„Im Konsensszenario erreicht Gold bis zum ersten Quartal 2024 einen Wert von 2.285 US-Dollar je Unze und durchbricht bis zum vierten Quartal 2023 mit 2.260 US-Dollar das bisherige nominale Allzeithoch bei 2.061 US-Dollar vom 7. August 2020“, schreibt Nitesh Shah, Leiter Rohstoff- und Makro-Research bei WisdomTree, in einem aktuellen Kommentar. In realen Werten – sprich unter Berücksichtigung der Inflation – entspräche dies allerdings nicht dem Allzeithoch, das im Januar 1980 aufgestellt wurde. Tatsächlich würde es um 33 Prozent unter diesem Stand liegen und real zehn Prozent unter dem nominalen Höchstwert von 2020.
Noch mehr Luft nach oben hat der Goldpreis laut WisdomTree, sollte die US-Notenbank die geldpolitische Expansion spätestens im Sommer 2023 einleiten, infolgedessen die Anleiherenditen sinken und der US-Dollar an Wert verlieren. „In diesem Szenario könnte der Goldpreis auf 2.517 US-Dollar klettern“, schreibt Shah. Das wäre 22 Prozent höher als das nominale Allzeithoch vom August 2020 und real ein Prozent höher als dieses Niveau. Allerdings läge dieser Preis um 28 Prozent unter dem 1980 erreichten realen Höchststand.
Für den positiven Goldausblick nennt WisdomTree mehrere Gründe. Erstens habe die spekulative Nettopositionierung in Gold-Futures 2023 bisher stark zugenommen, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank. Mit etwas Verspätung hätten sich auch die Zuflüsse in börsengehandelte Goldprodukte (ETPs) verstärkt, allerdings nicht im gleichen Ausmaß wie am Terminmarkt. Shah: „Sollten ETP-Anleger in größerem Umfang zurückkehren, könnte der Goldpreis noch weiter steigen.“ Zweitens habe der Goldpreis zuletzt robust auf höhere Zinsen reagiert. „Obwohl die realen Anleiherenditen im April größtenteils gestiegen sind (was sich normalerweise negativ auf den Goldpreis auswirken würde), haben die Goldpreise zugelegt.“
Drittens seien die Zentralbanken als Käufer deutlich aktiver geworden. Im Jahr 2022 hätten sie ein Rekordvolumen an Gold erworben. „Gold als Pseudowährung, die seit mehreren Jahrtausenden sowohl offiziell als auch inoffiziell als geldpolitisches Instrument diente, ist bei vielen Zentralbanken wieder in Mode gekommen“, schreibt Shah. „Einer der Gründe für die starken Goldkäufe der Zentralbanken im letzten Jahr war, dass die Sanktionen gegen Russland die Zentralbanken in aller Welt aufgeschreckt haben.“ 2023 kauften die Zentralbanken weiterhin unvermindert Gold. Die weltweiten Goldreserven seien im ersten Quartal 2023 um 114 Tonnen gestiegen. „Das ist der stärkste Jahresauftakt in Bezug auf Goldkäufe durch Zentralbanken seit 2010. Eine solche Dynamik nach 2022 aufrechtzuerhalten, ist eine enorme Leistung.“ Auf Nettobasis sei Singapur in diesem Jahr bisher der größte Goldkäufer gewesen. Die Monetary Authority of Singapore habe ihre Reserven im ersten Quartal 2023 um fast 69 Tonnen Gold ergänzt und damit erstmals seit 2021 wieder Gold gekauft. Gegenüber dem Jahresende 2022 habe sie ihre Goldreserven um 45 Prozent aufgestockt.
Als vierten Grund nennt WisdomTree das Ringen um eine höhere staatliche Schuldengrenze in den USA. „Während die Besorgnis über den Bankensektor das erste Interesse der Anleger an Gold und die Devisendiversifikation durch Gold seitens der Zentralbanken auslöste, könnte der nächste Katalysator für das Interesse an Gold die US-Schuldenobergrenze sein“, schreibt Shah. „Selbst eine Maßnahme kurz vor zwölf kann großen Schaden anrichten, da nervöse Anleger aus Angst vor einem Schock das Risiko zurückschrauben. Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Gold als Absicherung daher weiter zunehmen wird.“
Die Aussichten für den Silberpreis sind WisdomTree zufolge ebenfalls günstig. Als Treiber werde hierbei vor allem der anziehende Goldpreis wirken. „In der Regel entwickelt sich der Silberpreis wie gehebeltes Gold“, schreibt Shah in einem aktuellen Silber-Ausblick. „Unserer Einschätzung nach wird Silber im kommenden Jahr stärker zulegen als Gold, und zwar um 20 Prozent gegenüber einem Plus von 15 Prozent für Gold.“ Bis zum ersten Quartal 2024 erwartet WisdomTree auf der Grundlage eines internen Prognosemodells einen Silberpreis von etwa 28,70 US-Dollar pro Unze.