Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts werden wohl die disruptivste Phase seit langem, schrieb der Global Risk Report, und das bereits Anfang 2023. Rund 1.200 Risikoexperten und führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft prognostizierten unruhige Zeiten. Die Gefahr einer Rezession, wachsende Verschuldung, eine anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten, eine weitere Polarisierung der Gesellschaften durch Des- und Fehlinformation, ein Stillstand bei dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen und ein geoökonomischer Nullsummenkrieg seien Folgerisiken, die Wirtschaft und Gesellschaft in den kommenden zwei Jahren dominieren dürften, hieß es damals. Es könnte aber auch länger dauern. Rund eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung klingen die Prophezeiungen von Marsh McLellan und der Zurich Insurance Group mehr als berechtigt.
Und Deutschland: „Trotz einer möglichen Erholung der Weltkonjunktur bleibt Deutschland ein Schwachpunkt der europäischen Wirtschaft“, weiß Frank Liebold, Country Director Deutschland bei Atradius. Nach wie vor belasten die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel, die schlechte Auftragslage oder auch die überbordende Bürokratie die Unternehmen hierzulande, heißt es im halbjährlich erscheinenden Wirtschaftsausblick.
Einen Beleg für die schwierige Lage der deutschen Industrie sieht der Kreditversicherer auch in den jüngsten Exportzahlen: Im Mai sanken die Ausfuhren deutscher Unternehmen so stark wie seit Dezember 2023 nicht mehr. Auch die Importe schrumpften. Die Lage in Deutschland bleibe schwierig, wie die steigende Zahl der Insolvenzen und die sich verschlechternde Zahlungsmoral zeigten, lautet die wenig erbauliche Prognose des Kreditversicherers.
Das, was die deutsche Wirtschaft und der deutsche Mittelstand aktuell erleben, dürfte eine Phase der massivsten Herausforderungen an die Resilienz und Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des deutschen Mittelstands sein. Fachkräftemangel, Digitalisierung, die Künstliche Intelligenz, intensiver Wettbewerb und damit einhergehende Marktkonsolidierung, Cyber-Risiken, Klimawandel mit seinen großen Naturgefahren, nachhaltige Transformation der Wirtschaft und der seit zweieinhalb Jahren tobende Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt: Die Liste zeigt, dass die Gemengelage komplex ist.
Laut einer Umfrage der R+V Versicherung sehen sich derzeit mehr als die Hälfte der Unternehmen als akut krisengefährdet an. Die Unternehmen selbst wünschen sich externe Unterstützung vor allem in den Bereichen IT-Sicherheit, technische Wartung und Liquidität. Und wenn das Geld aufgrund steigender Betriebskosten knapp wird, dürften sich Unternehmer den Abschluss einer Versicherung doppelt und dreifach überlegen.
Dem widerspricht Payam Rezvanian, Mitglied in der Geschäftsführung von Finanzchef24. „Vor dem Hintergrund registrieren wir eine erhöhte Nachfrage nach Versicherungsschutz, weil wir hier im makroökonomischen Umfeld durchaus eine Krise bemerken“, sagte der Manager im Cash. Expertengespräch Gewerbeversicherungen im Frühsommer 2024. „Wir sind direkt von Corona in den Ukraine-Krieg und jetzt in die Krise in Nahen und Mittleren Osten geschlittert und haben zudem auch noch Themen wie Cybersicherheit. Das heißt, die Multikrisen kommen auch bei den kleinen und Kleinstunternehmen immer näher. Und die registrieren das“, erklärt Rezvanian. Vielmehr spüre man eine erhöhte Sensibilität für eine adäquate Absicherung, was wiederrum zu einer erhöhten Nachfrage führe.
Das bestätigt auch Michael Neuhalfen, Vertriebsleiter der Alte Leipziger Sachversicherung. „Ich glaube, die Sensibilität hat zugenommen. Die Unternehmen merken, dass es im Schadenfall teurer wird.“
Doch der Sachschaden ist das eine, der Betriebsunterbrechungsschaden das andere. Und der ist nicht nur teurer, sondert dauert eben auch länger. Was die die Kosten zusätzlich treibt, denn die Wiederherstellung dauert eben länger, weil Rohstoffe nicht verfügbar oder Handwerker nicht greifbar sind“, erklärt der Vertriebsexperte. Die genannten Faktoren haben laut Neuhalfen in den vergangenen Jahren zu deutlichen Prämienerhöhungen geführt. Allein durch den stark gestiegenen Baupreisindex sind die Beiträge deutlich teurer geworden. So rechnet die Alte Leipziger in der Wohngebäudeversicherung mit einer Anpassung von rund 15 Prozentpunkten.