Erwarten Sie durch den Ukraine-Konflikt, wie immer er ausgehen wird, eine Änderung, was das Baufinanzierungsgeschäft hier in Deutschland betrifft?
Hein: Es gibt sicherlich die eine oder andere Auswirkung insbesondere mit Blick auf die Lieferketten, die es zu berücksichtigen gilt. Wie groß diese sein werden – einige Firmen produzieren auch in der Ukraine – muss man noch abwarten. Aber wir müssen in bestimmten Bereichen mit Verzögerungen rechnen. Auch auf der Nachfrageseite könnte es den einen oder anderen geben, der sich möglicherweise gegen den Bau oder Kauf einer eigenen Immobilie entscheidet. Für eine abschließende Bewertung ist es sicher noch zu früh.
Annabrunner: Die Deutsche Bank verurteilt in aller Schärfe den Angriff Russlands auf die Ukraine. Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass die russische Regierung die Grenzen eines souveränen Landes und somit die Friedensordnung in Europa in Frage stellt. Dieser Angriff wird auch deutliche Spuren in der deutschen Wirtschaft hinterlassen und die Auswirkungen der Corona-Krise wie Abriss der Lieferketten, steigende Rohstoffpreise und Arbeitskräftemangel noch verstärken. Aber wie massiv sich diese Verzögerungen auf die deutsche Bauindustrie auswirken werden, kann heue noch niemand seriös beurteilen.
Sie haben jetzt beide mehr oder weniger die Supply-Seite betont. Aber wie sieht es mit der Nachfrage nach Wohneigentum generell aus, angesichts der aktuellen geopolitischen Gefährdungslage?
Lorenz: Wir haben sowohl ukrainische als auch russischstämmige Mitarbeitende in der Unternehmensgruppe. Bei Gesprächen mit diesen Kolleginnen und Kollegen steht der Konflikt natürlich im Vordergrund und die Betroffenheit ist groß. Es steht zu vermuten, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt hierzulande noch einmal steigen wird. Darüber hinaus neigen die Menschen in Krisenzeiten häufig zum Cocooning, also dem Zurückziehen aus Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben. Auch dadurch dürfte sich die Nachfrage nach der Assetklasse Immobilie weiter erhöhen. Bei einem solchen Druck auf der Nachfrageseite ist davon auszugehen, dass die Immobilienpreise, insbesondere in Ballungsgebieten und dem ländlichen Raum, weiterhin massiv anziehen werden
Schrobback: Aktuell ist es in der Tat noch gar nicht absehbar, welche Auswirkungen dieser Krieg mitten in Europa haben wird. Ich rechne ähnlich wie Herr Lorenz mit einer zusätzlichen Anspannung auf dem wohnwirtschaftlichen Immobilienmarkt. Für uns als Bauträger und Projektentwickler für Kapitalanlageimmobilien wird dies sehr ernst beobachtet, da unsere Kunden die Immobilien ausschließlich zur Anlage und Vorsorge kaufen und weniger für die Eigennutzung. Zusätzlich habe ich die Befürchtung, dass die Sanktionen gegen Russland und alle weiteren Folgen für die Finanzmärkte aus diesem Konflikt heraus, inflationäre Verschiebungen auch bei uns nach sich ziehen werden. Hier wird die die EZB gegensteuern, mit gravierenden Auswirkungen auf die Zinslandschaft. Eine steigende Inflation wird, vermutlich auch vor den Baufinanzierungszinsen, nicht Halt machen.
Zuletzt gab es in der Tat schon Meldungen über steigende Baufinanzierungszinsen und ein zunehmendes Sicherheitsbedürfnis jener, die finanzieren wollen. Wie ist diesbezüglich Ihre Wahrnehmung?
Hein: Ja, wir haben zum Jahresanfang eine Erhöhung gesehen, die auch relativ groß ausgefallen ist. Aber wir befinden uns immer noch in einem Niedrigzinsniveau. Insbesondere, wenn wir es mit dem Beginn des Jahrtausends vergleichen, als die Zinsen zwischen fünf und sechs Prozent lagen. Und dieses Niedrigzinsniveau werden wir auch dieses Jahr nicht verlassen, selbst wenn wir zum Jahresende noch einmal eine Steigerung sehen sollten. Große Zinssprünge wird es aber nach wie vor nicht geben. Die EZB wird ihre Linie beibehalten müssen, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. Sie wird die Anleiheankäufe dieses Jahr weitestgehend einstellen und wahrscheinlich Ende des Jahres den ersten Zinsschritt tun. Das bedeutet aber nicht, dass wir das Niedrigzinsniveau verlassen werden.
Annabrunner: Aktuell sehen wir zwar steigende Bauzinsen, aber auch eine höhere Inflation. Es gibt sicherlich in einigen Städten Preissteigerungen, die zwischen 15 und 40 Prozent über dem Preis der klassischen Fundamentalfaktoren liegen. Hier hat aber die BaFin bereits sehr deutlich reagiert und uns strengere Regeln für das Hypothekengeschäft verordnet. Wir sprechen dabei auf der einen Seite vom antizyklischen Kapitalpuffer, der von sage und schreibe Null auf 0,75 Prozent ansteigt und auf der anderen Seite von einem Systemrisikopuffer, der auf zwei Prozent hochgesetzt wird. Wer glaubt, dass das keine Auswirkungen auf das Zinsniveau nach sich zieht, irrt aus meiner Sicht. Höhere Zinsen werden wiederum automatisch in Kombination mit entsprechender Inflation auch Auswirkungen auf das Neugeschäft haben. Das trifft dann viele Normalverdiener und Familien, für die es erneut ein Stück weit schwieriger wird, Immobilien zu erwerben. Wir freuen uns sicher alle, wenn in diesem Jahr tatsächlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollten. Aber die Frage lautet: Wer soll sie bezahlen? Die letzten Zinssprünge waren durchaus nicht klein, und sie haben auch Reaktionen im Markt hervorgerufen. Vor allem bei unseren Partnern, die nicht nur dann in die Beratung einsteigen, wenn die Zinsen steigen, sondern laufend eine große Anzahl von Kunden betreuen.
Lorenz: Die Kombination aus angesprochenen Zins- und Preissteigerungen wird zur Herausforderung: Perspektivisch werden sukzessive ganze Kundenkreise vom Zugang zum Wohneigentum abgeschnitten. Das wäre auch gesellschaftspolitisch schwierig. Derzeit wird aus Gründen der Planbarkeit oftmals mit längeren Zinsbindungen kalkuliert, was sich wiederum in höheren Zinsen niederschlägt. Ich würde es begrüßen, wenn die Politik mit Subventionen oder Steuerermäßigungen beim Erwerb intervenieren würde. Die Käufer brauchen eine Perspektive und Planungssicherheit.
Schrobback: Ich sehe ebenfalls, dass jene Kundenklientel noch stärker vom Markt abgeschnitten wird, die es ohnehin bereits sehr schwer hat, an eine Baufinanzierung bzw. an Immobilienvermögen zu gelangen. Gerade die sogenannten Young-Professionals, die zwar gut verdienen aber noch nicht genügend Eigenkapital aufbauen konnten und die jungen Familien werden noch stärker belastet. Seit Anfang des Jahres sehen wir fast wöchentlich Zinserhöhungen. Wir müssen feststellen, dass aktuell mit Annuitäten zwischen 4,6 bis 5,5 Prozent zu rechnen ist. Für 2022 und die Folgejahre sehe ich den Aufwand eher in der Spanne von 5,0 bis 5,5 Prozent. Bei Vollfinanzierungen entsteht so schnell ein Aufwand von 400 Euro monatlich und mehr. Und bei den Einkommen, die gerade jetzt schon belastet sind, machen dann auch noch ein paar Hundert Euro im Monat mehr eine Menge aus. Das führt dann häufig genug zur Entscheidung, nicht zu kaufen. Speziell im Eigennutzermarkt sehe ich dieses Problem, weniger in der Kapitalanlage. Dort kauft der Kunde aus anderen Motiven heraus. Da haben wir auch andere Möglichkeiten, dem Zins über steuerliche Abschreibungen, etc. ein wenig entgegenzuwirken.
