Themen wie Energiekrise, Materialengpässe oder Kapazitäten bei Handwerkern bringen insgesamt viel Unsicherheit. Das sorgt dann auch bei manchen, die noch finanzieren könnten, zu einer eher abwartenden Haltung“, fasst Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung bei ING Deutschland, mit Blick auf das derzeitig schwierige Baufinanzierungsgeschäft hierzulande die Lage zusammen. Und Robert Annabrunner, Leiter des Drittvertriebs bei der Privatkundenbank der Deutschen Bank, sekundiert: „Der elementare Punkt ist die allgemeine Verunsicherung. Kaufwillige werden quasi rund um die Uhr mit Hiobsbotschaften zu Zinsen, steigenden Baukosten und Energiepreisen konfrontiert. Das ist sicherlich kein „Schließ-schnell-ab-Motivator“.“ In der Tat schlagen sich die seit Jahresbeginn steigenden Bauzinsen auf die Nachfrage nach Baufinanzierungen nieder, wie aktuelle Daten der EZB und der Bundesbank zeigen.
„Lag das abgeschlossene Neufinanzierungsvolumen gegenüber Vorjahr im Mai noch fast 20 Prozent im Plus, drehte es bereits im Juni deutlich ins Minus. Im Juli lag es dann schon 16 Prozent unter Vorjahr. Im August beschleunigte sich der Rückgang weiter auf minus 19 Prozent. Im September ging es nochmal deutlich nach unten. Mit einem Rückgang von 28 Prozent gegenüber Vorjahr wurde sogar ein neuer Negativrekord seit Beginn der Datenaufzeichnungen im Jahr 2022 aufgestellt“, so Peter Barkow, Geschäftsführer von Barkow Consulting. Zu berücksichtigen sei hierbei, dass das von der EZB bzw. Bundesbank ausgewiesene Neugeschäft sowohl aus Verlängerungen/Neuverhandlungen bereits bestehender Finanzierungen als auch erstmals abgeschlossenen Krediten besteht. Letztere würden nicht separat als Neugeschäft ausgewiesen.
„Trotz des dramatischen Rückganges des Neugeschäftes wuchs der Bestand auch im September noch mit 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies liegt zwar unter dem Wachstumsrekord von 7,6 Prozent aus dem August 2021, ist aber dennoch mehr als das Doppelte des langfristigen Durchschnitts von 2,7 Prozent gegenüber Vorjahr“, so Barkow. Und noch ein Phänomen hat sich durch die seit Anfang des Jahres stark steigenden Bauzinsen ergeben, die aktuell bei um und bei vier Prozent liegen. Im ersten Quartal wurde laut Barkow Consulting der Rekordwert von Baufinanzierungen in Höhe von 16 Milliarden Euro vorzeitig refinanziert, offensichtlich aus Furcht vor steigenden Zinsen.
Den Höhepunkt erreichte diese Refinanzierungswelle im März mit 6,2 Milliarden Euro, dem zweithöchstem Wert seit Beginn der Datenaufzeichnungen im Jahr 2015. Und als wäre all das nicht bereits genug, macht Bauherren auch der starke Anstieg der Baupreise zu schaffen. Viele Wohnbauprojekte werden bereits abgesagt. Im September meldeten laut ifo Institut 16,7 Prozent der Baufirmen stornierte Aufträge, deutlich mehr als im August. Mit den raueren Zeiten am Immobilienmarkt herrscht viel Nervosität, nachdem die Preise jahrelang hochgeschossen waren.
Patentrezepte, wie sich die derzeitige Situation positiv gestalten lässt, gibt es nicht. Und dennoch kommt es wie immer auf den Vertrieb an. „Es ist wichtig, dass Beratung überhaupt stattfindet. Und ich glaube einfach, wir brauchen deutlich mehr Beratung. Man sollte intensiver mit Kunden sprechen, noch einmal individueller auf die Bedürfnisse eingehen, und auch dann ist es so, dass in der aktuellen Zinsphase, mit Produkten, die man in der Baufinanzierung mit einbauen kann, auch einfach eine Finanzierung machbar ist. Das ist unser Job als Broker“, sagt Patrick Luchetta, Geschäftsführer von Creditweb.
Die Nachfrage sei weiterhin da, das Bedürfnis, eine Immobilie zu kaufen, sei bei den meisten Menschen immer noch ganz weit oben und das werde sich auch nicht verändern. Darüber hinaus gewinnt das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sowohl beim Bauen als auch bei Modernisierungen und Sanierungen – letzteren wird derzeit viel Umsatzpotenzial vorausgesagt – stark an Bedeutung. „Die derzeit geführte Nebenkostendiskussion sorgt dafür, dass sich die Menschen aktiv überlegen, wie sie die Betriebskosten senken können. Und das matcht wiederum gut zum ökologischen Bauen. Nachhaltigkeit wird also auch aus monetärer Sicht betrieben. Das müssen die Berater wissen, sonst können sie nicht gut beraten“, weiß Benjamin Papo, Chief Sales Officer der Bilthouse Gruppe. Ein Drittel der Befragten in aktuellen Umfragen wäre bereit, zehn Prozent mehr für das Objekt zu bezahlen, wenn es ökologisch gebaut ist. „Das finde ich spannend, denn es zeigt die Awareness für das Thema Nachhaltigkeit“, so Papo
Für 2023 sind Banken und Finanzierungspartner für das Baufi-Geschäft durchaus nicht pessimistisch gestimmt. Allerdings hängt die Entwicklung zu einem Großteil von der wirtschaftlichen Großwetterlage ab. „Mehr Bestand statt Neubau, verbunden mit einer Verlagerung zu den Themen Modernisierung und Sanierung. Ich glaube, dass der Erfolg in einem breiteren Beratungsansatz kombiniert mit einem hohem Qualitätsniveau liegt, so Robert Annabrunner. Viele der Partnerinnen und Partner hätten das auch bereits erkannt. Sollte sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern, erwartet Thomas Hein indes einen schärferen Wettbewerb sowohl auf Banken- als auch auf Vermittlerebene: „Es wird zum einen wieder vermehrt über Zinshöhen und Konditionen diskutiert werden, um sich gegenüber dem Wettbewerb abzugrenzen, zum anderen wird sich aber auch der Service unterscheiden, der von Vermittlern angeboten wird, um damit bei der Kundschaft zu punkten und diese für sich zu gewinnen. Verschwindet indes die Unsicherheit, wird Stück für Stück auch die Nachfrage wieder anziehen“, erwartet er.