ob jemand von dieser IP-Adresse schon mal einen Antrag gestellt hat. Da werden viele Parameter automatisiert abgeprüft. Und wenn sich da irgendwelche verdächtigen Muster zeigen, geht eben das rote Licht an. In diesem Fall schauen wir dann genau hin und überprüfen alles.
Und wer ist der Adressat?
Becher: Alle Erwerbstätigen, alle, die noch keine BU-Versicherung haben. Denn die hat nur jeder Vierte. Was ist aber mit den restlichen drei Vierteln? Die finden wir interessant. Das heißt, wir wollen den Markt vergrößern, für alle. Und wenn die Versicherer irgendwann dann die eine oder andere Sache abgucken und ihre eigenen Produkte einfacher machen, freut es mich.
Das Interview führte Jörg Droste (dr)
Foto: Florian Sonntag