Die Geschichte ist in diesem Punkt nur bedingt erhellend. Blickt man in die Vergangenheit und vergleicht den Goldpreis mit der Inflationsentwicklung etwa in den 1970er Jahren, so fällt auf, dass das Edelmetall in der ersten Hälfte des Jahrzehnts eine eher schwache Entwicklung aufweisen und keineswegs mit der Inflation Schritt halten konnte. Erst in der zweiten Hälfte zog der Goldpreis deutlich an und vervielfachte sich.
Zinswende belastet den Goldpreis
In der jüngeren Vergangenheit gestaltet sich die Beantwortung ähnlich uneindeutig: Als im ersten Quartal 2020 rund um den Globus Regierungen und Notenbanken als Antwort auf die Pandemie Billionen schwere Unterstützungsmaßnahmen lancierten, preschte der Goldpreis nach ersten schwachen Pandemie-Wochen ebenfalls nach oben. Zur Wahrheit gehört aber auch die darauffolgende Entwicklung: Seit dem Hoch im Sommer 2020 hält sich Gold mit leicht fallender Tendenz auf hohem Niveau. Die Rendite von rund drei Prozent im Jahr 2022 reicht aber bei weitem nicht aus, um eine reale Rendite – also nach Abzug der Inflation – zu erzielen. Allein im Mai stieg der Verbraucherpreisindex in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,9 Prozent an. Die von einigen „Experten“ verbreitete Ansicht, dass Gold sicher und zuverlässig vor Inflation schütze, entpuppt sich bei näherer Betrachtung schlichtweg als eine Mär.
Auch mit Blick auf die kommenden Monate sieht es nicht danach aus, als könne der Goldpreis mit der Inflation Schritt halten. Warum? Weil Gold weltweit fast ausschließlich in Dollar gehandelt wird. Und: Der Greenback neigte nicht nur zuletzt zur Stärke, aufgrund weiterer – womöglich auch kräftiger – Zinsanstiege der US-Notenbank Fed, dürfte der Greenback auch künftig im Vergleich zu zahlreichen anderen wichtigen Währungen aufwerten. Für Anleger aus dem Nicht-Dollar-Raum würde Gold bei diesem Szenario sukzessive an Attraktivität verlieren.
Die Stunde von Gold kann jederzeit schlagen
Hinzu kommt, dass Cashflows unter professionellen Anlegern als das beste Mittel gegen Inflation gelten. Dazu gehören künftige Unternehmensgewinne, die robusten Geschäftsmodellen entspringen, ebenso wie verlässliche Zinszahlungen. In einer Welt, in der die Zinswende im vollen Gange ist, rücken damit auch Anleihen wieder in den Fokus. Im Vergleich zu Gold ist dieser Markt um ein Vielfaches größer und bietet dank unterschiedlicher Bonitäten und Laufzeiten auch mehr Gestaltungsspielräume. Außerdem fehlt Gold etwas Entscheidendes: Es gibt weder Kupons noch Dividenden. Das Gros der institutionellen Anleger wird sich daher für Anlageklassen und Instrumente entscheiden, die in absehbarer Zeit Erträge und Wertstabilität versprechen. Gold dürfte mittelfristig daher eher in den Hintergrund rücken.
Welche Funktion kann das zinslose Gold aber inmitten der Inflation überhaupt noch einnehmen? Nun, es ist einfach: Gold kann in den Portefeuilles der Anleger wie schon seit Jahrtausenden als Stabilitätsanker und Krisenversicherung dienen. Während selbst Währungen im bisherigen Jahr 2022 mit einer vergleichsweise hohen Volatilität aufgefallen sind, blieb der Goldpreis recht konstant. Diese Eigenschaft scheint in diesen Tagen zwar nicht so sehr gefragt zu sein, doch reicht bereits besagter Blick ins erste Halbjahr 2020, dass die Stunde des Edelmetalls jederzeit schlagen kann. Der inzwischen offen ausgetragene neue Kalte Krieg, das Ringen der Rivalen um die Gunst aufstrebender Staaten aus dem BRIC-Universum und nicht zuletzt Rezessionsängste sowie die nach einer Zinswende drohende Staatsschuldenkrise sind gleich mehrere Argumente für Gold.
Dabei sein ist alles
Statt als Schutz gegen eine konkrete Entwicklung wie etwa die Inflation sollten Anleger Gold als generellen Schutz vor Krisen verstehen, die aus solchen Entwicklungen erst noch entstehen können. Da das Edelmetall sowohl in den 1970ern als auch in den frühen 2000ern und im ersten Pandemie-Jahr sehr dynamisch auf Krisen-Ängste reagiert hat, sollten Anleger Gold im Portfolio halten, ohne erst Versuche eines Markttimings zu unternehmen. Wer Gold erst kauft, wenn er es braucht, kommt immer zu spät – das gilt nicht nur im jetzigen inflationären Umfeld, sondern auch für diejenigen Krisen, die in Zukunft noch folgen.
Autor Önder Çiftçi ist Gründer und Geschäftsführer der Ophirum GmbH. Vor der Gründung des bankenunabhängigen Anbieters von Edelmetallen im Jahr 2010 war Çiftçi bei verschiedenen Banken in führender Position tätig.