Hein: Die bereits thematisierten Regulierungsanforderungen werden die Preise auf dem Immobilienmarkt nicht stabilisieren können. Daher werden wohl noch weitere Anpassungen zu erwarten sein, die jedoch auch dazu führen könnten, dass weitere Kunden von einer Baufinanzierung abgeschnitten werden Unabhängig von der Zinsentwicklung. Und wenn man undifferenziert diese Eigenkapitalanforderungen erhöht, dann gilt das natürlich auch für alle, beispielsweise auch für all diejenigen, die ihre Bestandsobjekte sanieren möchten. Dadurch dürften die Klimaziele noch einmal weiter in die Ferne rücken.
Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, dass die Gefahr besteht, große Teile der Bevölkerung aufgrund der schwierigen Finanzierungsbedingungen vom Wohneigentumserwerb abzuschneiden. Wie könnte denn eine Lösung aussehen, um das zu verhindern?
Annabrunner: Es wird aus meiner Sicht keine andere Möglichkeit geben, als eine staatliche Förderung einzuführen – in welcher Form auch immer. Eine Neuauflage des Baukindergeldes wird kaum ausreichen. Es braucht größere Maßnahmen. Andernfalls wird sich die aktuelle Eigentumsquote nicht signifikant nach oben entwickeln lassen.
Hein: Es hakt ganz deutlich an der Regulatorik. Wir brauchen sehr viel schnellere Verfahren für Baulandausweisungen und Baugenehmigungen. All das dauert in Deutschland viel zu lange. Auch die von der Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag verankerten 400.000 Wohnungen jährlich werden nicht ausreichen. Fördermittel sind zwar eine Möglichkeit, aber auch da stellt sich die Frage, wie viel von den Fördermitteln am Ende in Preisen bereits wieder überkompensiert wird. Es hilft nur ein größeres Angebot.
Lorenz: Richtig. Wenn das Angebot groß genug ist, stabilisieren sich auch die Preise. Darauf läuft es hinaus. Also alle Entwickler, Projektierer können sich eigentlich freuen – im Rahmen des Koalitionsvertrags tun sich für viele Stakeholder neue Chancen auf, da muss man nur zugreifen!
Annabrunner: Der Ruf nach dem Staat löst natürlich nicht alle Probleme. Die von Herrn Hein beschriebenen Maßnahmen müssen in der Fläche passieren, in den Kommunen, in den Gemeinden, die Zugang zu Grundstücken haben, die sie entwickeln. Entscheidend sind letztlich die Antworten auf die Fragen: Wie viel von den Grundstückspreisreduktionen wird an die förderfähigen künftigen Käufer und Käuferinnen weitergegeben? Oder optimiert man doch eher die Einnahmenseite für die jeweilige Kommune? Ich glaube, hier liegt der maximale Hebel. Aber es muss natürlich auch die entsprechende Bereitschaft vorhanden sein. An dieser Stelle sind auch die Bauentwickler gefordert, weil die Kommunen auf diesem nicht ganz einfachen Weg die Unterstützung von Profis benötigen.
Über das Thema Angebotserweiterung sprechen wir in dieser Runde seit Jahren, ohne dass ein Fortschritt erkennbar wäre. In der Sicherheitspolitik gab es jüngst den Aha-Effekt als man erkannte, dass die Bundeswehr reformiert und besser ausgestattet werden muss. Gibt es einen solchen Aha-Effekt möglicherweise auch in der Baufinanzierung bzw. in der Immobilienfinanzierung?
Annabrunner: Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Kommunen gibt, die genau diesen Weckruf durchaus auch bereits gehört haben und sich bemühen, ihm gerecht zu werden. Ein pauschales Kommunen-Bashing ist hier sicherlich nicht gerechtfertigt. Es gibt ja durchaus Gemeinden, die das Problem bereits aktiv angehen. Aufgrund unterschiedlichster Interessenlagen ist das flächendeckend natürlich nur bedingt umsetzbar. Den wirklich großen „Big Bang“ von staatlicher Seite wie bei den jüngsten Entscheidungen in Sachen Bundeswehr, erwarte ich allerdings nicht. Die Kassen sind leer und der Schmerz ist in dieser Hinsicht einfach noch nicht groß genug.
Schrobback: Leider treten diese „Aha-Effekte“ immer erst ein, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Sollte eine Beruhigung am Zins,- und Immobiliensektor eintreten, wird diese an einem Punkt einsetzen, bei welchem sich die Zinsen und auch die Immobilienpreise bereits massiv nach oben angepasst haben und wohl auch nicht mehr zurück zu schrauben wären. Eine Rückkehr zu den Zinsen der letzten Jahre würde ich per heute ausschließen. In der Vergangenheit konnte bei jeder schwächeren wirtschaftlichen Phase aufgrund sinkender Preise weiterhin massiv Geld in die Märkte gepumpt werden. Jetzt betreten wir wohl die Phase, mit aller Gewalt dem Markt die Liquidität zu entziehen, um den Preisdruck irgendwann wieder kontrollieren zu können. Diese aktuelle Entwicklung wird durch die immer noch bestehenden Grundproblematiken, die wir beim Thema Wohnen und Bauen in Deutschland haben, enorm verstärkt. Wir haben weiterhin drastische zeitliche Probleme bei behördlichen Bearbeitungszeiten und Genehmigungsprozessen, die in den Big Seven noch viel größer sind als in den B- und C-Standorten. Ich habe in Städten wie Dessau oder Magdeburg weitaus weniger Widerstand und weitaus weniger zeitliche Barrieren für Genehmigungsprozesse als in Berlin, Leipzig, Köln oder Hannover. Dazu kommen dann noch preistreibende Faktoren, die halt eben bundesübergreifend große Hürden mit sich bringen, wie kein einheitliches Baurecht, die zusätzlichen Anforderungen zum Thema CO2 -Emission, Klimaneutralität und natürlich jetzt auch noch das Thema ESG. Aber es wird, wie Herr Annabrunner sagt, leider keinen Big Bang und erst recht keinen „Aha-Effekt“ der Politik geben. Es gibt politisch auch, jedenfalls in der aktuellen Regierung, nicht den Willen, an dieser Situation etwas zu ändern.
Hein: Dennoch war es aus meiner Sicht richtig, direkt nach der Bundestagswahl und in den Koalitionsverhandlungen erneut ein Bundesbauministerium zu schaffen. Fokussiert an diesem Thema zu arbeiten, bringt etwas, aber es muss dann auch geliefert werden. Für mich kommt da noch zu wenig an Ideen, die man dann am Markt aufnehmen kann.
Kommen wir einmal zum Megathema und -trend ESG und Nachhaltigkeit, Herr Schrobback hat es eben schon anklingen lassen. Die EU-Taxonomie ist auch im Immobiliensektor in den Bereichen Neubauten, Sanierungen sowie Erwerb und Eigentum von Gebäuden in Kraft. Viele Marktteilnehmer kritisieren jedoch das Fehlen von Standards und die mangelnde Klarheit bei der Umsetzung von ESG. Teilen Sie diese Einschätzung und woran hakt es besonders?
Annabrunner: ESG ist mit Sicherheit ein Thema, das uns nicht nur heute, morgen und übermorgen, sondern wirklich dauerhaft beschäftigen wird – und das ist auch gut so. Fehlende oder unklare Vorgaben sind dabei Herausforderung und Chance zugleich. Die derzeitige Situation ermöglicht es uns, selbst Rahmenbedingungen zu schaffen, um ESG voranzubringen. Auch wenn noch nicht alle Bau- oder Sanierungswilligen unsere Partner und Partnerinnen zwingend nach ESG-Produkten fragen, wird deren Anzahl definitiv in den kommenden Jahren steigen. Die Frage, ob das jetzt der Umsatztreiber schlechthin ist, stellt sich meiner Meinung nach nicht. Die Nachfrage wächst – also ist es für uns zwingend nötig, entsprechende Produkte und die passenden Förderungen anzubieten. Ich erlebe häufig auch privat, dass bei Gesprächen mit neuen oder jungen Bauenden explizit nach Fördermöglichkeiten für das Projekt oder auch nach Möglichkeiten zur Minderung der CO2-Emission gefragt wird. Genau das sind Themen und Diskussionen, die ich persönlich sehr wichtig und zukunftsweisend finde.
Lorenz: Es gilt das Ziel des Pariser Abkommens einzuhalten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Das ist kein Hemmschuh, sondern eine Herausforderung. Die Kosten durch Extremwetterereignisse wie Stürme, Dürren und Fluten steigen: 500 der global größten Unternehmen rechnen mit Klimaschäden von etwa 500 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren. Wir von Baufi24 wünschen uns in der Rolle des Vermittlers „Grüne Darlehen“, die es Bauherren ermöglichen, durch die Begrenzung des jährlichen Primärenergiebedarfs von Wohngebäuden sowie einer Bestätigung der Energieklasse subventionierte Darlehen zu erhalten. Weiterhin müssen wir für ein Umfeld sorgen, dass Transparenz ermöglicht und Klarheit für Verbraucher schafft. Das gilt insbesondere für Förderprogramme der Bundesregierung. Man hat das Gefühl, in den aktuellen Förderprogrammen findet sich die KfW oftmals selbst nicht zurecht.
Hein: Ich teile diese Freude ebenfalls, weil es wieder eine neue Möglichkeit ist, mit dem Kunden ins Gespräch zu kommen. Aber noch einmal zurück zu Ihrer Ursprungsfrage. ESG hat natürlich mehrere Komponenten. Es gibt soziale Themen und es gibt Governance-Themen. Aber mal ausschließlich auf den Umweltgesichtspunkt bezogen, brauchen wir schon noch einige Regelungen, die klarer machen, was sich dahinter verbirgt. Wenn ich davon ausgehe, dass sich die Refinanzierung der Banken verändern wird, dann muss natürlich klar sein: Welche Baufinanzierung kann ich eigentlich mit einem anderen Refinanzierungssatz einkaufen, um den Vorteil dann auch an den Kunden weiterzugeben? Da muss noch vieles nachgeschärft werden. Wir brauchen dort auch noch Zertifizierungen. Wir werden eine deutliche Veränderung im Energieausweis benötigen. Wenn es nach mir ginge, wäre sicherlich auch ein Zentralregister, wie wir es aus einigen europäischen Ländern bereits kennen, durchaus sinnvoll. Damit weiß dann jeder, was er oder sie eigentlich kauft, d.h. wo das Energielevel ist und wie hoch der CO2-Ausstoß ist.
Stichwort Zertifizierung. Aus dem Fondsbereich kenne ich verschiedene Siegel, die von unterschiedlichen Anbietern verliehen werden. Wer könnte im Bereich Immobilien diese Zertifizierung vornehmen oder sind diese in Wirklichkeit gar nicht notwendig?
Hein: Ich halte sie sogar für sehr notwendig. Wenn wir von Nachhaltigkeitsklassen sprechen, dann bezieht es sich nicht mehr nur auf den Bau, sondern auch auf die Bausteine, den Mörtel, bei deren Herstellung ebenfalls CO2 entsteht. Die ganze Kette abzubilden, ist in der Beratung schlichtweg unmöglich. Niemand hat diesen Überblick. Es wird also mehrere Zertifizierungen geben müssen oder aber ein großes Zertifikat, das dann dem Haus bescheinigt, dass es unter bestimmte Nachhaltigkeitsklassen fällt und damit dann auch eine bessere Kondition bekommen kann. Wer als Zertifizierer fungieren kann, muss auf regulatorischer Seite diskutiert werden. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass solche Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen entsprechende Zertifikate auflegen, die den Anspruch haben, dass man mit diesem Zertifikat dann auch eine günstigere Baufinanzierung bekommt.
Schrobback: Zunächst einmal gilt ganz klar: Es fehlen beim Thema ESG derzeit übergreifende und einheitliche Regularien und Definitionen. Und bis diese formuliert sind, wird sicherlich noch einige Zeit vergehen. Dennoch ist das Thema enorm wichtig. Bei den Sanierungsprojekten wird es immer stärker von den Endkunden nachgefragt. Sie wollen wissen, wie gebaut wird, mit welchen Materialien gebaut wird, wo die Materialien herkommen, wie es mit der Nachhaltigkeit aussieht, wie es mit dem CO2-Ausstoß aussieht, wie es sich mit der Klimaneutralität verhält, wie die Dämmungen verbaut werden und wie schlussendlich beheizt wird. Das ist sowohl in der Sanierung als auch beim Neubau ein sehr großes Thema. Und auch die Vertriebspartner, mit denen wir zusammenarbeiten, aber auch Banken und Kreditinstitute haben dieses Thema bei unseren Projekten mittlerweile gezielt auf der Agends. Im Bestand sehen wir diese Entwicklung aktuell noch etwas weniger, wird aber mit Sicherheit verstärkt kommen.
Wir haben es bereits in anderen Segmenten gesehen. Oft findet sich nicht das im Produkt wieder, was das Etikett verspricht. Gibt es so etwas wie Greenwashing auch im Immobiliensektor?
Schrobback: Im Zuge der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion versuchen natürlich viele Unternehmen, sich in der Öffentlichkeit als umweltfreundliches oder verantwortungsbewusstes Unternehmen darzustellen, um damit auch aus Imagegründen zu profitieren. Das gibt es in der Immobilienbranche auch. Verantwortlich für eine solche Entwicklung ist sicherlich auch hier das Fehlen einheitlicher klarer Regularien. Spätestens, wenn es diese gibt und es auch den Zwang gibt, diese umzusetzen, wird das „Greenwashing“ automatisch aufhören.
Hein: Das sehe ich ebenso. Es ist wichtig, bei allen eine Awareness zu erzielen, dass etwas getan werden muss. Wo genau und in welcher Form ist noch mal eine Frage der Entwicklung in der nächsten Zeit. Natürlich wartet jetzt auch jeder darauf, welche Förderprogramme die Bundesregierung auflegt, von denen derjenige profitiert, der in eine neue Heizung investiert oder in eine bessere Dämmung. Das ist schon eine berechtigte Frage.
Annabrunner. Ich bin mit dem Begriff Greenwashing in der Immobilienfinanzierung vorsichtig. Für mich suggeriert das nämlich, etwas anzupreisen, das gar nicht vorhanden ist. Selbst wenn wir als Baufinanzierer durch unsere Beratung nur dafür sorgen, dass der Kunde oder die Kundin ein Solarpaneel installieren, das den Strom für Gemeinschaftsflächen generiert, ist das deutlich besser, als wenn gar nichts passiert. Jeder, der sich beruflich mit Immobilienfinanzierung beschäftigt, sollte solche Schritte im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen. Es wäre nur dann Greenwashing, wenn die Förderung fehlgeleitet würde und in der Folge zu Fehlanreizen führen würde. Den vorhandenen positiven Spirit in der Baubranche sollten wir – unabhängig von Förderungen – in jedem Fall unterstützen.
Hein: Genau aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit der KfW einen Rechner entwickelt, der den Kunden in einem Piloten in unserem Direktgeschäft zeigt, wo sie mit dem Objekt noch entsprechende Energieeinsparungen vornehmen können und was es voraussichtlich kostet. Wir sind keine Energieberater, aber mit diesen grundsätzlichen Informationen, die sie von uns erhalten, können die Kunden gut vorbereitet auf einen Energieberater zugehen. Wir merken, dass die Kunden dem gesamten Thema gegenüber sehr aufgeschlossen sind und dass sie froh sind, eine solche Beratung zu bekommen.
Lorenz: Die Durchdringung vieler Themen ist noch nicht optimal. In einer unserer letzten Studien haben wir Immobilienbesitzer zum Thema Energieberater befragt. Nur 20 Prozent waren darüber informiert, dass die Kosten für einen Energieberater im Rahmen von Sanierungsvorhaben subventioniert werden. Es gibt also noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Frage ist immer: Wo wird die geleistet? Wer ist dafür zuständig? Gerade bei Sanierungsvorhaben kommen die Baufinanzierer erst spät ins Spiel. Zu diesem Zeitpunkt müssten die Anträge zur Energieberatung oft bereits gestellt sein – von den Förderanträgen für energetische Sanierungsvorhaben ganz zu schweigen.
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick voraus: Welche Entwicklungen und Trends erwarten Sie für 2022, welche Faktoren werden die Lage am Immobilienmarkt bestimmen?
Lorenz: Wir sehen, dass Kunden und Berater gleichermaßen Wert auf Transparenz und Effizienz legen. In der Post-Corona Situation gehören digitalisierte Prozesse und eine online-basierte Vertriebsunterstützung einfach zum Handwerk. Die Vertriebler legen derweil immer größeren Wert auf eine breite Produktpalette, um Kunden unabhängig beraten zu können – auch im Bereich grüner Darlehen. Die Informationsflut aus Wirtschaft, Politik, Recht und dem alltäglichen Business ist und bleibt eine Herausforderung. Eine umfassende Information ist das A und O, um den Vertrieb konsequent im Griff zu behalten und den Kunden informiert begegnen zu können. In der Beratung sehen wir die bereits angesprochenen Cocooning-Effekte. Die Preisentwicklungen in B- und C-Städten werden sich demnach fortsetzen, wenn auch bedingt durch die geringen Zinsunsicherheiten in etwas entschleunigtem Tempo. Und selbstverständlich darf die Nachhaltigkeit auf der Agenda nicht fehlen: Klimaschutz und Energieeffizienz bekommen auch im Zusammenhang mit den Rohstoffengpässen rund um den Ukraine-Konflikt eine nochmals andere Bedeutung und werden inflationsgetrieben noch spürbarer.
Annabrunner: Ich glaube, wir werden auch 2022 erneut eine hohe Nachfrage erleben, sowohl im Eigennutzungs- als auch im Kapitalanlagebereich. Eine Ausnahme bilden dabei möglicherweise sich noch einmal leicht nach oben entwickelnde Durchschnittstickets, weil auch die Preise weiterhin steigen. An den Grundvoraussetzungen wird sich aber nichts ändern. Zum einen bleibt Bauland knapp, wird tendenziell teurer oder teilweise auch erst gar nicht in den Markt gegeben. Zum anderen spielt auch der Aufwärtstrend bei Rohstoffpreisen eine deutliche Rolle – und zwar nicht nur aufgrund der aktuellen, krisenbedingten Verknappung. Ressourcen werden perspektivischl teurer und das wirkt sich natürlich auf den Gesamtkontext aus. Das Partnergeschäft wird aber weiter wachsen. Insgesamt stimmen mich die ressourcenschonende Nutzung und die Transparenz der Plattformen ebenso optimistisch wie die Effektivität der Prozesse, die wir dort aufsetzen. Sie ermöglichen es den Partnerinnen und Partnern effizient zu arbeiten und so möglichst viel Geschäft zu generieren.
Schrobback: Wir werden, wie weiter oben schon erörtert, ESG als eines der Hauptthemen in der Immobilienwirtschaft in 2022 erleben. Dies wird einen starken Einfluss auf die Marktlage haben. Genauso die Themen Inflation und Zinsentwicklung. Je schneller der Russland-Ukraine-Krieg beendet ist, desto besser ist es natürlich für die gesamtökonomischen Marktentwicklungen und desto weniger preistreibende Einschnitte wird es haben. Sanktionen gegen Russland, steigende Energiepreise, Lieferengpässe, der Krieg wird die Immobilien in Deutschland erstmal noch teurer machen. Grundsätzlich bin ich aber fest davon überzeugt, dass 2022 von einem positiven Charakter geprägt sein wird, nicht nur in der Baufinanzierung, sondern für den Immobilienmarkt als Ganzes. Ich mache mir dahingehend keinerlei Sorgen. Die Rahmenbedingungen, selbst bei steigenden Zinsen, weisen immer noch auf eine starke Nachfrage nach Sachwerten hin. Anders als die damalige Subprime-Krise in den USA, die zu einer platzenden Immobilienblase geführt hat, herrscht bei uns eine sehr restriktive Kreditvergabepraxis. Auch kann hierzulande nicht von spekulativem Neubau oder spekulativem Kaufverhalten die Rede sein.
Hein: Ich bin ebenfalls sehr optimistisch für 2022. Mit Blick auf unsere Volumina haben wir einen hervorragenden Jahresstart gehabt. Wenn das so weiterläuft, ist mir für 2022 auch nicht bange. Extrem spannend finde ich zudem, welche Entwicklung das Thema Nachhaltigkeit in Bezug auf Wohnimmobilien nehmen wird. Natürlich auch im Hinblick auf unsere Produktentwicklung, die wir bis Jahresmitte, an den Markt bringen wollen. Ein weiteres spannendes Feld wird die Digitalisierung sein, was uns auch intern dann noch einmal in schnellere Abläufe versetzen wird. Aber auch unsere Partner können davon durch bessere Anwendungen, schnellere Prozesse und durch Handling der Portale profitieren. Im Markt sehe ich, die Ukraine einmal ausgeklammert, keinen großen Rückgang der Nachfrage, sodass der Markt sich dort auch weiter entwickeln wird. Natürlich wäre auch eine weitere Anpassung der Politik der EZB wünschenswert, damit Sparen wieder mehr honoriert wird und sich unsere Kundinnen und Kunden in naher Zukunft über etwas mehr Rendite freuen können.