Gewerbeversicherungen: Das Ende des Nasengeschäfts?

Michael Neuhalfen
Foto: Anna Mutter
Michael Neuhalfen, Alte Leipziger

EXKLUSIV In einer Umfrage des AfW haben mehr als ein Fünftel der Vermittlerinnen und Vermittler angegeben, keine Gewerbeversicherungen zu vermitteln. Cash. fragte zwei Experten, wie mehr Makler für das Gewerbesegment gewonnen werden können.

Sieht man sich die Gründe an, die von die Befragten angegeben wurden, steht insbesondere die Komplexität der Produkte im Vordergrund. Das deckt sich mit den Erfahrungen der Versicherer. „Das Gewerbegeschäft orientiert sich an den Entwicklungen der Wirtschaft – und ist teilweise komplex und umfangreich“, erklärt Michael Neuhalfen, Leiter Vertrieb der Alte Leipziger Versicherung. „Es gibt vielfältige Angebote und Lösungsmöglichkeiten, genauso wie es vielfältige Branchen und Misch-Betriebe gibt. Und da sprechen wir nur von Komposit.“ In der Kundenbetreuung und -beratung habe ein Vermittler dadurch eine sehr große Spannbreite der Themen in Leben/Kranken/Sach. „Da ist es schade, aber ein Stückweit verständlich, wenn einzelne Felder weniger oder gar nicht bespielt werden. Auch in unserer Vermittlerschaft gibt es einen Anteil, der (noch) nicht Gewerbethemen bearbeitet.“ Aufgrund der Veränderungen im Markt nehme das Interesse für das Gewerbegeschäft aber stetig zu.

„Richtig ist, dass die Komplexität im Gewerbesegment deutlich höher ist als im Privatkundensegment“, sagt auch Payam Rezvanian, Mitglied der Geschäftsleitung von Finanzchef24. Auf der Plattform des Insurtechs können – mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) – die Anforderungen von KMUs aus 1.600 Berufen mit den Angeboten von über 40 Versicherern abgeglichen werden. „Die Bedürfnisse und Erfordernisse, die unsere Hauptzielgruppe der KMU hat, sind sehr individuell und vielfältig“, betont Rezvanian. Die Gewerbeversicherung müsse entsprechend passgenau auf die spezifischen Risiken des Selbstständigen bzw. Kleinunternehmens abgestimmt sein. Auch eine ganze Reihe von Vorgaben sei zu erfüllen. „Dementsprechend gibt es bei Deckungsumfang, Prämien und Bedingungen eine enorme Vielfalt am Markt.“ Die Gewerbeversicherung nebenbei mit anzubieten, ist nach seiner Überzeugung heute kaum mehr möglich.


Das könnte Sie auch interessieren:

Ganz schuldlos an der Zurückhaltung der Makler sind auch die Versicherer nicht – meint AfW-Vorständin Franziska Geusen. „Was früher noch Nasengeschäft war, bei dem man gemeinsam unkompliziert gute Lösungen für die Unternehmen kreierte, wird heute zunehmend auf Produkte von der Stange und Hotlines gesetzt – auch im Gewerbebereich“, wird sie in einer Pressemitteilung des AfW zur Umfrage zitiert. Damit habe sie aber nur teilweise Recht, erwidert Neuhalfen – denn auch früher habe es schon Tarifbücher und vorgefertigte Antragsformulare gegeben, also Produkte von der Stange. „Die Digitalisierung hat aber hier in verschiedene Richtungen positives bewirkt. Die heutigen Standardangebote sind – vor allem durch die leichtere Vergleichbarkeit – bereits sehr leistungsstark. Auch Hotlines sind gut für eine dauernde Erreichbarkeit.“ Bei der ALH setze man aber weiterhin auf den Menschen und das persönliche Gespräch, insbesondere im Gewerbegeschäft bzw. bei individuellen oder komplexen Sachverhalten. „Es bleibt in weiten Teilen Nasengeschäft“, so Neuhalfen. Rezvanian sieht das anders. Aus seiner Sicht geht die Zeit des traditionellen „Nasengeschäfts“ zu Ende. „Die Digitalisierung ist ein entscheidender Treiber für Erfolg und bessere Lösungen – und führt keineswegs zwingend zu Standardisierung oder Stangenware. Im Gegenteil: Erst mit Hilfe von KI und einer starken Plattform lässt sich heute überhaupt eine wirklich maßgeschneiderte Lösung für den Kunden finden.“

Die AfW-Umfrage brachte aber auch Erkenntnisse, die der Branche Hoffnung machen: So scheint der Gewerbereich für jüngere Maklerinnen und Makler deutlich attraktiver zu sein als für ältere Kolleginnen und Kollegen. Betrachtet man die Gruppe der bis 40-jährigen, steigt der Umsatzanteil aus der Vermittlung von Gewerbeversicherungen auf immerhin 24 Prozent. Für Neuhalfen sind das erfreuliche Werte: „Sie zeigen, dass insbesondere die jüngeren Makler Chancen im Gewerbegeschäft sehen. Hier sollte die Branche ansetzen. Ein erster Schritt ist da sicherlich die Standardisierung von Prozessen – insbesondere im kleinen und mittleren Gewerbesegment. Dort sollten einfache, transparente Prozesse für leistungsstarke Produkte installiert werden.“ Dann bleibe den jüngeren Maklern mehr Zeit, um sich mit komplexeren Gewerbe-Themen auseinanderzusetzen und so mit ihrer Kundschaft in komplexere Absicherungsthemen hineinzuwachsen. Die abschreckende Wirkung des Segments könnte dadurch nachlassen – ganz verschwinden wird sie für viele Makler aber wohl nie.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments