Die Entscheidung des BGH (Urteil vom 11. Dezember 2024; Az. IV ZR 498/21) ist grundsätzlich schlüssig und auch in Teilen nachvollziehbar, jedoch nicht sehr überraschend. Rein rechtlich ist der Ansatz des BGH, die unter anderem Grundfähigkeitsversicherung (GFV) nicht der klassischen „Arbeitskraftabsicherung“ zuzuweisen, sehr logisch. Denn die GFV will de facto keine Arbeitskraft absichern, sondern in der Tat ausschließlich die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) definierten Grundfähigkeiten. Der Verlust von Grundfähigkeiten kann auch zum Verlust der Arbeitskraft und möglicherweise auch zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führen, muss es aber nicht. Beide Versicherungssparten haben deswegen nichts miteinander zu tun. Man könnte deswegen eher von einer Arbeitskraftabsicherung im „engen“ und im „weiten“ Sinne sprechen, wenn man das überhaupt möchte.
Der Ursprung des Verfahrens scheint jedoch ein wenig diskutierter gewesen zu sein. Denn der Kläger machte gegen den Versicherer geltend, dass das Produkt als Alternative zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung vermittelt worden sei. Wenn dem tatsächlich so gewesen ist, so verfälscht dies natürlich den eigentlichen Charakter der Versicherung und bringt diese – zumindest werblich – in den Bereich der Lebensversicherung, zu welcher die Berufsunfähigkeitsversicherung über Paragraf 176 VVG zugeordnet ist. Dem Versicherer wäre damit eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit grundsätzlich entzogen.
Vor dem Hintergrund dieser nicht ganz eindeutigen Entscheidung des BGH, ob unter anderem die Grundfähigkeitsversicherung ausschließlich dem Schadensrecht zuzuordnen sei, mit der Konsequenz der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit des Versicherers, besteht nun für Versicherungsmakler eine gewisse Unsicherheit für die weitere Handhabung der Grundfähigkeitsversicherung an sich. Denn viele Biometrieversicherungen bewerben die Grundfähigkeitsversicherung in der Tat so, als wäre sie der Lebensversicherung zuzuordnen. Dieses zeigt auch ein Blick in die AVB der Versicherungen, welche häufig in der Tat gerade keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit für den Versicherer vorsehen. Das bedeutet, dass einige Versicherungen selbst nicht davon ausgehen, die Grundfähigkeitsversicherung ordentlich kündigen zu können bzw. zu wollen.
Nun kommt jedoch der BGH mit seiner an dieser Stelle nicht ganz nachvollziehbaren Entscheidung, welche es einzuordnen gilt. Der BGH kann nach unserer Auffassung nur so verstanden werden, dass sich seine Entscheidung auf den vorliegenden Fall der „Kombi-Rente“ bezieht und auf Fälle, die ähnlich gelagert sind. Denn für jeden Einzelfall vorrangig gilt, was die Parteien in dem jeweilig zugrundeliegenden Versicherungsvertrag geregelt haben. Und genau an dieser Stelle müsste ein Vergleich der vorhandenen AVB im Bereich der GFVen geprüft werden, nämlich wie der jeweilige Vertrag bezüglich einer Kündigungsmöglichkeit zu handhaben ist.
An dieser Stelle können jedoch die Produktanbieter dem Versicherungsmakler überaus behilflich sein und Unstimmigkeiten ausräumen. Es darf erwartet werden, dass Biometrieversicherungen in den kommenden Tagen Klarstellungen veröffentlichen, um den Versicherungsvermittlern eine Hilfestellung zu bieten. Ein derartiges Statement sollte klarstellen, dass Versicherungen ihre GFV-Produkte nach dem Bereich der Lebensversicherung handhaben und damit klarstellen, dass gerade keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit für den Versicherer besteht bzw. eine solche nicht geltend gemacht wird. Nur auf die Weise dürften Versicherungsvermittler entsprechende Produkte haftungsreduziert (weiter-) vermitteln können. Der Kanzlei Jöhnke & Reichow ist bereits ein namhafter Versicherer bekannt, welcher dazu in den kommenden Tagen ein klarstellendes Statement veröffentlichen wird, um Unklarheiten auf Seiten der Vermittlerschaft zu beseitigen.
Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und geschäftsführender Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow.